Yoga und Meditation sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Zahlreiche Forschungen belegen, dass sie uns körperlich, mental und seelisch sehr stärken können. Besonders das tägliche Sitzen in Stille kann viele Ressourcen aktivieren und die Selbstwirksamkeit stärken – vorausgesetzt, wir haben ein reguliertes Nervensystem und leiden nicht unter traumatischen Erfahrungen. Ist dies der Fall, können bestimmte Yogapraktiken oder spezifische Meditationen eher zur Hölle werden. Deshalb brauchen Menschen mit traumatischen Erfahrungen andere Anleitungen als Menschen, die ein ausbalanciertes Nervensystem haben. Gleichzeitig können aber Menschen mit traumatischen Erfahrungen von einer spirituellen Praxis, die auf ihre eigenen Bedürfnisse angepasst ist, sehr profitieren, so dass dann auch das stille Sitzen, das achtsame Gehen oder Wahrnehmen zu einer großen Kraftquelle werden kann.
Meditation und ein dysreguliertes Nervensystem
Unter Meditation verstehe ich hier die traditionelle Meditation, bei der man über einen bestimmten Zeitraum hinweg bewegungslos dasitzt. Klassische Meditationen dauern 20 bis 40 Minuten. Während dieses Zeitraums ist die eigene Aufmerksamkeit nach innen gerichtet, um sich hier der eigenen Körperempfindungen, der eigenen Gedanken und Gefühle als Beobachter gewahr zu werden, ohne von irgendeinem der Inhalte überflutet zu werden oder sich mit ihnen zu identifizieren.
Allerdings ist eine Zeitspanne von 20 – 40 Minuten mittlerweile auch schon für Menschen mit einem gesunden Nervensystem zu einer großen Herausforderung geworden. Der ständige Konsum der digitalen Medien reizt das Nervensystem und reduziert die Konzentrationsfähigkeit mit der Zeit immer mehr, so dass es den meisten Menschen mittlerweile immer schwerer fällt, still zu sitzen, die Augen zu schließen und die Aufmerksamkeit nach innen zu richten.
Für Menschen mit einem Trauma-Hintergrund kann eine Meditation aber noch viel schwieriger werden: Sie können hier das absolute Gegenteil von Stille erfahren. Besonders dann, wenn sie nicht gelernt haben, ihr eigenes Nervensystem zu regulieren. Dann kann die innere Unruhe den eigenen Körper zum größten Feind machen. Oder aber wenn alte, verschüttete traumatische Erfahrungen plötzlich hochgespült werden und Bilder, Gefühle oder unangenehme oder schmerzvolle Körperempfindungen die Meditierenden überfluten.
Sehnsucht trifft auf Realität
So erging es mir selbst. Ein tiefsitzendes, langjähriges Entwicklungstrauma machte es für mich über viele Jahre fast unmöglich, eine längere Meditation oder ein Stille-Retreat von Anfang bis Ende gut durchzustehen. Und dass, obwohl meine Sehnsucht, ruhig wie ein Buddha da zu sitzen, sehr groß war. Den Wunsch, längere Zeiträume in Klöstern oder Meditationszentren zu verbringen, hatte ich bereits als junge Frau verspürt. Aber jedes Mal, wenn ich an einem Stille-Retreat teilnahm, wurde ich körperlich krank oder von so starken Gefühlen der Trauer, Angst oder Wut übermannt, dass ich das Retreat verlassen musste, ohne den dahinterliegenden Grund dafür zu erkennen. Damals war das Wissen um die Wirkung von Trauma in der Meditation oder in der Yogapraxis auch bei Meditations- oder Yogalehrern noch nicht sehr verbreitet.
Mir erging es dabei so wie vielen anderen Menschen, die nicht um ihre traumatischen Erfahrungen wissen: Ich steckte in alten Überlebensstrategien wie einem dissoziativen Flucht-, Kampf-, oder Erfrierungsmechanismus fest, erkannte diese Tendenz allerdings nicht. Auch wenn mein Wunsch nach Stille im Kopf, Beruhigung meiner Gedanken und einem entspannten Körper groß war, so passierte jedes Mal das Gegenteil, wenn ich versuchte zu meditieren: Ich fühlte mich bereits nach wenigen Minuten unruhig und konnte diese innere Anspannung nicht halten, so dass ich bereits nach kurzer Zeit vom Meditationskissen aufsprang und wieder irgendetwas anderes tat. Oder aber ich zwang mich dazu „durchzuhalten“ und fühlte mich danach häufig wie von der Welt getrennt, anstatt mich – so wie es eigentlich sein sollte – verbundener mit allem zu fühlen. Ähnlich erging es mir auch lange mit der Yogapraxis. Eine Endentspannung war für mich immer wie eine Höllenfahrt, weil ich es nicht aushielt, lange regungslos am Boden zu liegen.
Hinzu kam, dass ich es als sehr deprimierend erlebte, wenn ich ein Retreat besuchte und alle anderen Teilnehmer von Anfang bis Ende während der Meditation still auf ihrem Kissen saßen, ich den Raum hingegen bereits oft nach zwei Meditationseinheiten verlassen musste, weil ich die Ruhe körperlich und mental nicht mehr aushielt. Auch konnte ich es kaum aushalten, dass in den Yogaklassen alle tiefenentspannt wirkten, ich aber unruhig da lag und nur darauf wartete, dass die Shavasana-Sequenz endlich zu Ende ging.
Mit dieser Erfahrung war ich nicht allein. Es gibt aber auch noch andere schwierige Erfahrungen: So kann die Vorstellung von inneren Bildern dazu führen, dass sie sich plötzlich in Horrorbilder wandeln oder das Verbinden mit bestimmten Stellen im Körper kann bei Meditierenden mit Trauma-Hintergrund dazu führen, dass sie von Angst oder Unruhe überflutet werden. Ober aber sie haben plötzlich das Gefühl, sich von sich selbst, von anderen und dem Leben abgeschnitten zu fühlen.
Flucht in himmlische Sphären
Es gibt aber auch Menschen, die sich nicht so schnell abhalten lassen und sich selbst immer wieder aufs Kissen zwingen. Auch hier kann es passieren, dass sie nicht offener und weiter werden, sondern dass sie sich von sich selbst innerlich abspalten und in irgendwelche himmlischen Sphären flüchten. Sie haben dann zwar das Gefühl, dass sie spirituell sind und glauben nicht selten, dass sie noch viel spiritueller sind als andere, weil sie Begegnungen mit anderen Wesenheiten machen. Für mich stellt sich an dieser Stelle aber immer die Frage, ob sie sich nicht einfach nur in eine andere, geistige Sphäre flüchten und nicht in der Lage sind, im Hier und Jetzt anzukommen, oder ob sie tatsächlich Kontakt mit anderen Wesenheiten hatten?
Freiwilligkeit als oberstes Gebot
Wer sich als Mensch mit traumatischem Hintergrund selbst dazu zwingt oder sich von Kursanbietern überreden lässt, sich in Meditationen mit inneren Anteilen oder dem eigenen Schatten auseinanderzusetzen, ohne die entsprechende fachliche Begleitung an seiner Seite zu haben, der kann sogar erfahren, dass er noch mehr aus der eigenen Mitte herausfällt.
Solltest du ein ungutes Gefühl haben oder sich sogar Angst vor einer solchen Innenschau in dir breit machen, solltest du dich auf keinen Fall dazu zwingen. Es braucht ein Gefühl von Sicherheit und Offenheit, Mut und Selbstverantwortung, sich den eigenen dunklen Schatten oder unverarbeiteten Aspekten zu stellen. Niemand darf und sollte einen anderen Menschen dazu zwingen, etwas zu reflektieren oder zu konfrontieren, was man selbst nicht möchte.
So dürfen auch Yoga- oder Meditationslehrerende keine Teilnehmende dazu zwingen, in eine Haltung zu gehen oder zu bleiben, wenn der Teilnehmer es selbst nicht ausdrücklich wünscht. Genauso wenig kann man von einem Menschen verlangen, still und steif wie eine Salzsäule in der Meditation dazusitzen.