Heute ist es wieder so weit: Es ist Weltyogatag! Dieser Tag wurde 2014 beschlossen und seit 2015 nutzen immer mehr Menschen diesen Tag, um Yoga auszuprobieren. Selbst die Vereinten Nationen erkennen den hohen Nutzen von Yoga für die Weltbevölkerung an und unterstützen den Yogatag. Die Idee war, dass man Yoga kostenlos ausprobieren kann. Eine gute Idee …
Als ich mich auf den Webseiten der großen Münchner Yogastudios umgesehen habe, konnte ich keine Angebote zum Weltyogatag finden. Als ich mich auf Facebook nach Studios erkundigte, die an diesem Tag kostenlos Yoga anbieten, erhielt ich eine Antwort, die mir deutlich machte, was aus Yoga geworden ist: „Eine hochwertige Dienstleistung! Eine qualitative Dienstleistung sollte entsprechend honoriert werden. Oder gehen Sie auch ohne Gehalt arbeiten?“
Als ich diese Zeilen las, musste ich an einen Podcast auf YogaEasy denken, dass ich zufällig vor einigen Tagen gehört habe. Es ist ein Interview mit Anna Trökes, die den Yogamarkt ja seit gut 45 Jahren kennt (#2: Gespräch mit Anna Trökes über Erkenntnisse aus mehr als 40 Jahren Yogalehrer-Praxis). In dem Interview stellt Anna fest, dass Yoga heute zu einer Dienstleistung geworden ist und Studios für die sie arbeitet, auch eine bestimmte Leistung erwarten. Aber hat das noch etwas mit Yoga zu tun?
Der Yogaweg
Für mich ist Yoga ein Weg der Selbsterkenntnis. Das war er immer schon. Als ich vor gefühlten 100 Jahren meine Magisterarbeit an der Uni München geschrieben habe, nahm Yoga einen Teil davon ein. Ich beschäftigte mich in der Arbeit mit der Frage: „Wer bin ich?“ im Kulturvergleich. Eine äußerst spannende Frage! Sie spielt auch in der Yogaphilosophie eine zentrale Rolle. Es ist eine Frage, die uns zu unserem wahren Wesen führen soll. Und sie tut es auch, wenn wir bereit sind, hinter all die Rollen zu schauen, die wir tagtäglich bedienen. Das ist natürlich ein sehr radikaler Ansatz. Denn – so erging es mir – durch diese Frage habe ich immer wieder erfahren, dass ich letztendlich all das nicht bin, mit dem ich mich identifizierte. Stattdessen bin ich reines Bewusstsein. Frei von allem. Erfahre ich mich als reines Bewusstsein, also quasi als meinen Purusha, dann erkenne ich, dass ich auch nichts leisten muss. Es ist nämlich schon alles da. Auch das ist natürlich ein radikaler Ansatz in einer Gesellschaft, in der wir immer etwas leisten wollen und glauben, dass wir ohne Leistung nichts verdient haben. Und nun hat dieser Aspekt auch die Yogamatte erfasst. Dabei sind wir doch alle auf die Matte gegangen, um uns genau davon zu erholen: Dem Leistungsdruck, dem wir 24/7 ausgesetzt sind …
Zurück zur Dienstleistung: Natürlich ist es vollkommen gerechtfertigt, dass man für seinen Yogaunterricht bezahlt wird und auch etwas dafür zahlt. Allerdings führt uns dies aufs Glatteis, bzw. im Hinblick auf das Ziel des Yoga in eine Sackgasse. Hier möchte ich mich noch einmal auf die Yogaphilosophie berufen, in der uns an verschiedenen Stellen des Yogasutra und auch in der Bhagavadgita geraten wird, uns frei zu machen von den Früchten unserer Praxis. Und auch das ist natürlich für uns Westler, die wir in diesem Leistungsprinzip aufgewachsen sind, eine große Herausforderung – und die größte Prüfung überhaupt. Wir gehen in den Yogaunterricht, weil wir etwas bekommen wollen: Tipps gegen Rückenschmerzen, Empfehlungen für die Ernährung, Anleitungen für einen besseren Schlaf, etc. Wenn sich der Unterricht für uns auszahlt, bleiben wir gerne bei dem Yogalehrer und zahlen ihn auch gerne. Bedient er uns gut, geben wir. Bedient er uns schlecht, suchen wir uns einen anderen Yogalehrer, der mehr auf uns eingeht, bei dem wir uns besser und wohler fühlen.
So weit so gut. Aber hat das noch etwas mit Yoga im eigentlichen Sinne zu tun? Yoga, auch übersetzt als „Verbindung“ bleibt hier auf der Strecke. Gemeint ist die Verbindung zwischen Körper und Geist, die dazu führt, dass mein Geist zur Ruhe kommt. Und dies im Sinne des Yogasutra: 1.2 || yogash chitta-vrtti-nirodhah || 1.2 ||Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen (Nirodha) der Fluktuationen (Vrtti) des Bewusstseins (Chitta). Kommt alles zur Ruhe, entsteht eine andere Verbindung. Und zwar die Verbindung zum Kosmos, zur Transzendenz, die mich erkennen lässt, dass ich nichts tun muss, wenn es um Yoga geht, weil schon alles in mir vorhanden ist. Sie lässt mich auch erkennen, dass der Yogalehrer nur eine Nebenrolle spielt. Ich selbst bin es, die üben muss. Gehe ich nur ins Yogastudio des Lehrers, der Community oder der guten Vibes wegen – hat das nichts mehr mit Yoga im ursprünglichen Sinne zu tun.
Ich glaube, das ist die größte Herausforderung: sich auf die Matte zu setzen und Yoga seiner selbst wegen zu machen! Sich auf dem Meditationskissen niederzulassen, um alles loszulassen. Nichts haben zu wollen. Nichts sein zu wollen. Nichts beweisen zu müssen. Einfach nur sein. Einfach sein. Einfach. Sein.
Einfach sein
Wie wär’s, wenn du den heutigen Weltyogatag nutzt, um einfach mal nur zu sein. Auch auf der Yogamatte. Es einfach tun. Es einfach geschehen lassen. Die Übungsreihe, die dein Lehrer dir gegeben hat, weil er glaubt, dass sie dir guttut, einfach mal lassen. Stattdessen einfach mal in die Übungen gehen, die dir heute in den Sinn kommen. Ohne Plan. Ohne Ziel. Stattdessen einfach nur sein. Einfach sein. Einfach. Sein.
Und noch einen kleinen Vorschlag möchte ich dir mit in den heutigen Weltyogatag geben: Wie wäre es, wenn du deine Yogapraxis allen Wesen widmest? Oder wie gefällt dir der Gedanke, dass du dich mit deinem Bewusstsein mit allen Wesen im Sinne des Yoga verbindest, die heute am Weltyogatag auch Yoga machen. Mit allen Wesen meine ich auch die Yogalehrer oder Yogapraktizierenden, die du nicht magst. Schau einfach über das hinweg, was du nicht magst oder magst und verbinde dich mit dem Wesen von allen. Sei einfach mit allen. Sei einfach alle. Einfach. Alle.
Der Weltyogatag ist also viel mehr als ein Tag, an dem wir einfach nur Asanas praktizieren. Der Weltyogatag könnte eine Möglichkeit sein, Yoga für dich im ursprünglichen Sinne zu erfahren. Lass also heute alles los, was du bisher über Yoga gelesen und gehört hast. Geh auf die Matte und sei einfach. Einfach offen sein. Einfach. Offen. Sein.
Was für eine erfüllende Erfahrung!