Die Mystik der Liebe im Licht der aufgehenden Sonne: Die Verse von Dichtermystikern wie Rumi, Saadi, Hafiz und Attar sind durchdrungen vom süßen Schmerz der Sehnsucht und benetzen das Herz des Suchenden mit dem heilsamen Wein der Liebeserfahrung.
Fast zur selben Zeit, als in Europa Meister Eckhart seine tiefen mystischen Erfahrungen machte, entstanden die gerade heute auch im Westen mit Begeisterung rezipierten Werke des berühmten Mevlana Jalal al-Din Rumi (1207–1273), die auf einzigartige Weise von der Liebe als „Wasser des Lebens“ künden und von den innersten Empfindungen des Suchenden erzählen, der in der Sprache der orientalischen Mystik stets ein Liebender ist. Die Sehnsucht nach Gott, dem Geliebten, ist der ständige Begleiter des Mystikers, sie lodert in seinem Herzen und erinnert ihn in jeder Sekunde daran, dass die Vereinigung mit Ihm, dem Einen, das Anliegen hinter jedem Atemzug ist. In Goethes West-östlichem Diwan stößt man auf das Bild des Schmetterlings, der sich nach der Flamme sehnt und geradewegs hineinfliegt, um darin zu verbrennen (vgl. das Gedicht Selige Sehnsucht, das den bekannten Vers „Stirb und werde!“ enthält). Dies ist ein in der östlichen Mystik gängiges Bild, das Goethe aus dem Werk Bustan des persischen Dichtermystikers Saadi (1210 bis ca.1292) kannte. Die Sehnsucht, so sehr sie auch brennt und schmerzt, ist nicht nur die reinigende Flamme, die das Ego aufzehrt, sondern auch die heilige Kraft, die den Menschen zurück zu Gott zieht. In ihr vernehmen wir seinen Ruf, durch sie machen wir uns auf den Weg, und daher ist sie von unschätzbarem Wert. „Du weißt es, ruhen kann ich nicht ohne dein Gesicht. Die Last der Trennung trag’ ich so viele Tage nicht. Von mir wär’ ohne Sehnsucht ein Stückchen? Welch ein Märchen! So unnütz ist an meinem Leibe kein einzig Härchen“, so heißt es in Saadis Rosengarten (Gulistan XIV, 1 und 2; hier in der Übersetzung von Friedrich Rückert wiedergegeben).
Der Schmerz der Liebe
wurde zur Medizin für jedes Herz.
Die Erschwernis könnte ohne Liebe
niemals gelöst werden.
(Attar)
Der kostbare Wein Gottes
Sehnsucht ist das große Grundmotiv in der Lyrik der orientalischen Mystiker, aber auch bereits vor der Rückkehr zu Gott bzw. vor der am Ende der Reise […]