Frauen leben in Beziehungswelten, Männer in Statuswelten – geschlechtsspezifische Unterschiede im Erleben von und im Umgang mit Stress.
Wenn wir Stress nicht verspüren würden, wären wir tot“, sagt Louis Lewitan. Stress ist eine Lebensenergie, die eine positive oder eine negative Valenz haben kann. Hat der Stress eine negative Valenz, ist er belastend und schädlich. Der Stressreport 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ergab, dass starker Termindruck, Multitasking, schnelles oder monotones Arbeiten sowie Arbeitsunterbrechungen zu den größten Stressoren zählen. Für Männer steht Stress eher im Zusammenhang mit Karriere, Konkurrenzverhalten, Leistungsdruck oder dem Gefühl, die Situation nicht unter Kontrolle zu haben. Frauen empfinden Stress eher durch die Doppelbelastung von Familie und Beruf, durch Diskriminierung ihrer Rolle als Frau am Arbeitsplatz, oder wenn Beziehungen nicht harmonisch verlaufen. Sowohl im Stresserleben als auch im Stressverhalten zeigen sich ganz klare Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wie verschiedene Studien und Untersuchungen bestätigen konnten.
Stresserleben: Welche Stressoren wirken sich auf die Geschlechter jeweils am stärksten aus?
„Frauen leben in Beziehungswelten und haben da ihre Stressoren“, sagt Frau Prof. Dr. Anne-Maria Möller-Leimkühler. „Männer leben in Statuswelten und haben dort ihre Stressoren“, so die Sozialwissenschaftlerin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, die u.a. die Arbeitsgruppe „Psychische Gesundheit“ der Stiftung Männergesundheit leitet. In Laboruntersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass Männer vor allem gestresst sind, wenn ihr sozialer Status bedroht ist. Es geht bei Männern um Leistung, Konkurrenz und Siegen. Männer empfinden häufiger Stress als Frauen, wenn sie einen geringen Handlungs- und Entscheidungsspielraum haben, unter Termin- und Leistungsdruck stehen, sich eingeengt fühlen oder unter Monotonie leiden. Frauen sind eher von Beziehungsproblemen gestresst und suchen Harmonie und Unterstützung. Sie empfinden Stress bei Konflikten, Streit und Disharmonie. Frauen wollen eher etwas gemeinsam verwirklichen, Männer hingegen für sich selbst, weshalb Frauen und Männer auch ein unterschiedliches Führungsverhalten zeigen. „Typisch für Frauen ist, dass sie sich weniger abgrenzen können, vor allem ihren Kindern gegenüber“, erklärt Louis Lewitan, der zu den renommiertesten Stress-Experten der Republik zählt. Damit einhergehend können Schuldgefühle entstehen, und es kann Schwierigkeiten bereiten, zwischen Arbeit und Freizeit zu trennen. „Wenn Frauen sich zu Kindern bekennen, fällt die Alleinzuständigkeit für die Familie in der Regel auf die Frau zurück.“ Das führt zu Zeit- und Loyalitätskonflikten […]