In schwierigen Zeiten schenkt der Yoga so viel Halt, er ist ein Anker und unterstützt unsere körperliche wie auch unsere mentale Gesundheit. Gerade dann, wenn die Seele in Krisenzeiten zerrüttet wird, können Yoga und Meditation uns den Schutz bieten, den wir brauchen. Die WAY Europäische Akademie für Yoga und ganzheitliche Gesundheit bietet 500 Ukrainerinnen und Ukrainern im Zuge dessen eine kostenfreie Ausbildung zum Yogalehrer 200h / AYA zertifiziert und zum Yoga-Rehatrainer an: Die Idee dahinter ist, dass sie so ihren Landsleuten zur Seite stehen können, um mit den Schrecken des Krieges fertig zu werden. Dazu sprachen wir mit WAY-Gründerin Marion Neises.
INTERVIEW
YOGA AKTUELL: Welche Vision verfolgen Sie mit dem Projekt „Kostenfreie Yogalehrerausbildungen“?
Marion Neises: Die Welt braucht Yoga. In diesen Tagen mehr denn je! Weltpolitisch sind wir in einer Situation, wo sich immer mehr Blockbildung und Aggression in der Welt breitmacht. Die yogischen Themen wie „Herzöffnung“ und ein liebevolles, friedliches Miteinander, Verhandlungsbereitschaft und Entgegenkommen, treten immer mehr in den Hintergrund. Ich bin der Meinung, dass wir Kinder von Grund auf zu friedlichen Menschen heranbilden müssen und deshalb gehört für mich Yoga in jede Schule. Aus diesem Grund bilden wir Lehrerinnen und Lehrer kostenfrei zu Yogalehrerinnen und -lehrern für Kinder- und Jugendliche aus. Dies schon seit Gründung der WAY Akademie vor knapp 11 Jahren. Diese Ausbildung basiert auf dem wissenschaftlich fundierten Konzept von Prof. Dr. Marcus Stück, wo ich selbst auch meine Kinder-Yogalehrerin-Ausbildung gemacht habe.
Das Projekt „Yoga for Ukraine“ habe ich ins Leben gerufen, nachdem ich in Mainz ein Flüchtlingsheim besucht hatte und mir die Frauen dort so unendlich leidgetan haben. Ich habe mich gefragt, wie es wäre, wenn mir das passiert wäre, und dann erst spürt man am eigenen Körper, was so ein Krieg bedeutet. Man muss sich da ganz tief hineinversetzen, und dann ist der Schmerz überwältigend. Deshalb möchte ich diesen Frauen helfen, denn sie bekommen so auch eine Ausbildung in einer Zeit, zu der sie aus ihrem alten Leben komplett abgeschnitten wurden, und können die Zeit hier sinnvoll nutzen und eine Ausbildung mitnehmen, die später in der Ukraine dringend gebraucht wird.
Inwiefern kann Yoga Menschen Ihrer Erfahrung nach in Krisensituationen konkret unterstützen?
Yoga ist ein riesengroßer Werkzeugkoffer. Neben den vielen positiven spirituellen und körperlichen Auswirkungen wissen wir, dass Yoga bei Depressionen flankierend helfen kann und uns in Krisenzeiten Stabilität gibt. Die Yogapraxis lässt eine Reihe von Botenstoffen in unserem Körper entstehen, wie zum Beispiel den Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure, kurz GABA genannt. Dies kann bei regelmäßiger Yogapraxis helfen, den Heilungsweg bei psychischen Krankheiten zu begleiten. Dazu braucht es aber versierte und gut ausgebildete Yogalehrerinnen und -lehrer sowie Yogatherapeutinnen und -therapeuten. Yoga kann helfen, bei traumatischen Erfahrungen wieder in eine innere Ruhe zu finden, die oft bei PTBS-Patientinnen und -Patienten nicht mehr gegeben ist. Ich kenne das selbst von mir, nach meinem schweren Autounfall, hat auch Yoga meinen Geist erst wieder ruhig werden lassen. Yogash chitta vrtti nirodhah.
Welche Veränderungsprozesse konnten Sie bei den ersten Absolventinnen im Rahmen der Ausbildung feststellen?
Eine Teilnehmerin, die direkt aus dem Krieg kam, hat es beschrieben mit „Endlich wieder 5 Minuten Ruhe im Kopf“. Dies hatte sie nach ein paar Tagen der Ausbildung durch die Meditation erfahren, und auch die anderen Teilnehmer berichten davon, dass sich psychosomatische Beschwerden wie Rückenschmerzen, Bluthochdruck oder aber auch emotionale Probleme langsam zu lindern beginnen.
Wie ist Ihre erste Absolventin Ruslana zu Ihnen gekommen, und wie nehmen Sie sie heute wahr?
Ruslana kam über unser „Yoga for Ukraine“-Angebot für Geflüchtete über die Webseite zu uns. Da sie auch während der Ausbildung bei mir gewohnt hat, konnte ich nicht nur den Wandlungsprozess beobachten, sondern auch einen Einblick in das tägliche Leid der Ukrainer bekommen. Sie telefonieren fast täglich mit ihren Verwandten in der Ukraine. Ein Familienmitglied war selbst an der Front, und die Geschichten, die sie dann hören, sind fast nicht auszuhalten. Deshalb ist es wichtig, dass wir alle helfen. Dass wir alle wieder mehr hinschauen zu unserem Nächsten, auf der Matte und im Leben. Was brauchen die anderen? Wie können wir unterstützen?
Gibt es Voraussetzungen für die Ausbildung, oder kann sich jede/r ukrainische Schutzsuchende für die Ausbildung anmelden?
Nein, es gibt bei den Ukrainern keine Voraussetzung. In unseren 60 jährlichen europaweiten Ausbildungen haben wir jeweils zwei Plätze für Ukrainerinnen und Ukrainer reserviert, die das Sprachlevel B1 haben, und das trifft nach einem Jahr Krieg schon auf viele zu. Sie haben unsere Sprache sehr schnell gelernt. Außerdem planen wir eine Ausbildung auf Ukrainisch. Es ist aber zurzeit noch sehr schwer, dort eine Gruppe zusammenzubekommen, da viele in ihren Integrationskursen sind oder schon arbeiten. Aber wir sind dran. Die Menschen, die sich auf das Projekt bewerben, bringen meist schon Yogaerfahrung aus der Ukraine mit, denn vor dem Krieg gab es dort auch schon eine große spirituelle Yogaszene.
Sie setzen sich ja insgesamt auf unterschiedliche Weise für Schutzsuchende ein und konnten viele kennenlernen. Was sind die größten Sorgen und Nöte, und was hat Sie am meisten berührt? Was können wir vielleicht von diesen Menschen sogar lernen?
Die größte Sorge sind die Verwandten und im Kriegsgebiet zurückgebliebenen Menschen und die tägliche Angst, dass sie morgen nicht mehr leben. Männer, Söhne, aber auch Töchter und Frauen sind an der Front. Das sind Ängste, da kann ich mich nur reinversetzen, indem ich mir vorstelle, dass meine beiden Söhne ebenfalls dort wären. Unvorstellbar. Unaushaltbar. Am meisten berührt mich immer, dass die Ukrainer, obwohl viele wirklich vor dem Nichts stehen, weil ihre Währung bei uns nichts wert ist, trotzdem immer noch irgendetwas Selbstgebasteltes oder Selbstgemachtes mitbringen und sich gegenseitig so enorm in den Ausbildungen unterstützen. Ich glaube, das können wir von diesen Menschen lernen, diesen enormen Zusammenhalt, diese Stärke und diese Resilienz. Uns Deutschen ist es über so viele Jahre so gut gegangen, dass wir die Unterstützung des Nächsten ein bisschen vergessen haben, und es wäre schön, wenn wir alle wieder enger zusammenrücken würden und den Fokus auf das eigene Ego, den man leider auch oft im Yoga antrifft, wieder hinter uns lassen könnten. In vielen Yoga-Ausbildungen und Retreats lassen sich tiefe Momente des Zusammenhaltes und der Herzensgüte erzeugen, aber oft verfliegt dieser Spirit wieder, wenn die Menschen wieder im normalen Leben angekommen sind. Wir brauchen meiner Meinung nach insgesamt einen großen Bewusstseinswandel, weg vom Ich und wieder mehr hin zum Wir, zur Community. Die Welt braucht mehr Licht, sie braucht mehr Yoga.
Mehr über das Projekt erfahren: zum Charity Projekt Im Rahmen des Projektes sollen Ukrainerinnen und Ukrainer zu Yogalehrinnen und – Lehrern sowie Rehatrainerinnen und -trainern ausgebildet werden. Die Ausbildung ist Yoga Alliance zertifiziert und damit international anerkannt. Alle Ausbildungsmaterialien sind kostenfrei. Das 18-tägige Training kann jederzeit auf Deutsch und vom 21.05.2023 bis zum 29.05.2023 sowie vom 05.06.2023 bis zum 13.06.2023 auch auf Ukrainisch absolviert werden. Es kann live in Mainz in Präsenz teilgenommen werden, per Livestream kann man sich bundesweit dazuschalten. Mehr über die WAY Europäische Akademie für Yoga und ganzheitliche Gesundheit erfahren. |