Die Seuche des 21. Jahrhunderts? Zwei ehrliche Erfahrungsberichte.
In unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft, die den persönlichen und wirtschaftlichen Fortschritt so zielstrebig vorantreibt, gibt es schon seit Jahren fast unsichtbare Opfer, die dem materialistischen System mit seinem Motto „schneller, höher, stärker“ nicht mehr gewachsen sind.
Ein Ausgleich für den anstrengenden Berufsalltag ist nicht einmal in der Freizeit erwünscht. Entspannung, Ruhe und „süßes Nichtstun“ sind beinahe verpönt. Sport, Aktivität und ständige Verfügbarkeit auch an Feierabend und Wochenende über Handy und Computer sind längst selbstverständlich. Als Folge eines nicht enden wollenden Erfolgsdrucks und ununterbrochener Zwangskommunikation und -information entsteht das „Burn-out-Syndrom“. Zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr könnte eine gravierende Veränderung der Lebensweise einsetzen, die in der persönlichen Entwicklung jedes Menschen angelegt ist. Körperliche und geistige „Fitness“ sollten sich langsam in Weisheit, Spiritualität und essenzielle Effektivität verwandeln. Aber die Politik braucht ewig junge, produktive, Geld anhäufende Bürger, um die steigenden Kosten der allgegenwärtigen persönlichen Bereicherung und Misswirtschaft zu finanzieren.
Der Begriff Stress entstand erst nach dem zweiten Weltkrieg im Zusammenhang mit traumatischen Kriegserfahrungen. Wir haben innerhalb von 75 Jahren unseren Leistungspegel so hochgeschraubt, dass in unseren Körpern täglich Gesundheitsgefährdendes geschieht. Biochemisch betrachtet, erleben wir unbemerkt dasselbe wie ein Soldat im zweiten Weltkrieg an der Ostfront im Schützengraben. Das ist schockierend.
Nach den Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer stieg die Anzahl der Krankmeldungen wegen eines Burn-outs in Deutschland zwischen 2004 und 2012 um 700 % – eine alarmierende Entwicklung. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, ist das Burn-out-Syndrom wissenschaftlich nicht als Erkrankung anerkannt. Im ICD-10 (ICD-10 ist die gültige Ausgabe 10 des „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“) gilt es als „Problem der Lebensbewältigung“, während es im „Diagnostischen und Statistischen Handbuch Psychischer Störungen“ als Form der Depression klassifiziert wird. Einfach ausgedrückt, ist der Mensch im wahrsten Sinne des Wortes ausgebrannt, erschöpft und ruhebedürftig, gleichzeitig aber hochmotiviert, die eigenen Bedürfnisse zu ignorieren.
Die moderne Psychotherapie unterscheidet, ansteigend nach der Ausprägung der Probleme, fünf verschiedene Stufen. Die fünfte und letzte wird als „Knock-out“ bezeichnet. In dieser Phase ist es dem Patienten nicht einmal mehr möglich, durch eigene Kraft aus dem Bett zu kommen oder sich selbst angemessen zu versorgen. Zwischen den Phasen 1 und 5 setzt sich das Syndrom des […]