Vom rechten Maß beim Atmen.
Ich erinnere mich noch lebendig an ein Wochenende in Wien vor einigen Jahren. Im Rahmen einer Yogalehrerausbildung sollte ich zwei Tage lang über Yogaphilosophie sprechen. Natürlich gehörte auch Praxis dazu: sanfter Pranayama. Das Wochenende sollte sich indes anders entwickeln als geplant: Anstelle von Yogaphilosophie ging es zwei Tage ums Atmen und die zahlreichen Schwierigkeiten, die viele in der Gruppe damit hatten, besonders vor dem Hintergrund des vorausgehenden Wochenendes ihrer Ausbildung, an dem sie einen modernen Yogastil praktiziert hatten, bei dem sie immer wieder massiv verstärkt atmen, mit anderen Worten: hyperventilieren, sollten.
Eine Teilnehmerin der Gruppe fiel mir auf, da sie ungewöhnlich ruhig, langsam und weich-fließend atmete. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie, dass sie so starke Atemprozesse nicht mitgehen könne, da sie sich dabei immer sehr unwohl fühle: kalte Extremitäten, Erschöpfung und Schwindel, manchmal bis hin zum sprichwörtlichen „Mir wird schwarz vor Augen“. Man hätte ihr im Yogaunterricht schon ein paarmal gesagt, dass mit ihrer Atmung „irgendetwas nicht stimmen könne“, und ihr geraten, „doch mal zum Arzt zu gehen“. Ein Rat, dem sie folgte, indem sie sich von verschiedenen Ärzten gleich mehrfach untersuchen ließ – freilich mit dem Ergebnis, dass man keinerlei Probleme bei ihr fand. Das eigentliche Problem lag nicht bei ihrer Atmung, sondern vielmehr in der falschen Erwartung ihrer Lehrer, sie müsse solch intensives Atmen üben können – tatsächlich eine ganz falsche Annahme. Denn bei manchen führt dies nicht bloß zu kurzfristigen Kreislaufproblemen wie bei ihr, sondern es kann Panik- oder schwere Asthmaanfälle auslösen. Ich riet ihr jedenfalls, sich von keinem Menschen mehr ihre natürliche, sanfte und gesunde Art zu atmen ausreden zu lassen.
Die Breathwork-Welle
Der Atem braucht, wie alles andere im Leben, in jeder Situation sein rechtes Maß, doch oft wird das Gegenteil angenommen oder behauptet. Eine riesige kommerzielle Breathwork-Welle, ausgehend von den USA, schwappt derzeit über die Welt mit Versprechungen, die zuweilen so groß anmuten wie die Atemzüge, die die Leute auf den Events tun: Da ist vollmundig von Heilung und lebensverändernder Transformation die Rede, und dies manchmal in nur einer einzigen Sitzung, deren Kernstück nichts anderes als willentliche Hyperventilation ist. Gerade jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, erinnere ich mich an eine taoistische Weisheit: „Hüte dich vor einfachen Wegen, […]