Zwischen Drill, natürlicher Spiritualität und pinken Gummischlappen: Yoga stößt im „Land der Mitte“ auf reges Interesse.
Guangzhou – ein Koloss, die größte Stadt im chinesischen Süden, „Fabrik der Welt“ wird sie genannt und ist eine der größten zusammenhängenden Stadtlandschaften der Welt. Seit Wochen bin ich hier „lost in translation“, jetzt auf der Suche nach etwas Vertrautem, einem Stück Heimat in der Fremde. Mein Ziel: das Brahma-Yoga-Studio auf der Binjiang-Straße mit ihrem brodelnden Verkehr, ihren Hochhäusern und einem niemals abreißenden Menschenstrom, der geschäftig die Straße säumt. Am Eingang des Studios, hoch oben über dem Lärm, strahlen mir duftende Lilien und eine bunte Ganesha-Figur ins Gesicht, hinter dem Tresen sitzen drei junge chinesische Damen, in ihr Handy versunken. Hinein in ein quirliges Aus- und Anziehen, begleitet von dem beständigen Blick auf das Mobiltelefon, 140 Schließfächer auf gefühlten 10 Quadratmetern, das geht nur in China. Der Boden des Umkleideraums ist gesäumt von pinken Plastikschlappen. Alle schlüpfen hinein, ich mache alles nach und bin mehr als bereit, mich auf Yoga auf Chinesisch einzulassen. Auf dem Weg zum Yogaraum guckt mir Iyengar mit einem festen Blick in die Augen: „My body is my temple“, steht darunter.
Weiter, schneller, härter?
Der Eingang des Yogaraums ist deutlich gekennzeichnet durch die ordentliche Anordnung der pinken Gummischlappen, fast wie ein Monument mit der Aufschrift: Das in der Fabrik der Welt produzierte Plastik bleibt draußen! Als ich als einzige Ausländerin hereinkomme, geht ein Raunen durch den Raum. Die laute Stimme der Yogalehrerin reißt mich aus der Stille. Harsche und aggressive Ansagen, pimp deinen Körper, Muskeln anspannen, work-out. Bei allen Übungen sollen die Zehen nach oben gezogen werden. Es ist, als würde die Angst, überflüssig zu werden und nicht mit der Spitze des Fortschrittstrebens mitzuhalten in einer Gesellschaft, die auf Wachstum gedrillt ist, die Praxis auf der Matte steuern.
Die Lehrerin geht herum, drückt die Körper in verdreht und ungesund anmutende Positionen und schlägt eine Schleuse schmerzentstellter Gesichter durch den Yogaraum. Weiter, härter, schneller – der Kapitalismus mit seinem neuen Menschenformat hat es bis auf die Yogamatte geschafft. Endlich Endentspannung. Mir flattern ganze Gedankenschwärme durch den Kopf, von Yoga als Zur-Ruhe-Kommen der Gedanken im Geist, dem von Patanjali im zweiten Sutra formulierten Ziel des Yoga, keine Spur. Ich muss an den Essay […]