Nichts für die breite Masse: der Schweizer Reinhard Gammenthaler beschreibt sich selbst als einen Yoga-Sadhaka, der einen der wenigen noch verbliebenen authentischen Yogapfade geht. In diesem Interview spricht er über den von ihm praktizierten Kundalini-Yoga, die Erfordernisse einer rigorosen Sadhana, über seine Ablehnung gegenüber weichgespülten Abwandlungen der Yoga-Tradition und über seinen Traum, eines Tages ein richtiger Yogi zu werden.
Reinhard Gammenthaler ist ein Schüler des indischen Yogis Swami Dhirendra Brahmachari, der 1994 bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam. Gammenthaler folgt seit über einem Vierteljahrhundert der Tradition seines Guru. Er verbrachte viele Jahre mit seinem Lehrer in den Fußhügeln des Himalayas, wo er sich einer strengen Sadhana-Praxis hingab. Erst nach vielen Jahren der eigenen Praxis begann er, die Tradition des Swami Dhirendra Brahmachari weiter zu geben. Im Jahr 2002 gründete er eine Yogaschule in Bern und lehrt seitdem Kundalini Yoga.
Julia Johannsen: Was ist Yoga in der Tradition und Lehre des Dhirendra Brahmachari?
Reinhard Gammenthaler: Swami Dhirendra Brahmachari war ein echter und verwirklichter Yogi, und das von ihm vertretene Yoga-System wurde ihm von seinem Guru Maharshi Kartikeya gelehrt, der es in den Zeiten seiner Wanderschaft von praktizierenden Yogis im Himalaya empfangen hatte. Es ist das Wissen der auf die uralten Yogis Goraksha und Matsyendra zurückgehenden „Guru-Shishya-Parampara“, der traditionellen Erbfolge von Meister und Schüler. Es entspricht in allen Teilen den Überlieferungen der Yoga-Shastra, d.h. den Basis-Texten des Yoga wie z.B. „Hathayoga-Pradipika“, „Gheranda-Samhita“, „Shiva-Samhita“, „Patanjala Yoga-Darshana“ oder der „Goraksha-Paddhati“. Dabei geht es stets um die Verwirklichung des göttlichen Selbst durch praktische Übungen, Hingabe, Glaube, Vertrauen und Ausdauer. Yoga in seiner wirklichen Form ist eine praktische Wissenschaft, die das gesamte menschliche Wesen, Seele, Geist und Körper, in diesen Prozess der Transformation einbezieht. Der Körper, der in vielen mehr geistig orientierten altindischen Systemen gering geachtet oder sogar als Hindernis betrachtet wird, erfährt im Yoga einen hohen Stellenwert und wird als göttliches Instrument zur Transformation angesehen. Mein Guru legte großen Wert darauf, dass seine Schüler der Praxis huldigen, denn nur aus praktischer Arbeit kann umfassende Kenntnis entstehen, und er pflegte sogar zu sagen, dass Menschen, die nicht praktizieren, es im Grunde genommen gar nicht verdienen, gesund zu sein. Umfassende Gesundheit ist ein hoher göttlicher Zustand, den zu erreichen das wichtigste Ziel eines Menschen sein […]