Zum ersten Mal hab ich Cliff Barber im Jahr 1975 in Lahaina auf Maui gesehen. Jeden Tag saß er dort – trotz seiner stattlichen Größe von 1,95 Meter völlig aufrecht – auf einer der Strandbänke. Er trug einen langen Bart, weite Klamotten und keine Schuhe. So beobachtete er einfach nur die vorübergehenden Menschen. Er besaß weder Rucksack noch eine Hose mit Taschen, er trug also auch kein Geld bei sich. Dennoch machte er einen sehr imposanten Eindruck – er schien mir klar, stark und vital. In dieser Zeit trat ich mehrmals in der Woche im Blue Max Club in Lahaina als Musiker auf und sah Cliff auch dort fast täglich sitzen. Damals hatte ich noch keine Ahnung, dass wir uns schon bald kennenlernen würden und, dass dieser Mann einen so großen Einfluss auf mein Leben und das vieler anderer haben sollte.
Im selben Jahr lernte ich ein paar Leute kennen, darunter ein nettes Mädchen namens Jeannie Miller. Sie alle lernten Yoga bei Cliff. Irgendwann zog ich dann bei Jeannie und ihrer Tochter ein und Cliff kam oft zu Besuch. So kam es, dass ich allmählich mehr und mehr Einblicke in sein wildes und einzigartiges Leben erhaschte.
Cliffs Geschichte
Nach Jahren als Kapitän eines umgebauten Minensuchboots, das er in einer Auktion von der amerikanischen Regierung gekauft hatte, beschloss Cliff, auf der Straße, beziehungsweise in den Wäldern zu leben. Gemeinsam mit seiner jungen Crew hatte er bis dahin versunkene Fracht und also Schätze vor der Küste Mittel- und Südamerikas geborgen. Doch das war vor seiner einschneidenden Offenbarung gewesen. Er beschloss, die materielle Welt hinter sich zu lassen, und legte sogar ein Entsagungsgelübde ab. Das Schiff überließ er seiner Crew, um im Juni 1967 zunächst nach Sausalito und im September des selben Jahres weiter nach Maui, Hawaii, zu fliehen, wo zu jener Zeit eine junge Gemeinschaft von Hippies, Freaks, Surfern, Künstlern und Reisenden zusammenkam, die dem Druck des Vietnamkrieges und dem Zeitgeist der Gesellschaft, in der sie lebten, zu entfliehen versuchten. Das war der Anfang einer neuen Bewegung, in der eine Rückkehr zu Mutter Erde stattfand und das an einem der schönsten Orte der Welt, auf Hawaii. Die Inselgruppe begeisterte mit seiner außergewöhnlichen Naturkulisse und seinem damals trotzdem noch recht unterentwickeltem Tourismus, zumindest auf den weiter von Honolulu auf Oahu entfernten Inseln. Reisten 1975 noch rund 5.000 Touristen nach Maui, kommen im Gegensatz dazu heute schließlich zwei bis drei Millionen Touristen jährlich.
Spirituelle Anfänge
Cliff ging es darum, im Einklang mit der Natur zu leben und die spirituellen Schriften und Traditionen zu studieren. Die Anregungen, die ihm dabei begegneten, nahm er sehr ernst. Er verabschiedete sich beispielsweise davon, Schuhe zu tragen, um die Erdenergie direkter zu spüren. 1967 fing er an, die Bücher von Jiddu Krishnamurti zu lesen, und übte Yoga mit einem Buch von Swami Vishnu-devananda – und, etwa drei Jahre später, mit dem Buch Integral Hatha Yoga von Swami Satchidananda. Er lebte in einer Höhle im magisch-schönen und großen Ukumehame Tal. Immer wenn er im nur wenige Kilometer entfernten Lahaina war, praktizierte er Yoga und gab sich der Erforschung der alten Schriften in einem ehemaligen Gefängnis aus dem 19. Jh., dem Seaman’s Prison, in der sogenannten Prison Street von Lahaina hin. Das Gebäude war der Öffentlichkeit zugänglich (es kamen aber nur wenige) und verfügte über große Rasenflächen, auf denen Cliff seine Yoga-Übungen und Studien durchführte. Er beschäftigte sich mit den traditionellen Schriften des Yoga, Buddhismus, Hinduismus, Christentum und mit der Kabbalah. Darüber hinaus begeisterte er sich für die Geometrie und zeichnete erstaunliche Bilder von komplexen mathematischen Ideen und geometrischen Mustern, die er aus der Kabbalah zog. Seine Studien drehten sich um altägyptische Denkmäler, Mathematik, mittelalterliche Architektur und Wissen sowie um die griechische Mathematik. Doch er konnte über jedes Thema mit der gleichen Begeisterung sprechen, ob es sich nun um das Alltägliche, das Heilige oder das Mystische handelte.
Ashtanga Yoga im Westen
Ende April 1976 kamen David Williams und Nancy Gilgoff in Maui an. Sie hielten Ausschau nach Cliff, denn sie hatten von einem „alten Yogi“ gehört, der hier leben soll. Damals waren die beiden, so wie ich selbst auch, in ihren Zwanzigern– jemand um die Vierzig war für uns damals natürlich schon steinalt.
David und Nancy gehörten zu den ersten westlichen Ashtanga-Yoga-Übenden die direkt von Sri K. Pattahi Jois in Mysore (Indien) lernten. Im Jahr zuvor hatten sie ihre Praxis einer Gruppe von rund 60 Surfern, Hippies, Künstlern und Freaks in Encinitas, Kalifornien gezeigt. Am Jahresende holten sie ihren Lehrer aus Mysore schließlich in die Staaten: Pattabhi Jois war ein direkter Schüler des brillanten Gelehrten und Lehrers Sri Tirumalai Krishnamacharya von Mysore und Madras.
Mit der Unterstützung des Palasts von Mysore und des Maharajas von Mysore, einem seiner Schüler, begründete Tirumalai Krishnamacharya in den 1930ern die weltweit erste öffentliche Yogaschule. Schon bald wurde er als brillanter Professor, Gelehrter, Heiler und Lehrer des grenzenlosen Yogawissens bekannt. Er wurde der Lehrer von Pattabhi Jois, der als 13-jähriger zu ihm kam. BKS Iyenger, nahm als Jugendlicher den Yogaunterricht seines Onkels Krishnamacharya auf, um sich von seiner Tuberkulose-Erkrankung zu erholen. Indra Devi wurde vom Maharaja persönlich zu Krishnamacharya geschickt, um Yoga zu lernen – später wurde sie die erste weibliche und westliche Yoga-Lehrerin und beeinflusste in den 50er- und 60er-Jahren viele Menschen auf der ganzen Welt, einschließlich der Hollywood-Szene und ihren Berühmtheiten, darunter Marilyn Monroe – die Yoga praktizierte. Seit das Interesse an Yoga in den letzten 40 Jahren global schier explodierte, wird Krishnamacharya als „Vater des modernen Yoga“ bezeichnet.
Die Yogis von Maui
Eines Tages bot David Williams Cliff an, ihm bei seiner Asana-Praxis zuzusehen. Cliff erkannte, dass Davids physische Praxis um einiges fortgeschrittener war, als seine eigene. So organisierten David und Nancy eine Demonstration für Cliff und seine Freunde und fingen schließlich auch an, im Freien (ebenfalls auf dem Rasen des alten Seaman Gefängnisses) zu unterrichten. Gemeinsam mit Cliff, Jeannie und gut dreißig anderen jungen Leuten aus der ganzen Welt besuchte auch ich ihren Unterricht dort. Die meisten von uns übernachteten auf den umliegenden Stränden von Lahaina. Das lag vor allem an den viel zu spärlichen Zimmerangeboten in jenen Tagen. Doch darüber hinaus hätten die meisten von uns sowieso kein Geld für die Miete gehabt.
Dies war die zweite Ashtanga-Yoga-Welle, die den Westen erreichte und mir war sie eine Quelle für eine neue, richtungweisende Lebensenergie – sie war der Beginn meines Yogapfads. Es eröffnete sich mir der Weg hin zu einem neuen Verständnis des Universums. In den darauffolgenden fünf Jahren studierten wir gemeinsam die Serien im Ashtanga Yoga und wurden alle sehr gute Freunde. Cliff war dabei immer derjenige unter uns, der uns nicht vergessen ließ, dass die Yogalehren weit über den physischen Aspekt hinausreichen. Er besaß das nötige Wissen und auch die Lebenserfahrung, um uns dies auch vorzuleben. Die meisten der ursprünglichen Schüler in Maui lernten die Übungen bis in die fortgeschrittenen Serien des Ashtanga-Yoga-Systems. Und obwohl Cliff erst mit 45 Jahren angefangen hatte, Ashtanga Yoga nach Pattabhi Jois zu praktizieren, lernte er noch vor seinem 50. Geburtstag die erste und zweite Serie sowie die Advanced A und B Serien. Möglich war ihm das wohl aufgrund seiner jahrelangen, intensiven Asana-Praxis zuvor. Auch ich schaffte es innerhalb dieser vier Jahre mit David und Nancy bis zur Advanced B Serie, vermutlich aufgrund meines Karate-Trainings als Teenager und weil ich mich immer fit gehalten hatte. Ich war 23, als ich mit Ashtanga Yoga begonnen habe.
Goa: Hippieparadies & Künstlerenklave
Die großzügige Spende eines Freundes namens „Little Louie“ ermöglichte es Cliff, im März 1979 nach Indien zu reisen. Dort ging er zu Pattabhi Jois nach Mysore und lernte bei ihm. 1981 schließlich begann er Ashtanga Yoga zu unterrichten. Seine Stunden hielt er unter freiem Himmel in einem Christlichen Ashram unweit des Vagator Beach in Goa ab. Es war der Anfang einer Zeit, in der junge Leute in Scharen auf den Spuren einsamer Abenteurer und der Beatles nach Goa reisten. Tausende junge Leute flüchteten aus den industrialisierten und verschmutzten Städten und dem teils gewalttätigen sozialen Durcheinander, aus Europa und Asien, dem Mittleren Osten sowie Nord- und Südamerika. Reisende, Freaks, Künstler, Schmuggler, Abenteurer und Entdecker pilgerten jeden Winter in diese idyllische und ursprüngliche Region der Welt, um in ihrer wunderschönen Natur zu leben. Ebenso wie in Maui, reisten damals jährlich nur rund 5.000 bis 6.000 Leute nach Goa, während es heute um die vier bis fünf Millionen Touristen jedes Jahr sind.
1981 fing Cliff an, mir Briefe nach Hawaii zu senden. Darin bat er mich, ihm in Goa zu assistieren: Jeden Morgen besuchten rund 50 junge Reisende seine Yogaklassen. Das war die Einführung von Ashtanga Yoga in die internationale Gegenkultur der Zeit. Abgesehen davon verschrieb sich Cliff natürlich auch während seiner Zeit in Asien weiterhin dem Studium der Heiligen Geometrie. Im Januar 1983 begann ich dann schließlich, meine Winter in Goa zu verbringen, um Cliff zu helfen. Und es waren jene Kontakte aus diesen Jahren in Indien, die für mich zahlreiche Einladungen in die ganze Welt nach sich zogen, um in neu entstandenen Yoga-Gemeinschaften zu lehren. Ich blieb immer Cliffs Prinzip treu, nur auf Einladung zu unterrichten. So mache ich es seit 1979. Den Yoga auf diese Art weiterzugeben, hat mich seither weit gebracht.
Cliff in Griechenland
Während der zehn Jahre, in denen Cliff seine Winter in Indien verbrachte, hatte er Tausende von Schülern unterrichtet. Doch nach dieser Zeit des Lehrens, Lebens und Reisens durch Nepal, Indien, Sri Lanka, Thailand und Burma veränderten sich die Dinge für ihn. Er hörte von einem wunderschönen und abgelegenen Platz in Griechenland. Sehr interessiert an der griechischen Mathematik und dem tieferen Studium der Heiligen Geometrie, reiste er schließlich auch dorthin, wo er seit 1989, abgesehen von einigen wenigen Reisen nach Asien, Hawaii, in die USA oder nach Europa, noch heute lebt. Auch dort, inmitten einer malerischen Natur, unterrichtete er wiederum unzählige Menschen aus der ganzen Welt und führte seine geometrischen Erforschungen und Studien fort. Die Zeichnungen der Blume des Lebens zeigen nur einen kleinen Teil seines Wissensschatzes. Sie bilden die Arbeiten einer wunderschönen, abenteuerlichen und geheimnisvollen Seele ab, die ein magisches und einzigartiges Leben auf diesem Planeten führte. Vor allem aber geben sie nur einen spärlichen Einblick in das Leben und die Arbeit meines alten Freundes Cliff Barber.
Über den Autor:
Danny Paradise praktiziert und unterrichtet seit über 40 Jahren. Er leitet Workshops und Retreats auf der ganzen Welt.
Lies mehr über Cliff Barber und seine Arbeit an der Blume des Lebens in der August/September-Ausgabe von YOGA AKTUELL.