Essen ist ein sehr verantwortungsvolles und zugleich intimes Thema. Wir essen jeden Tag, und darum ist es wichtig, sich bewusst damit auseinanderzusetzen!
Es geht dabei nicht nur darum, was wir unserem Körper zuführen, sondern auch darum, welche Auswirkungen unsere Ess-Entscheidungen auf unsere Umwelt haben. In diesem Kontext ist Fleischkonsum ein besonders kontroverses Thema, das immer wieder für aufgewühlte Gemüter sorgt – häufig auch in der Yogaszene.
Einer der Hauptgründe, warum viele Yogis bewusst kein Fleisch essen, ist das Prinzip von Ahimsa, der Gewaltlosigkeit allen Wesen gegenüber. Patanjali macht es in seinem Yogasutra in den Yamas, den ethischen Empfehlungen, zu einer wichtigen Grundsäule des Yoga.
Die Frage, die mich in diesem Sinne aktuell umtreibt, ist nicht, ob nur eine fleischlose oder sogar rein pflanzliche Ernährung im Einklang mit den klassischen yogischen Prinzipien ist und mich meinem Wunsch nach Erleuchtung näher bringt. Hierauf habe ich im Laufe der Jahre viele verschiedene Antworten gefunden. Mal schien die eine für mich „richtig“, plötzlich wieder eine andere. Der ganz persönliche Konsens, den ich mir daraus gebildet habe, und nach dem ich nun meine Ernährung ausrichte, fühlt sich in diesem Moment für mich stimmig an. Bleibt achtsam abzuwarten, wie lange ich das so empfinde.
Was mich gerade vielmehr beschäftigt, ist die Art und Weise, wie wir das wichtige Ahimsa-Prinzip heute in Bezug auf das Thema „Tiere essen“ anwenden – und das über den Tellerrand hinaus betrachtet.
Ein spiritueller Fallstrick
Das Thema „Tiere essen“ ist nicht nur sehr heikel und emotional aufgeladen, sondern noch dazu höchst tückisch. Es ist geradezu ein spiritueller Fallstrick, in den wir allzu leicht und nichts ahnend hineintappen können – ich selbst habe mich hier schon sehr häufig verheddert.
In diesem Leben habe ich schon einiges an Energie darauf verwendet, mit Freunden, Fremden und Familienmitgliedern zu diskutieren und vermeintliche Totschlagargumente vorzubringen, warum nur eine vegetarische oder noch besser eine vegane Ernährung politisch, ökologisch, ökonomisch, gesundheitlich und spirituell gesehen richtig sei. Meine Beweggründe schienen mir dem Mitgefühl entsprungen und im Einklang mit der yogischen Philosophie. Ich wollte ja nur das Beste für meine Mitmenschen, Tiere und Umwelt. Irgendwann werden sie es schon verstehen, dachte ich. Oder sie sind einfach nur zu ignorant.
Wie konnte ich damals nur Tiere essen, habe ich mich selbst vorwurfsvoll gefragt. Schließlich hatte ich Dokus über Schlachthäuser gesehen. Schließlich wusste ich, wie sich die heutige Fleischindustrie auf das sensible Gleichgewicht der Natur auswirkt. Trotzdem habe ich immer wieder zur Bolognese gegriffen. Ignoranz, ein Mangel an Selbstdisziplin und fehlende Empathie waren die Diagnosen, die ich mir selbst ausgestellt habe.
Ahimsa bedeutete für mich in Bezug auf meine Ernährung ab einem gewissen Zeitpunkt verbissene Fleischabstinenz. Doch dabei hatte ich etwas Wichtiges übersehen und so in Wahrheit mein Ego – wenn auch vegetarisch – genährt: Ahimsa findet ebenso jenseits des Tellers statt!
Schauen wir uns den Diskurs über Fleischverzicht und Fleischkonsum – und über das Thema Ernährung insgesamt – genauer an, dann können wir schnell feststellen, dass er häufig durchzogen ist von Dogmen und Werturteilen: Nur eine vegetarische / vegane / biologische / fairtrade / regionale… Ernährung sei richtig. Das sollst du essen, jenes nicht. Dies ist richtig, das ist falsch. Du bist, was du isst. Zack! Der Fallstrick ist zugezogen.
Ahimsa im Handeln, Denken und Reden
Aus Liebe und Mitgefühl heraus darauf zu verzichten, Tiere zu essen, kann ein wunderbarer Ausdruck des yogischen Prinzips von Ahimsa sein. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass wir dieses Prinzip nicht nur im Radius von der Gabel bis zum Mund anwenden. Denn Ahimsa bezieht sich nicht nur auf Taten bzw. auf unterlassene, sondern ebenso auf unsere Gedanken und Worte. Unsere Gedanken darüber, dass wir oder jemand anderes Fleisch isst oder nicht, können ebenfalls ein Ausdruck von Gewalt sein. Die Worte, die wir sprechen, können verletzend sein, Leid hervorrufen. Sie können ein Ausdruck einer empfundenen Dualität sein, die sich zwischen den Polen „richtig“ und „falsch“ aufspannt.
Lokah Samastah Sukhino Bhavantu. Mögen alle Wesen frei von Leid sein. Ob du persönlich durch deine Handlungen, aber auch durch deine Gedanken und Worte, mehr dazu beitragen kannst, dass alle Wesen frei von Leid und glücklich sind – diese Frage kannst du dir immer nur selbst beantworten. Um deinen ganz persönlichen Konsens hierbei zu finden, lade ich dich ein, dich zunächst selbst liebevoll zu beobachten.
Aus Liebe heraus zu sein, bedeutet, einen anderen Menschen nicht dafür zu verurteilen, was er isst oder tut, denn in diesem Moment erheben wir uns über ihn. Es beutet auch, sich selbst nicht dafür zu verurteilen. Ahimsa ist eine innere Haltung. Wenn wir dieses kosmische Prinzip verinnerlichen, kultivieren wir universelle Liebe.