In Japan hat man die heilende Wirkung des Waldes erkannt und macht sie sich zu Nutze. „Shinrin Yoku“– übersetzt „forest bathing“ oder „Waldbaden“ – wird bereits erfolgreich in sogenannten Outdoorkliniken praktiziert. Du selbst brauchst aber nicht ins Land der aufgehenden Sonne zu reisen, um diese heilsame Erfahrung zu machen. Hier erfährst du, was der Wald in deiner Nähe dir schenken kann.
Im Sommer dieses Jahres habe ich mich verliebt: in den Bayerischen Wald. Freunde von mir, die dort ein Ayurveda- und Yogazentrum leiten, luden mich ein, dort ein paar Wochen zu verbringen. Stadtmüde nahm ich die Einladung an und lernte einen der in meinen Augen schönsten Wälder Deutschlands kennen.
Der Bayerische Wald liegt an der bayerisch-tschechischen Grenze, ist ca. 100 km lang und bis zu 1456 Meter hoch. Ein Teil des Waldes wurde zum Nationalpark benannt und hat mich von der Struktur her mit seinen Informationszentren und seinem Netz an Wanderwegen sowie seiner Schönheit und Weite auch tatsächlich an Nationalparks in Amerika erinnert.
Berührt werden
Jeden Tag tauchte ich mehrere Stunden in die wohltuende Stille des Waldes ein. Sie nährte mich. Sie belebte mich. Sie brachte mich auch mit dem in Kontakt, was eigentlich zählt: Das pure Sein. Das Sein im gegenwärtigen Moment in tiefer Verbundenheit mit allem. Es gab Momente, in denen ich so tief von der Schönheit des Waldes berührt war, dass mir die Tränen kamen. Zu sehen, dass hier Tausende von Tier- und Pflanzenarten, Pilzspezies, Flechten und Bakterienstämme leben und gedeihen und ihre Schönheit sich vor meinen Augen bedingungslos entfaltet, ging mir sehr nahe. Gleichzeitig war ich in eben diesen Momenten betroffen darüber, wie gnadenlos wir eben diese wunderschönen Wälder zerstören.
Stille erfahren
Besonders nährend empfand ich die Stille des Waldes. Dazusitzen und der Stille zu lauschen, in sie einzutauchen, mit ihr zu verschmelzen … das war der reinste Genuss. Immer wieder von Moment zu Moment. Unterbrochen wurden diese Momente nur von einem Schrei eines Bussards, dem Summen einer Biene oder dem Knacken von Holz, weil sich gerade ein Tier seinen Weg durch das grüne Dickicht bahnte.
Therapie erleben
Das, was mich diesen Sommer so instinktiv in den Bann zog, wird mittlerweile immer häufiger von Ärzten verschrieben: Verweilen in der Natur. In Japan verschreibt man Shinrin Yoku, das Waldbaden, das in so genannten Outdoorkliniken angewandt wird. Dort kann man sich nach der üblichen Voruntersuchung in den Wald begeben und sich darin baden. Damit ist kein See im Wald gemeint, sondern eher das Eintauchen in die Umgebung Wald. Auch in Deutschland hält die Waldtherapie nach und nach Einzug. Hat man doch mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass bereits ein kurzer Spaziergang zwischen Fichten und Lärchen unser seelisches Wohlbefinden und auch unser Immunsystem stärkt.
Somit wird das, was die Schulmedizin lange als „esoterischen Kram“ abgetan hat, in der Zwischenzeit mit harten Fakten belegt.
Erforscht wurde, dass bestimmte Ausdünstungen von Kiefern und Tannen die Produktion von Abwehrkräften unseres Immunsystems anregen und das Nervensystem beruhigen. Herausgefunden wurde auch, dass Waldluft unter anderem deshalb heilsam ist, weil sie „elektrisiert“ ist, wie in GEO Kompakt Nr. 52 „Unser Wald“ zu lesen ist. Die Bäume ziehen bestimmte radioaktive Elemente aus dem Grundwasser nach oben. Diese zerfallen an der Luft und laden einzelne Luftteilchen negativ auf. Wie genau sie auf das menschliche System wirken, ist noch nicht erforscht worden. Bewiesen wurde aber, dass Menschen, die diese elektrisierte Luft einatmen, über eine bessere Wundheilung verfügen und sogar glücklicher sind.
Dieses Ergebnis verwundet mich nicht. So gibt es im Wald nämlich zum Glück keine Werbeplakate, die mir permanent einsuggerieren, was mir an Klamotten, Elektrozeug, Einrichtungsgegenständen, Parfüm, Wertanlagen, Superfoods etc. noch alles fehlt, um mich mal für einen kurzen Augenblick glücklich zu fühlen. Dort stinkt es auch nicht nach Diesel, und Autolärm gibt es dort auch nicht. Überhaupt weiß man mittlerweile, wie gut der Wald auch für unsere Psyche und für das Zusammenspiel von Körper und Geist ist. Kinder, die in Waldkindergärten ihre Zeit verbringen, verfügen u.a. über ein stabiles Immunsystem, ein gut ausgebildetes Nervensystem, sind beweglich und haben ein gutes Koordinationsvermögen. Sie sind mit ihren Sinnen verbunden, weil ihre Wahrnehmung im Wald geschult wird. Somit erleben sie nicht nur, wie vielfältig und sinn-voll die Welt ist, sondern sie beugen auch der digitalen Demenz vor, die – so der Wissenschaftler Ulrich Spitzer – jenen Kindern droht, die die Welt nur noch über ein Smartphone kennenlernen und glauben, dass eine Kuh lila ist.
Wunderwelt Wald
Neben dem Bayerischen Wald gibt es aber in Deutschland noch zahlreiche andere große und kleine Wälder, die dir guttun können. Der nächste Wald liegt vielleicht nur ein paar Meter vor deiner Haustür. Denn Bäume und Wälder gibt es in Deutschland mehr als genug. War dir bewusst, dass Wälder fast ein Drittel der Fläche Deutschlands bedecken? Das sind immerhin mehr als elf Millionen Hektar. Auf diesen Flächen wachsen rund 90 Milliarden Bäume, die belebt von tausenden Tier- und Pflanzenarten sind. Vielleicht gibt es ja sogar einen Wald in deiner Nähe, den du unseren Lesern empfehlen kannst.
Solltest du aber gerade in einer der deutschen Großstädte sein und keine Zeit haben, in einen Wald zu gehen oder in einem Park um die Ecke zu verweilen, so kann ich dir das Buch „Waldwelten“ von Kilian Schönberger empfehlen. Ein wunderschöner Bildband. Schönberger hat Wälder zwischen Rügen und den Alpen besucht. Er war im Bayerischen Wald, im Schwarzwald, in der Eifel und im Harz. Einzigartige, zutiefst berührende Fotos bieten imposante Einblicke in das grüne Herz Europas. Es sind Aufnahmen, die zu einer Meditation über den Wald einladen und eine Tür zum Wesen des Waldes öffnen. Einfühlsam. Einzigartig. Erlebnisreich.
Nutze die Kraft des Waldes. Verbinde dich mit ihr. Auch im Herbst und im Winter ist die Natur berührend, wunderschön und heilsam. Sie wartet auf dich. Worauf wartest du noch?
Infos
Kilian Schönberger: Waldwelten, Frederking & Thaler Verlag 2017