Erotik in all ihren Nuancen, vom zufälligen Blick, der zufälligen Berührung über den gelegentlichen Flirt, Liebesbriefe, gemeinsame Aktivitäten bis zu den vielfältigen intimen Formen der Liebe durchdringt alle Gesellschaftsschichten und Zeiten. Der Orgasmus gilt als Gipfel, Höhepunkt der erotischen Begegnung, und die immer erneute Suche danach kann zur Sucht werden. Von der katholischen Sexualmoral restriktiv auf die Ehe beschränkt, dienen sexuelle Praktiken und sexuelle Symbolik in anderen Kulturkreisen und Religionen dem Ziel der Befreiung und Erleuchtung.
Auch die Mystik ist voller erotischer Anspielungen, was Forscher immer wieder dazu verführt hat, Orgasmus und Ekstase als identisch anzusehen. Teresa von Ávila und Mechthild von Magdeburg berichten von mystischen Erlebnissen der Gottesliebe, der Erfahrung von Einheit und Licht. Im tantrischen Buddhismus werden links- und rechtshändiger Pfad unterschieden, je nachdem, ob die erotische Sprache symbolisch oder konkret verstanden wird. Gleichwohl scheint es unangemessen und irreführend, Orgasmus und Ekstase zu identifizieren, auch wenn es Ähnlichkeiten gibt.
Im Orgasmus löst sich das Ich-Bewusstsein auf, verschmilzt in einer beseligenden Erfahrung mit dem anderen. Der kurzzeitigen beglückenden Erfahrung der Indifferenz, Einheit, folgt die Rückkehr in den Alltag, der – nach einer Phase des Schlafes und der Erholung – mit frischer Energie bewältigt werden kann. Dass die sexuelle Energie sublimiert und transformiert werden kann, behauptet auch das Christentum. Die Folgen des Misslingens dieses Versuchs sprechen allerdings eine deutliche Sprache. Aufschluss über das mögliche verwandelte und verwandelnde Potenzial dieser Energie ist daher eher von denen zu erwarten, die die sexuellen Erfahrungen nicht übersprungen, wohl aber deren Ungenügen erfahren haben und einen Weg zu tieferer Erfüllung suchen.
Ekstatische Erfahrungen sind offenbar nicht nur unabhängig von einem menschlichen Gegenüber möglich. Sie übertreffen sogar an Intensität, Glückseligkeit und Dauer die Erlebnisse beim Orgasmus. Auch scheint die Auslöschung des Ich in der Ekstase nachhaltiger und die Rückkehr in den Alltag kraftvoller zu sein. Statt Quelle und Ursache von Neurose und Leid oder achtlosem Umgang mit der kostbaren Lebenskraft zu sein, kann Sexualität als Weg und Potenzial zu einem erfüllten Leben verstanden und gelehrt werden.
Eine Regenbogenkultur und queere Pädagogik, wie wir sie heute erleben, tragen zu diesem Verständnis allerdings noch wenig bei. Und ganz sicher braucht es weniger Theoretiker als erfahrene Praktiker, die auf diesem Weg vorangehen und andere führen können. Wie problematisch, vieldeutig und schwierig dieses Projekt ist, zeigen die aktuellen Diskussionen um Missbrauch auch im Buddhismus. Angesichts der gravierenden, den Fortbestand der Menschheit bedrohenden Krisen und Probleme scheint es aber keinen anderen Ausweg zu geben als die Weiterentwicklung, Höherentwicklung, die Menschwerdung des Menschen.