Das Bewusstsein für traumasensiblen Yoga hat stark zugenommen. Wenn man bedenkt, dass jeder vierte bis fünfte Mensch in seinem Leben ein Trauma erlebt, dann ist es höchste Zeit, mehr Traumasensibilität in unseren Alltag zu integrieren. Dazu sprachen wir mit Eva Weinmann, Yogalehrerin, Diplompsychologin und Traumatherapeutin. In ihrer Arbeit kombiniert sie therapeutische Methoden und körperliche Verfahren miteinander.
In diesem Interview sprechen wir mit der Expertin darüber, warum das Bewusstsein für Traumasensibilität zugenommen hat, was Trauma auch für das Nervensystem bedeutet, warum der Körper sich bewusster an Stress und Trauma erinnert als der Verstand und wie du die Sprache deines Körpers besser verstehen kannst.
INTERVIEW
YOGA AKTUELL: Generell hat in der Yogaszene das Bewusstsein für Traumasensibiliät genommen. Hast du eine Idee, woran das liegt?
Eva Weinmann: Ich gehe von mehreren Gründen aus. Ganz allgemein hat das Bewusstsein über psychische Belastungen und insbesondere über Trauma in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren zugenommen. Zudem gibt es immer mehr Forschungen, die sich mit den positiven Effekten von Yoga nicht nur auf unsere physische, sondern auch auf unsere psychische Gesundheit befassen.
Weitere Gründe sehe ich in Berichten rund um Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen, die in den letzten Jahren immer wieder in der Yogaszene ans Licht kamen. Mit ihnen wurden Fragen rund um die Ursache und Prävention laut. Machtmissbrauch ist besonders in hierarchischen Strukturen möglich, wo dem Lehrer, der Lehrerin eine gewisse Allmacht zugeschrieben wird und Teilnehmende sich aufgefordert fühlen, alles ohne Hinterfragung mitzumachen. Den Teilnehmenden stattdessen auf Augenhöhe zu begegnen, die Eigenwahrnehmung der Schülerinnen und Schüler zu stärken und Wahlmöglichkeiten anzubieten, bildet ein wichtiges Gegengewicht, dass wir in immer mehr Yogastunden und Yogaausbildungen finden. Diese Aspekte sind auch Teil von dem, was wir unter Traumasensibilität im Yogaunterricht verstehen.
Um Trauma geht es auch in deinem Buch. Man kennt es vielleicht auch aus dem eigenen Leben, dass man diesen Begriff gerne mal inflationär benutzt: Denn im Alltag vieler Menschen wird die Steuererklärung oder die Präsentation bei der Arbeit als etwas Traumatisches benannt. Könntest du kurz skizzieren, was du als Expertin darunter verstehst?
Prinzipiell kann es hilfreich sein, wenn es für manche Begriffe ein größeres Bewusstsein in der Gesellschaft gibt. Weil dann auch die Notwendigkeit von therapeutischen Methoden deutlicher wird und im Zuge dessen vielleicht auch mehr geforscht wird. Aber du hast absolut Recht, dass es eben auch dazu führen kann, dass Begriffe nicht ganz sauber benutzt oder in Bereiche des Alltags mit reingezogen werden, wo sie nicht unbedingt hingehören.
Unter einem Trauma, was aus dem Griechischen kommt und „Wunde“ heißt, versteht man eine Verletzung. Es kann eine starke körperliche Verletzung, also ein körperliches Trauma sein, aber meistens bezieht es sich eher auf eine psychische Verletzung, die ihre Spuren auch im Körper hinterlässt. Zudem zeichnet sich ein Trauma dadurch aus, dass es die eigene Fähigkeit zur Bewältigung und zur Verarbeitung übersteigt.
Wenn Menschen von etwas Traumatischem in ihrem Alltag sprechen, dann meinen sie oft etwas, das zwar belastend ist, sie aber durchaus die Bewältigungskompetenzen dafür besitzen. Dadurch kann der Begriff verwässert werden und seine Trennschärfe verlieren.
Wenn wir stressige oder traumatische Erfahrungen machen: Inwieweit erinnert sich unser Körper letzten Endes bewusster – auch durch die Sinneswahrnehmungen und das Unterbewusstsein – als unser Verstand?
Das liegt daran, dass sich unser Gehirn evolutionär gesehen von unten nach oben und von innen nach außen entwickelt hat. Dabei ist die letzte Struktur, die sich entwickelt hat, das Großhirn, wo das bewusste Denken primär angesiedelt ist. Das ist somit auch die Funktion, die am sensibelsten ist und die sich bei hohem Stress und/oder Trauma als erstes wieder abschaltet.
Man sagt auch, dass während traumatischer Ereignisse der Teil, der gehen kann, geht – das ist die bewusste Wahrnehmung – und dass der Körper zurückbleibt; und somit die Erlebnisse auch viel intensiver im Körper gespeichert sind.
Während traumatischer Erfahrungen ist zum einen die Fähigkeit zum klaren Denken eingeschränkt, zum anderen nehmen die Stresshormone zu und der Körper mobilisiert Kräfte, um kämpfen oder fliehen zu können. Wenn beides nicht möglich ist, bleibt der Mensch auf dieser Anspannung quasi sitzen. Wenn man dann zu einem späteren Zeitpunkt beispielsweise ähnliche Anspannungen wie damals im Körper spürt oder der Atem mal ähnlich flach und schnell fließt wie damals, kann das Erinnerungen – oder Fragmente davon – zutage führen.
Wie können wir unsere Eigenwahrnehmung stärken, um die Sprache unseres Körpers besser zu verstehen?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass die meisten von uns in einer Zeit in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, wo wir gelernt haben, unsere Wahrnehmung eher im Außen als im Innen zu stärken.
Der Yogaunterricht bietet uns viele Möglichkeiten zur Stärkung der Eigenwahrnehmung. Werde ich in einer Yogastunde beispielsweise aufgefordert, in die Haltung der Taube zu gehen, dann habe ich als Orientierung zwei Möglichkeiten: Ich kann zum einen versuchen, das, was die lehrende Person vormacht, eins zu eins nachzumachen oder ich kann einen Moment innehalte und mir Zeit nehmen, um ins Spüren zu kommen. So kann ich wahrnehmen, ob die Haltung für mein Knie eine gute Idee ist oder ob ich lieber eine andere, knieschonendere Variante wählen möchte.
In manchen Situationen fällt uns die Eigenwahrnehmung vielleicht besonders schwer, da sie mit gewissen Glaubenssätzen oder Werten kollidiert: Wenn ich beispielsweise die Idee habe, alles richtig machen zu wollen oder nicht aufzufallen, dann kann es sein, dass ich Knieschmerzen in Kauf nehme, um – wie der Großteil der Gruppe – in der Taube zu sein. Insbesondere wenn man solche Muster bei sich erkennt, kann es hilfreich sein, sich bewusst Zeit für sich selbst einzuplanen. Das kann so aussehen, dass wir uns allein auf der Yogamatte so bewegen, wie es sich für uns am stimmigsten anfühlt, dass wir in die Eigenreflexion gehen, Tagebuch schreiben, uns darin üben, Gefühle besser wahrnehmen und benennen zu können etc.
Wenn dieser Ansatz neu ist, ist es ratsam, geduldig mit sich selbst zu sein. Wenn man beispielsweise bei einem gewissen Angebot nicht weiß, ob man es annehmen möchte, kann man sich bei manchen Entscheidungen gewissermaßen „Zeit einkaufen“, indem man sich erst am folgenden Tag zurückmeldet, um Zeit zu haben, in Ruhe ins Spüren zu kommen.
Hast du einen Tipp, wie wir uns mehr mit unserem Körper verbinden können und ihn gerade auch im Kontext vom traumasensiblen Yoga als sicheren Ort wahrnehmen können?
Wenn der eigene Körper nicht als sicherer Ort gespürt wird, dann ist es eine sehr wertvolle Fähigkeit, das überhaupt erst einmal so wahrzunehmen. Und anstatt sich dann noch mehr auf den Körper zu fokussieren, kann es im ersten Schritt manchmal hilfreicher sein, die Aufmerksamkeit nach außen zu lenken. Es mag leichter sein, zu erkennen, dass der äußere Raum jetzt gerade sicher genug ist.
Um ein Gefühl von Sicherheit wahrzunehmen, checkt unser Nervensystem ja nicht nur unsere Innenwelt, sondern auch die Außenwelt und diese gleicht es dann miteinander ab. Steven Porges hat diese Fähigkeit Neurozeption genannt. Es kann hilfreich sein, zunächst einmal die äußere Sicherheit wahrzunehmen und sich dann langsam dem Körper anzunähern. Vielleicht erst einmal über die Verbindung zwischen dem Körper und der Außenwelt. Eine Klientin von mir macht das, indem sie regelmäßig ganz bewusst ihren Hund streichelt: So kommt sie ins Spüren und ihrem Körper näher, aber sie ist eben noch in Kontakt mit der Außenwelt und einem Lebewesen, mit dem sie sich sehr positiv verbunden fühlt.
Im nächsten Schritt könnte man nach Körperbereichen schauen, wo es okay ist, die Aufmerksamkeit hinzulenken, weil sich diese Bereiche zumindest neutraler anfühlen. Hier könnte man auch nach Yogahaltungen schauen, die sich sicher, okay oder verhältnismäßig angenehm anfühlen. Sicher ist in diesem Kontext eigentlich ein zu großes Wort, denn das ist für Menschen total unterschiedlich und für manche auch nicht so leicht herstellbar! Ich habe Teilnehmende im traumasensiblen Yoga, die sich in der Kindeshaltung sicher und geborgen fühlen, andere nicht, da sie den Raum dann nicht mehr sehen können. Es ist etwas sehr Individuelles.
Macht es einen Unterschied, wann ich meine Anker setze? Also kann ich im Trubel des Geschehens nach innen spüren oder eher in Momenten des Rückzugs? Sprich: Wenn ich im Wald bin, mein Haustier streichle oder in der Toilettenkabine einen ruhigen Moment für mich haben kann?
Ja, absolut. Für Menschen, die schon gut mit sich in Verbindung sind, kann es toll sein, mitten im Trubel die Aufmerksamkeit eher nach innen zu nehmen und in sich einen guten Ort zu haben. Aber für Menschen, die diese Kapazitäten nicht haben, ist es in diesem Trubel eigentlich viel unterstützender, die Aufmerksamkeit nach außen zu nehmen und sich selbst vielleicht in Ruhe zu erzählen, was man gerade sieht, sich auf einen Gegenstand zu konzentrieren, wo man gerne hinschaut, und zu merken, dass es Anker im Außen gibt.
Auch in der traumasensiblen Achtsamkeit und in der Meditation gibt es immer mehr Überlegungen, diesen Anker nicht nur in sich selbst zu suchen. Auch wenn es für viele Menschen gut funktioniert, so kann es bei Menschen mit Trauma-Hintergrund hilfreich sein, den Anker eher im Außen zu setzen und sich dort hinzuorientieren. Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn man es nicht immer schafft, aus eigener Kraft heraus in sich selbst Ruhe und Sicherheit herzustellen.
Schön, dass auch in den Bereichen das Bewusstsein für Traumasensibilität wächst. Danke für diesen Austausch, Eva.
Eva Weinmann ist Dipl. Psychologin, Therapeutin, Yogalehrerin und Autorin. Sie bietet Workshops und Retreats rund um die Schnittstelle zwischen Yoga und Psychologie an und bildet zusammen mit Helga Baumgartner in traumasensiblem Yoga aus. Zudem ist sie in eigener Praxis tätig. Sie lebt im Chiemgau.
Eva Weinmann. Wenn dein Körper sich erinnert: Mit traumasensiblem Yoga den Körper wieder als sicheren Ort spüren. Droemer Knaur. 2023
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