YOGA AKTUELL sprach auf der letzten YOGA CONFERENCE GERMANY bei Hafer-Latte und veganem Kuchen mit Barbra Noh über die letzten zwei Jahre: Es ging um das immer schneller werdende Hamsterrad, die digitale Erschöpfung und den „Screen Burn Out“, den Energiehaushalt und die globale Vata-Störung.
INTERVIEW
YOGA AKTUELL: Neulich habe ich auf Social Media einen Post von dir gesehen, wo du über eine Erschöpfung der letzten Jahre gesprochen hast. Auch am Samstag in der „Vata Balance Class“ auf der YCG hast du viele Dinge angesprochen, bei denen auch ich mich sehr abgeholt gefühlt habe. In den Pandemiejahren ist so viel passiert: Um uns herum, aber auch in uns. Barbra, was haben die letzten zwei Jahre mit dir gemacht und wie war es auch vor allem für dich als Yogalehrerin?
Barbra Noh: Gestern in dem Vata-Workshop habe ich ganz bewusst nicht über Covid, sondern vielmehr über die Effekte und Wirkungen der Pandemie gesprochen. Im Grunde geht es bei Vata um das Prinzip Stress, um Bewegungen, Veränderungen, das Nervensystem, Schmerzen, Ängste, eine mentale Überaktivität, viele Gedanken oder Sorgen und Schlaflosigkeit, etc. Und ich glaube, dass wir mittlerweile überall auf der Welt eine Vata-Störung haben. (lacht) Auf der YOGA CONFERENCE GERMANY meinte jemand zu mir, dass wir jetzt zweieinhalb Jahre lang „constantly on alert“ – also dauernd im Alarmzustand – waren… Und das trifft so zu!
Als Yogalehrerin und Ausbilderin habe ich mich immer gefragt, was als Nächstes passieren wird und wie ich mein Training in der nächsten Woche anbieten muss, damit es den Vorgaben des sich immer ändernden Bayrischen Infektionsschutzgesetzes entspricht – mit der Hoffnung, es richtig verstanden und umgesetzt zu haben…
Die letzten Jahre stellten einen vollkommen neuen Zustand für uns alle dar: Wir konnten auf einmal weniger über unser Leben bestimmen. Und dabei sind wir hier in Europa eigentlich sehr verwöhnt, weil nahezu alles funktioniert: Das Gesundheitssystem, der Arbeitsmarkt, Frauen können selbstbestimmt und frei leben. Wir sind so ein großes Maß an Freiheit gewöhnt gewesen – und all das wurde uns weggenommen. Wir wurden zu Hause eingesperrt, konnten auf einmal nichts mehr unternehmen, nicht mehr in den Urlaub fahren oder ins Café gehen. Wir haben Einschränkungen erlebt, die wir so nicht kannten – und das hat uns vor allem psychisch sehr herausgefordert.
Genau in der Zeit war der Yoga für viele ein großer Anker. Ich musste zwar zu Hause bleiben, konnte aber immerhin praktizieren und mich so gehalten fühlen. Darüber hatte Doris Iding auch einmal in einem Interview mit Nicole Bongartz gesprochen, dass der Yoga durch die Pandemie eine neue Wertigkeit bekommen hat. Aber wie war es für dich als hauptberufliche Lehrerin während der Pandemie. Konntest du neben dem Unterrichten auch noch selbst den Segen des Yogas für dich auf der Matte finden oder war es einfach zu viel?
Also ich kann jetzt nicht behaupten, dass alles spurlos an mir vorbeigegangen ist und ich alles im Griff hatte, nur weil ich Yoga gemacht habe. Ich musste sehr stark auf meine Self-Care achten und habe gemerkt, wie wichtig Prioritäten sind: „Was schaffe ich, was schaffe ich nicht? Wie viel Zeit brauche ich, um mich zu regenerieren und mich zu erholen?“ Es hat nicht ausgereicht, einfach nur noch mehr Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen, zu meditieren und Yoga zu machen, obwohl das definitiv geholfen hat, mich nicht wie ein komplettes Wrack zu fühlen. (lacht)
Gerade im anfänglichen Lockdown hatten viele Yogalehrer das Gefühl, jetzt ganz viel Zeit für Fortbildungen etc. zu haben. Alles war online und man konnte sich im eigenen Tempo weiterbilden, was aber bei dem üppigen Online-Angebot für die Konsumenten auch eine gewisse Überforderung darstellen konnte – auch mir erging es ein wenig so. Wie war das für dich als Ausbilderin?
Ich hatte weniger das Gefühl, dass ich mich jetzt weiterbilden müsste, sondern vielmehr habe ich mit der Herausforderung zu kämpfen gehabt, alles am Laufen zu halten – ohne zu wissen, wie lange ich das auf diese Art und Weise machen muss.
Im ersten Pandemiejahr habe ich alles gegeben, um meine Ausbildung zu retten, um dann in 2021 zu merken, dass ich energetisch nicht mehr viel auf Reserve habe, um das Ganze noch ein weiteres Mal durch zu halten.
Mir war es sehr wichtig, meine Ausbildungen zu retten und sie trotz allem anbieten zu können. Ich wollte unbedingt, dass etwas Positives innerhalb dieser dunklen Zeit passiert. Auch haben mir so viele Teilnehmer gesagt, dass die Ausbildung das einzig Positive in einer unglaublich schweren Zeit für sie war. Viele von uns wissen, wie bereichernd eine Yogalehrerausbildung ist, aber in den Pandemiejahren hat sie vielen von uns ganz besonderen Halt geschenkt. Und mein Dharma – das, was meinem Leben Bedeutung gibt – ist es, den Yoga mit den Menschen zu teilen und Raum für diese Erfahrung zu geben. Und dabei stehe ich nicht einmal als Person im Mittelpunkt, denn das ist nicht mal notwendig, denn der Yoga funktioniert! Und deshalb war es mir so unglaublich wichtig, diese Art von Erfahrung möglich zu machen.
Für mich persönlich war es die wohl schwerste Zeit meines Lebens. Für mich wie für so viele andere Menschen auf der Welt auch hat die Pandemie die ganz normalen Schmerzen des Lebens tausendfach schlimmer gemacht, was Trauer, Verlust, Angst und Isolation angeht. Ich war 1,5 Jahre ausgesperrt aus meinem eigenen Land und das hat mich psychisch sehr belastet. Niemand um mich herum hat es verstanden. Es war ein sehr schlimmes Gefühl für mich, nicht zu wissen, wann ich wieder meine Familie sehen würde oder in meiner Heimat Australien sein könnte. Im zweiten Pandemiejahr sind dann noch weitere Sachen aus meinem Leben weggebrochen, die mir sonst eine wichtige Stütze waren, sodass es mir für einige Wochen komplett elend ging. Ich hatte ein emotionales Tief erreicht und war für sechs Tage durch Depression einfach komplett gelähmt, so dass ich realisierte, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Mir wurde bewusst, dass ich alles dafür geben musste, meine Psyche und mein mentales Wohlergehen wieder aufzubauen. Denn spätestens ab dann war klar: Die Pandemie dauert wohl noch ein bisschen an.
Und wenn du jetzt auf die letzten Jahre zurückblickst, hast du eine Idee, was dein Learning in all der Schwere sein könnte?
Auch wenn ich das Konzept „Alles passiert aus einem gewissen Grund“ (everything happens for a reason) stark ablehne, so habe ich das Gefühl, dass unser Umgang mit schwierigen Situationen den feinen Unterschied macht. Denn uns widerfahren mitunter schlimme Dinge, aber es liegt an uns, uns mit der Realität der Situation zu verbinden und zu überlegen, was wir damit machen. It’s a choice! Es ist deine Wahl und es liegt an dir, das „Was nun?“ zu beantworten und dein Leben zu etwas Gutem zu wandeln.
Meine persönlich größte Entdeckung war: Ich kann auf Bali sein und an einem Sonntag eine Stunde Online Yoga anbieten und es kommen viele Schüler von ganz Europa dazu. Es hat mir gezeigt, dass ich mein Leben auch anders gestalten kann. Wobei: Es war weniger ein Learning, sondern eher ein: „I found the upside to some of the downsides“. (lacht) Ich habe gemerkt, dass es auch ein paar andere Möglichkeiten gibt, um Schüler zu erreichen und mit Menschen zusammen zu arbeiten. Obwohl ich jetzt nicht vorhabe, nur noch online zu arbeiten.
Ein ganz klares Learning war nämlich, dass ich nur eine begrenzte Zeit vor dem Bildschirm verbringen kann. Ich kann nicht ununterbrochen vor dem Bildschirm arbeiten. Das ist nochmal ganz anders erschöpfend als im Raum mit Menschen. Es geht wortwörtlich auf die Nerven – also auf die Ebene des Nervensystems.. Ich weiß noch, dass ich im Juni 2020 einen totalen „Screen Burn Out“ hatte und nicht mehr auf einen Bildschirm schauen wollte.
Screen Burn Out. (lacht) Erschöpfung gibt es mittlerweile auf wirklich allen Ebenen…
Ich habe bei der YOGA CONFERENCE in die Runde gefragt, ob es sein kann, dass wir gerade eine andere Art von Erschöpfung erleben, die wir so noch nicht kannten. Es ist eine untypische Erschöpfung, die wir noch nicht einordnen können. Denn eigentlich geht es uns ja gut, vielen anderen geht es noch viel schlechter als uns. Auch viele andere Yogalehrer haben es vermutlich viel härter als ich. Ich denke da vor allem auch an meine Freunde, die ihr Yogastudio schließen mussten.
Aber gleichzeitig ist da dieses Gefühl, dass ich 10-mal schneller im Hamsterrad gerannt bin als davor – und das kann ich nicht lange durchhalten. Mir ist dabei die Puste ausgegangen und so möchte ich nicht leben. Das ist mein Rückblick auf die letzten Jahre.
Es war für uns alle einfach anstrengend – und zwar auf eine ganze neue Art und Weise, die wir noch nicht benennen können und noch verarbeiten werden.
Ich persönlich konnte merken, dass es mir unglaublich viel Kraft gegeben hat, als es dann endlich wieder Präsenzunterricht gab und ich die Energie im Raum und die der Schüler spüren konnte. Ging es dir nicht ähnlich?
Es kommt etwas anderes zurück. Am Anfang fand ich es recht schön, an einem Sonntagmorgen einen Online-Workshop zu geben, bei dem Leute aus Wien oder Kopenhagen dazukamen. Früher war ich viel unterwegs und wurde 30-mal im Jahr irgendwo eingeladen, so dass es anfangs mein Highlight war, nicht irgendwo hinfahren zu müssen und trotzdem gemeinsam Yoga machen zu können. Aber es ersetzt den persönlichen Kontakt natürlich nicht.
Ich weiß auch von Freunden, die schon so lange wie ich hauptberuflich Yogalehrer sind, dass wir uns fragen, was unsere persönliche Zukunft sein wird. Und das hängt natürlich mit der Pandemie zusammen, den Veränderungen in der Yogaszene, aber auch die eigene Lebensphase. Wir haben Yoga schon 25 Jahre unterrichtet, sind alle so Anfang, Mitte 50 und in der Zeit kommen sowieso Fragen auf, was jetzt noch kommen wird, was man verändern möchte..
Ganz bald geht es für dich nach Thailand und Bali – hoffentlich wirst du dort die Antworten auf einiger dieser großen Lebensfragen finden. Wir sind auf jeden Fall gespannt und ich bedanke mich jetzt erst einmal bei dir für deine Zeit und das Interview. Danke, Barbra.