Ihre Poesie bewegt und inspiriert auch Jahrtausende nach ihrer Niederschrift Menschen auf der ganzen Welt und bietet uns Antworten auf aktuelle Fragen im 21. Jahrhundert. In einer neuen Serie wollen wir darum die zeitlosen Weisheiten der Bhaghavad-Gita in den modernen Alltag überführen.
Paramahansa Yogananda, Swami Sivananda, Mahatma Gandhi … sie sind nur drei der vielen spirituellen Lehrer, die die Bhaghavad-Gita besonders geschätzt, intensiv studiert und kommentiert haben. Nicht nur in Indien, sondern auf der ganzen Welt ist sie heute bekannt und wird vielerorts verehrt. „Das Buch, das mich in meinem ganzen Leben am meisten erleuchtet hat“, nannte sie Johann Wolfgang von Goethe. „Das Tiefste und Erhabenste, was die Welt aufzuweisen hat“, sah Wilhelm von Humboldt in ihr.
Jeder, der sich mit traditionellem Yoga beschäftigt, wird früher oder später Bekanntschaft mit der Bhagavad-Gita machen. Sie zählt zu einem der Quellentexte des Yoga und bei Yogalehrer-Ausbildungen gehört sie standardmäßig auf die Lektüreliste – so wie auch vor einigen Jahren bei meiner Ausbildung. Allerdings muss ich zugeben, dass ich lange Zeit recht wenig mit ihr anfangen konnte. Ich bekam einfach keinen Zugang zum Dialog zwischen Arjuna und Krishna, fand die Verse oft verwirrend und manchmal sogar widersprüchlich.
Doch nach einer Weile hat die Weisheit der Gita mein Herz erobert. Sie gibt mir Inspiration, Klarheit, Mut, Zuversicht und Trost und rückt Dinge in neue Perspektiven, wenn ich mal wieder den Kopf verliere. Sie ist für mich ein Spiegel, indem ich mich selbst erkennen kann.
Ein Praxisbuch fürs 21. Jahrhundert
Es ist schon spannend: Ein Buch, das vor rund 2000 Jahren niedergeschrieben und wahrscheinlich noch viel früher mündlich überliefert wurde, liefert mir Antworten auf Fragen meines modernen Lebens. Schon oft habe ich auch von anderen gehört, dass das Lesen in der Gita immer wieder zu neuen Aha-Momenten führt oder dass sich auch nach mehrfachem Studieren plötzlich ganz neue Aspekte preisgeben – je nach dem, an welchem Tag und auf welcher Seite man sie gerade aufschlägt. Sie kommt mir oft wie eine Schatzkiste vor, die immer genau das für mich hervorzaubert, was ich gerade brauche.
Ein Grund hierfür ist bestimmt, dass es sich bei dem „Gesang des Erhabenen“ (bhagavat = der Erhabene, gita = Gesang) um einen unglaublich facettenreichen Text handelt. Er ist eine reiche Quelle indischer Kultur, Mythologie und Religion und einer der wichtigsten und einflussreichsten philosophischen Texte der Inder, indem die Lehren des Yoga, Vedanta und Samkhya beleuchtet werden. Das alles findet sich eingewoben in eine spannende Erzählung:
Kurz vor einem gewaltigen Krieg auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra, so der Mythos, wird Arjuna, ein indischer Königssohn und sonst furchtlose Krieger, von riesiger Angst und Zweifeln gepackt. Er steht einer feindlichen Armee gegenüber, bereit für die Schlacht um sein rechtmäßiges Königreich. Allerdings befinden sich unter seinen Gegnern auch seine früheren Freunde, Lehrer und Familienangehörigen.
Was also tun? Kämpfen oder fliehen? Bedauern oder Pflichten erfüllen? Und überhaupt: Was ist eigentlich der Sinn dieses vergänglichen Lebens, das uns vor solche zermürbenden Herausforderungen stellt?
Es ist sein Freund und Wagenlenker Krishna, der sich im Verlauf der Handlung als Reinkarnation des Gottes Vishnu zu erkennen gibt, der ihm in dieser besonders schweren Zeit zur Seite steht. Im Dialog entfalten sich Weisheiten über die zentralen Themen des Lebens. Nun geht es nicht mehr um die mögliche Konsequenz einer unmittelbaren Handlung, sondern um die Natur der Handlung selbst. Es geht nicht mehr um eine richtige oder falsche Entscheidung, sondern um das Durchschauen der Dualität, die uns in solchen Kategorien denken lässt. Es geht nicht mehr um den physischen Tod auf dem Schlachtfeld, sonder um die Erkenntnis, das wir unsterblich sind.
Kurukshetra wird so zum Austragungsort eines inneren Kampfes, den wir alle nur zu gut kennen. Jeder von uns findet sich im Laufe seines Leben einmal in Situationen wieder, in denen er nicht mehr weiter weiß und vielleicht sogar den Lebensmut verliert. Darum können wir uns alle mit Arjuna identifizieren, auch wenn wir keinen Pfeil und Bogen in der Hand halten, und Krishna spricht direkt zu uns, wenn wir uns dafür öffnen.
Die Weisheit der Bhagavad-Gita ins tägliche Leben holen
Im Vorwort seiner Edition Bhagavadgita – Der Gesang Gottes. Eine zeitgemäße Version für westliche Leser, welche ich dir gerne ans Herz legen möchte, schreibt Autor Jack Hawley: „Die Bhagavadgita zu lesen heißt, sanft hin- und herzupendeln zwischen dem Kopf und dem Herzen, zwischen dem Weltlichen und dem Spirituellen, und dabei eine Brücke zu schlagen zwischen dem Erlangen von Erkenntnissen und deren Anwendung in der heutigen wirklichen Welt. In diesem Pendeln von der menschlichen zur göttlichen Dimension unserer selbst liegt die geheime, durchdringende Kraft der Gita, ihre Fähigkeit, uns zu erheben und zu bewegen.“
Und genau das wollen wir in dieser neuen Serie „Die Bhagavad-Gita im Alltag“ tun! Wir wollen eine Brücke schlagen zwischen dem Erlangen von Erkenntnissen und der Anwendung im tägliche Leben! Bist du dabei?
Dazu beschäftigen wir uns im zweiten Artikel dieser Serie mit dem Yoga der Tat: Karma-Yoga.
Zum Weiterlesen:
Jack Hawley: Bhagavadgita – Der Gesang Gottes. Eine zeitgemäße Version für westliche Leser, Goldmann Verlag 2002. Ins Deutsche übersetzt von Peter Kobbe