Wo viel Licht ist, ist viel Schatten. Sich der eigenen zerstörerischen Kraft bewusst zu werden, erfordert jedoch Mut. Kultivieren wir diesen, werden wir möglicherweise mehr Frieden auf der Welt schaffen, als uns jetzt noch bewusst ist.
Neid und Missgunst zwischen Yogalehrerinnen
Vor vielen Jahren lernte ich eine Yogalehrerin kennen, die mir erzählte, dass es in ihrem Yogastudio viele „stutenbissige Yogalehrerinnen“ geben würde. Ich war erstaunt über diesen Begriff, weil ich ihn zum ersten Mal in Bezug auf Frauen hörte und darüber hinaus noch erstaunter war, dass zwischen Yogalehrerinnen so viel Neid und Missgunst herrschte. In den darauffolgenden Jahren begegnete mir dieses Thema immer wieder, wenn ich mich mit Yogalehrerinnen unterhielt.
Neid, Missgunst und Eifersucht bleiben also doch nicht am Eingang des Yogastudios stehen. Und sie transformieren sich auch nicht ohne unser Zutun. Sich den eigenen Schattenseiten jedoch offen und ehrlich zuzuwenden, kann ein sehr schmerzhaftes Gefühl auslösen. Dann müssen wir uns selbst eingestehen, dass wir doch nicht so heilig und mitfühlend sind, wie wir es gerne wären.
Neid erkennen
Letzte Woche fiel mir ein Buch in die Hand, welches sich ebenfalls mit der dunklen Seite in uns Frauen beschäftigt. Toxische Weiblichkeit von Sophia Fritz. Als ich den Titel las, fiel mir die Yogalehrerin ein, die mich auf die stutenbissigen Yogalehrerinnen aufmerksam gemacht hatte. Ein kluges und ehrliches Buch, welches sich mit dem Neid, den überzogenen und nicht erfüllbaren Rollenerwartungen sowie dem sozialen Druck auseinandersetzt, dem wir Frauen ausgesetzt sind.
Dieses Phänomen ist auch in der Yogaszene und insbesondere aus den sozialen Medien bekannt. Es sind die charmanten Yoginis, die andere Frauen, die auch Yoga praktizieren, mit ihrem makellosen Körper, wunderschönen Outfits und strahlend junger Haut unbewusst unter Druck setzen.
Sie strahlen auf ihren Bildern, doch so schön die Fotos auch sind, die dort gepostet werden, so problematisch ist das, was sie bei anderen Frauen auslösen können: Neid, Eifersucht und Hass. Es sind sehr unangenehme Gefühle. Solche, die wir auf den ersten Blick nicht in einer spirituellen Szene erwarten, in der es um bedingungslose Liebe, Verbundenheit und Ichlosigkeit geht. Aber scheinbar werden diese Attribute unbewusst durch die stylischen Auftritte in den sozialen Medien geschürt. Diese am eigenen Selbstwert nagenden Gefühle werden aus der Tendenz, uns selbst mit anderen zu vergleichen, destilliert und rauben uns jegliches Gefühl von Schwesternschaft oder Verbundenheit.
Den Neid überwinden
Selbst dann, wenn Yoginis im Yogastudio oder auf Yoga Festivals zusammen OM SHANTI SHANTI SHANTI tönen und der Wunsch nach Verbundenheit groß ist, so haben sich der Neid und die Eifersucht bei vielen unbewusst mit auf die Yogamatte geschlichen.
Eigentlich verwunderlich, denn selbst in der Yogaszene, egal ob auf Festivals oder in den sozialen Medien, sollte es doch eher ums Sein und nicht ums Haben gehen. Und trotzdem kursieren die Fragen: Wer hat das schönste Outfit? Wer trägt die schönste Mala? Wer hat die hippste Matte? Wer ist die schönste Yogini im ganzen Land?
Auch wenn wir es nicht wollen, so stehen viele Frauen in einer spirituellen Tradition, in der es darum geht, die Anhaftungen hinter sich zu lassen, unter einem enormen Druck und Konkurrenzkampf. Und darum legen sich so viele Frauen ins Zeug, um bloß in einem guten Licht da zu stehen. Je spektakulärer der Ort, an dem die Fotos für den eigenen Instagram-Account gemacht werden, desto besser! Je mehr Klicks und Likes, desto selbstsicher fühlen wir uns. Und anstatt sich mit den anderen zu solidarisieren, geht es unbewusst bei vielen darum, mindestens genauso viele Likes zu erhalten. Oder besser noch: Die anderen zu übertrumpfen.
Es geht manchmal so weit, dass manche Frauen viel mehr von sich zeigen, als sie eigentlich zeigen wollen. Sie bieten sich der Welt an mit all dem, was sie erleben, wo sie sind, wem sie begegnen und wen sie lieben. Sie teilen permanent Updates mit der Welt, was sie gerade tun oder bald tun werden. Jeder soll sehen, wie glücklich sie scheinbar dabei sind.
Die Autorin Sophia Fritz macht in ihrem Buch deutlich, wie weit verbreitet das Phänomen der toxischen Weiblichkeit ist und wie wenig bewusst wir uns dessen sind. Anstatt uns aus diesem Spiel zu befreien, bei dem keine gewinnen wird, haben wir uns davon so sehr in den Bann ziehen lassen, dass wir uns selbst und die Achtung vor uns verlieren. Mit der Zeit wird die Erschöpfung immer größer und das Gefühl, nicht mithalten zu können, siegt, weil die anderen Frauen doch schöner, jünger und faltenloser sind. So überrascht es nicht, dass manche Yoginis ernsthaft mit dem Gedanken spielen, sich ihr Gesicht aufspritzen zu lassen.
Verbundenheit erkennen
Anstatt uns von dieser toxischen Weiblichkeit auffressen zu lassen, die ein deutliches Merkmal einer kranken Gesellschaft ist, sollten wir aus diesem ungesunden Spiel aussteigen. Wir sollten diesem mentalen Gift den Kampf ansagen und Schluss machen mit Neid, Rivalität, dem falschen Lächeln und Fake-News über unsere Befindlichkeit.
Wenn wir uns endlich wieder als das betrachten würden, was wir sind, nämlich Menschen mit Ecken und Kanten, Röllchen und Falten, könnten wir den spirituellen Weg des Yoga wieder entspannter gehen und ihn als etwas genießen, was er sein möchte: Ein Weg der Befreiung.
Wenn wir aufhören, uns gegenseitig etwas vorzumachen, und uns eingestehen, dass hinter all dem Lächeln so viel Angst, Unsicherheit und Wunsch nach Verbundenheit steckt, dann könnten wir wieder aufeinander zugehen und erkennen, dass wir mit all unseren Wünschen und Bedürfnissen nicht allein sind. Und dann können wir auch das tun, was wir doch eigentlich möchten: Einander verstehen, einander wertschätzen und einander auf dem Weg zur inneren und äußeren Freiheit unterstützen.
Zum Weiterlesen:
Sophia Fritz. Toxische Weiblichkeit, Hanser Berlin, 4. Auflage, 2024