Depression lebt mitten in unserer Gesellschaft. Dabei ist sie glücklicherweise nicht mehr ein so großes Tabu wie noch vor einiger Zeit. Fast ein Viertel der Menschen in Deutschland geben an, schon einmal mit Depression diagnostiziert worden zu sein. Aktuell gibt es eine Bandbreite wissenschaftlicher Studien, die belegen, dass Yoga im Falle von Depression zur Linderung beiträgt.
Depressionen treten oft mit Angststörungen gemeinsam auf. Burn-out ist ebenso eine Form von Depression, – eine Erschöpfungsdepression. Auch wenn viele Menschen nicht das Level einer ausgereiften Depression erreichen, haben nicht wenige immer wieder einmal mit depressiven Verstimmungen zu kämpfen. Der renommierte Forscher Bessel van der Kolk empfiehlt Yoga nicht nur bei Depressionen, sondern auch zur Behandlung von Traumata, wobei es eine direkte Verbindung zwischen erlebtem Trauma und dem Auftreten von Depression gibt.
Auch wenn viele Menschen nicht das Level einer ausgereiften Depression erreichen, haben nicht wenige immer wieder einmal mit depressiven Verstimmungen zu kämpfen.
Was ist eine Depression?
Es gibt offizielle Definitionen von Depression, die vor allem die Symptome aufzählen, aber nicht auf ihre Wurzel eingehen. In meiner Beobachtung geht Depression meistens mit einem Gefühl von Machtlosigkeit und Kontrollverlust über das eigene Leben und/ oder einem Gefühl der Sinnlosigkeit einher. Sehr oft ist das Lebensgefühl depressiver Menschen „Ich kann nicht“ und/ oder „Es ist sinnlos“. Diese tiefen Gefühle stammen sehr oft, wie wir mittlerweile wissen, aus traumatischen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Dies kann ein Bindungstrauma sein, welches daher kommt, dass wir als Kind jahrelang entweder überbehütet oder vernachlässigt wurden oder aus einem nicht verarbeiteten schweren Lebensereignis wie einem Unfall oder dem Tod eines geliebten Menschen. Trauma ist immer dadurch gekennzeichnet, dass sich Körper und Geist spalten. Da das jeweilige traumatisierende Ereignis als zu viel erlebt wird, spalten wir unseren Körper und die dort gespeicherten Emotionen ab und fühlen nichts mehr. Zwar ist Depression oft mit Traurigkeit assoziiert, jedoch ist dies eine blinde Traurigkeit, die von der eigentlichen Ursache der Traurigkeit abgespalten ist.
Yoga hilft uns also, das wiederzufinden, was wir verloren haben.
Warum Yoga bei Depressionen heilsam wirkt
Und hier setzt Yoga ein. Yoga bedeutet „Vereinigung“ und zielt auf die Vereinigung von Körper, Geist und Seele ab. Yoga hilft uns also, das wiederzufinden, was wir verloren haben. Wir sind oft nur noch im Kopf und brauchen eine Verbindung zu unserem Körper, um wieder heil zu werden.
Was genau am Yoga ist nun so heilsam und so kraftvoll bei der Heilung von Depression?
- Yoga gibt uns ein Gefühl der Ermächtigung: Yoga hilft uns von einem Gefühl des „Ich kann nicht“ zu „Ich kann“ zu finden. Dieses Gefühl der Ermächtigung kommt vor allem aus zwei Quellen: Zum einen merken wir bei wiederholter Ausübung von Yoga unsere Fortschritte. Was wir noch vor einigen Yogastunden nicht konnten, können wir plötzlich. Zum anderen hilft Yoga uns, unser Durchhaltevermögen zu stärken. Viele Asanas bringen uns an unsere Grenzen. Durch tiefes Atmen wird es uns möglich, diese unangenehme Grenzerfahrung auszuhalten und zu meistern. Das Gefühl von „Ich habe es geschafft“ ist daher in jede Yogastunde mit eingebaut. Es ist das genaue Gegenteil der depressiven Haltung „Ich kann nicht“ und ist daher ein Wundermittel gegen Depression.
- Yoga hilft uns, unsere angestauten Emotionen und Körpererinnerungen zu befreien: Durch das Wiederverbinden mit Atem und Körper können sich oft während einer Yogastunde alte, durch Trauma festgehaltene Emotionen im Körper lösen. Oft reicht es, diese Emotionen einfach fließen zu lassen. Danach ist meist ein Gefühl der Befreiung spürbar. Wir müssen nun diesen Ballast nicht mehr mit uns herumtragen, es ist Platz für mehr Lebensenergie in unserem Körper, die nun freier fließen kann.
- Yoga lehrt uns, wie wir negative Gedanken stoppen können: Durch die volle Konzentration auf den Atem und das Ausführen der Asanas bleibt uns während des Yogas oft nicht viel Zeit, an andere Dinge zu denken. Dies ist ein weiteres Heilmittel von Yoga gegen Depression. Denn ein Kennzeichen der Depression ist oft auch ein exzessives Denken, das immer wieder um die gleichen, meist negativen Inhalte kreist. Yoga hilft uns, den Teufelskreis zu brechen.
- Yoga beruhigt das Nervensystem: Unerlöstes Trauma, aber auch allein unser moderner Alltag ist dadurch gekennzeichnet, dass unser Nervensystem permanent im Stresszustand ist. Tiefes und ruhiges Atmen beruhigt unser Nervensystem und ist somit ein hervorragendes Mittel gegen Unruhe und Schlafstörungen, die auch bei Depression oft auftreten. Um die Wirkung von Yoga auf das Nervensystem voll und ganz auszuschöpfen, ist es wichtig, während der Yogastunde immer wieder Zeiten zum Innehalten und Nachspüren einzubauen. Gerade ruhigere Formen von Yoga wie Yin-Yoga oder Restorative Yoga sind ideal, um uns vor dem Schlafengehen in einen entspannten Zustand zu bringen.
Wohltuende Asana & Pranayama während einer Depression
Welche Yogahaltungen (Asanas) und welche Atemübungen (Pranayama) sind nun besonders geeignet für die Linderung von depressiven Zuständen? Hierzu ist von Bedeutung, um welche Art von Niedergeschlagenheit es sich handelt: Ist die Verstimmung eher durch Unruhe und Ängstlichkeit oder durch Antriebslosigkeit geprägt? Im Falle von Unruhe und Ängstlichkeit empfehle ich eine Yogapraxis, die das parasympathische Nervensystem aktiviert und uns somit in die Entspannung bringt. Asanas, die eine solche Praxis stärken, sind zum Beispiel Vorbeugen wie die sitzende Vorbeuge (Paschimottanasana), die stehende Vorbeuge (Uttanasana) oder die Stellung des Kindes (Balasana). Der herabschauende Hund (Adho Mukha Svanasana) kann Entspannung bringen, jedoch meiner Meinung nach, vor allem, wenn es hier schon eine gewisse Routine gibt und man sich wirklich in die Haltung hineinentspannen kann. Entspannend für das Nervensystem sind auch Drehhaltungen wie der Drehsitz (Ardha Matsyendrasana) und erdende restorative Haltungen wie der liegende Schmetterling (Supta Baddha Konasana). Im Falle von Antriebslosigkeit empfehle ich ebenfalls die genannten Asanas, jedoch in Kombination mit aktivierenderen Asanas mit Rückbeugen, Steh- und Umkehrhaltungen sowie Sonnengrüßen. Für Pranayama gilt Ähnliches: Bei Unruhe und Ängstlichkeit können beruhigende Atemübungen wie Nadi Shodona (Wechselatmung), Sitali (kühlende Atmung) oder Bhramari (Bienenatmung) Unterstützung bieten, bei Antriebslosigkeit hingegen kann die aktivierende Kapalabhati (Feueratmung) wieder ein Gefühl von Kraft in den Körper bringen. Bei sehr starken Ängsten kann eine Punktmeditation helfen, wobei man sich auf einen Punkt in der Außenwelt fokussiert.
Depression ist heilbar!
Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Depression geheilt werden kann. Mittlerweile gibt uns auch die Hirnforschung dafür Argumente: Das Gehirn ist ein Leben lang veränderungsfähig. Und so sind auch unsere Denkstrukturen veränderbar. Durch die Ausübung von Yoga und den damit einhergehenden Atemübungen und Meditationen wird unser Gehirn schrittweise umprogrammiert. Wie oben erwähnt, gibt uns Yoga ein Gefühl der Ermächtigung. Wir lernen, den Atem zu unserer Beruhigung einzusetzen und in Meditation lernen wir negative Gedanken umzulenken. Natürlich ist Yoga kein Ersatz für eine Psychotherapie und eine ärztliche Abklärung der Symptome bei schwerwiegenden Depressionen. Da Körper und Seele bei jeder psychischen Erkrankung zusammenspielen, empfehle ich körperorientierte und ganzheitliche Psychotherapieformen wie Somatic Experiencing, Schematherapie oder Hakomi-Therapie. Geht es vor allem um Fragen des Sinns, ist Existenzanalyse/ Logotherapie eine gute Wahl. Doch Yoga kann bei Depression – und das ist seit einiger Zeit auch wissenschaftlich erwiesen – in Ergänzung zu anderen Behandlungsmethoden sehr gute Ergebnisse liefern. Schön, dass wir Yoga haben.