Gesunde Ernährung gehört heute wie selbstverständlich zu einem bewussten Lebensstil. Wer auf sich achtet, macht sich Gedanken über Einkauf, Lebensmittelzusammenstellung und Lebensmittelqualität. Besonders angesehen, wer dabei auf fairen Handel dringt, zum Beispiel mit Ländern aus der dritten Welt – und so auch anderen die Möglichkeit gibt, einen aus ethischer Sicht vertretbaren Lebensstandard zu verwirklichen.
Was ist eigentlich gesunde Ernährung? Darüber gab es in der Vergangenheit viele, sich teilweise widersprechende Meinungen, von der Vollkorn-Müsli-Richtung über Rohkost und Makrobiotik… Heute jagen sich die Horrormeldungen über vergiftete Nahrungsmittel, Tierseuchen und Betrugsdelikte in der Lebensmittelindustrie und färben dadurch unser Bewusstsein für Ernährung. Solche Berichte machen berechtigterweise Angst, lösen Misstrauen aus und können zu einer Entfremdung führen, wenn keine adäquate Handlung erfolgt. Viele verzichten deshalb heute von sich aus auf Kaffee, Milchprodukte, Weizenprodukte, Fleisch …, weil der Gesundheitswert zweifelhaft, bzw. die Kontaminierung bekannt ist.
Im Gesundheitszentrum Weg der Mitte im Kloster Gerode, wo tausende von Menschen beherbergt und beköstigt werden, beobachten wir, dass die Zahl derer, die sich schon vorab telefonisch genau erkundigen, wie und mit welchen Zutaten gekocht wird, enorm steigt. Da wir Nahrungsmittelunverträglichkeiten nach Möglichkeit individuell berücksichtigen, steht der vegetarischen Vollwertkost immer öfter ein individuell abgesprochenes, alternatives Angebot zur Seite. Je nach dem – ohne Gewürze, ohne Milchprodukte, ohne Soja und vieles mehr.
Nicht selten haben wir uns mit Gästen unterhalten, die sich in ihrer Diät aufs engste einschränkten – soweit, dass manchmal nur einzelne Gemüsesorten oder ein einziges Getreide zu ganz bestimmten Tages- und Nachtzeiten gegessen werden durften. Bei näherem Nachfragen stellten wir oftmals erstaunt fest, dass diese Diäten keineswegs aufgrund einer schweren Krankheit von einem Arzt, Heilpraktiker oder Ernährungsberater empfohlen wurden, sondern sozusagen selbstauferlegt waren. Hier schien eine starke Übertreibung von sogenannter gesunder Ernährung vorzuliegen.
Tatsächlich wurde auch von wissenschaftlicher Seite her (erstmalig 1997 von Dr. Steve Bratmann) dieses Phänomen als „Orthorexia nervosa“, sogenanntes zwanghaftes „Gesundessen“ beschrieben: Eine Essstörung, die durch selbstauferlegte strenge Diät, dogmatisches Denken, sehr zeitaufwendige Nahrungszubereitung bzw. Menüplanung gekennzeichnet ist und oft mit starken Gefühlsschwankungen einhergeht: Hält die betroffene Person die selbstauferlegte Diät ein, so herrscht das Gefühl von Reinheit, Willensstärke und sogar Heiligkeit vor. Verstößt die Person dagegen, so fühlt sie sich schuldig, schwach und schmutzig. Auch die sozialen Kontakte werden durch die starke Fixierung auf das […]