Mit einem lachenden und einem weinenden Auge blicke ich auf die neue Volkskrankheit „Burn-out“, der wir unser Dossier in YOGA AKTUELL Heft 71 widmen. Die meisten Experten stehen ihr ziemlich ratlos gegenüber. Und da diese Krankheit alle Alters-, Berufs- und Gesellschaftsschichten betrifft, ist ihr auch mit statistischem Schubladendenken kaum beizukommen – mit dem Resultat: Die gesamte deutschsprachige Talkrundenszene in den Massenmedien musste kürzlich ihre Sendezeit zum Thema „Burn-out“ ergebnislos verstreichen lassen. Was jedoch könnten die Gründe für die neue „Zivilisationskrankheit der Zukunft“ sein, wie sie von zahlreichen Medien dramatisch genannt wird?
Unsere von Mechanik und Elektronik bestimmte Existenz in der Welt der Maschinen und Funktionen verkörpert ein Leben, das die natürlich gewachsenen Grenzen des Daseins längst verlassen hat. Um die Grenzen jedoch zu überschreiten, bedarf es einer besonderen Willensanstrengung. Dieser Wille ignoriert die Bestimmung von Himmel und Schöpfung und richtet sich eigenmächtig gegen die Götter. Gegen den natürlichen Fluss der Schöpfung anzukämpfen, erfordert Kräfte, die das Menschliche leicht übersteigen. Es ist wie das kräftezehrende Anrennen gegen starken Orkanwind, der ob der lärmenden Geräuschkulisse der industriellen Zivilisation nicht vernommen und von uns als unveränderbare, gegebene Lebensbedingung hingenommen wird. Deshalb zieht der aus der Stille gefallene Mensch immer weiter seine Streitmächte und Legionen zusammen. Immer raffinierter werdende Hilfsmittel sollen ihn im Kampf gegen die Schöpfung unterstützen und ihm Vorteile und Kontrolle verschaffen. Ja, sie sollen ihm sogar die törichte Illusion vermitteln, der Kampf würde gar nicht stattfinden. Dies ist einer der Gründe, warum unser Leben trotz aller wunderbaren technischen Hilfsmittel, Errungenschaften und Freizeitgestaltungsmöglichkeiten im Gesamten partout nicht einfacher und entspannter werden will.
Die große Schlacht gegen die Schöpfung zeigt natürlich Spuren. Immer mehr Menschen bleiben erschöpft und kraftlos auf der Strecke – Diagnose: Burn-out.
Was hat das Wort „Erschöpfung“ mit Schöpfung zu tun? Bedeutet Schöpfen nicht, dass es eine Quelle gibt, aus der wir uns speisen und nähren? Und dass diese Quelle ihrerseits aus einer nicht enden wollenden Fülle gespeist wird? Im Zustand der Erschöpfung muss also die Verbindung zur Quelle abgeschnitten worden sein. Dies geschieht dann, wenn der Mensch sich anmaßend gegen den Himmel stellt, selbst Architekt seiner Grenzen und Maße und damit Schöpfer sein will. Er verlässt die Prinzipien der Schöpfung. In diesem grenzenlosen und rechtsfreien Raum ist er jetzt auf sich allein gestellt wie ein Kind, das, von der Mutter getrennt, nicht mehr gesäugt werden kann. Wir beginnen unser langsames Verhungern just dann wahrzunehmen, wenn die Substitute unserer Scheinwelt nicht mehr greifen. Und dies ist immer nur eine Frage der Zeit.
Im Burn-out wird also das Feuer unseres Willens und unserer Willensanstrengungen zur selbstverzehrenden Erscheinung.
Nun kann man natürlich die Frage stellen, was es denn gegen einen starken Willen einzuwenden gibt, wo dieser doch zu den wirtschafts-, sport- und wissenschaftspädagogischen Idealen unserer globalisierten Konkurrenz-Welt gehört und bereits den Kindern in den Kitas angezüchtet wird?
Ganz einfach: weil wir mit reiner Willensanstrengung keinen Lindenbaum zur Blüte und keine Frucht zu wirklicher Reife bringen. Reifen beinhaltet ein Eingebettetsein in die Schöpfung und das unberechenbare Geschehenlassen ihrer Wirkkräfte. Diese jedoch können sich umso mehr im Nichtstun, im Müßiggang und im Nicht-Handeln entfalten – für unsere preußisch besetzte Lebensauffassung allesamt grausame und scheußliche Begriffe.
Vielen, vor allem den weniger ehrgeizigen Yogis, ist das Prinzip „Handeln durch Nicht-Handeln“ jedoch durchaus bekannt, dem auch Christus vor seiner Gefangennahme mit den berühmten Worten „Vater, nicht mein, sondern Dein Wille geschehe“ Ausdruck verlieh.
Burn-out bedeutet also, vom Feuer maßloser Willensanstrengung verzehrt zu werden. Eine Wille, der von Vorstellungen besetzten Zielen hinterherjagt, der den Rahmen der Schöpfung durchbricht und jenseits davon Kräften begegnet, denen er nicht gewachsen ist. Es warten dort die rohen, elementaren Kräfte der Natur, die wir Kraft unserer Willensanstrengung versuchen zu zähmen, zu beherrschen und dienstbar zu machen. Es sind jene Kräfte, die die alten Griechen als „titanisch“ beschrieben. Ewig kreisende, immer wiederkehrende mächtige Elementarkräfte, die uns an ihren unermüdlichen Rhythmus binden. Der ausschließliche Umgang mit ihnen bringt in unser Leben den Sisyphismus, das fruchtlose, nie enden wollende Schuften und Arbeiten, dem die Leichtigkeit des Seins verloren ging.
Und so fügte es sich, dass kürzlich Skisprung-Legende Sven Hannawald als öffentlicher Bedeutungsträger des Burn-out-Syndroms zur ZDF-Talkrunde „Maybrit Illner“ geladen wurde. Es ist hier das Bild des fliegenden Ikarus, der Kraft seiner Willensanstrengung die Grenzen der dem Menschen gegebenen Schöpfung übertritt und von den elementaren Kräften der Sonne „verbrannt“ in die Tiefe stürzt.