Der Unternehmer und Visionär Bernd Kolb brach zu einer Expedition zur Weisheit auf – und erfuhr das Unbeschreibliche, die tiefste Essenz des Yoga. Die Begegnungen, die er auf dieser transformativen Reise erlebte – von Seele zu Seele, von Atman zu Atman – hielt er in einem außergewöhnlichen Bildband fest. Welche Antworten er in diesen zutiefst berührenden Momenten ohne Worte fand, erzählt er im Interview mit YOGA AKTUELL
Bernd Kolb gilt als Visionär, weil er sich als Vordenker um eine nachhaltige Zukunft bemüht und dafür konkrete Ideen entwickelt. Es geht ihm heute darum, dass die globale Gesellschaft von ihrem maßlosen materialistischen Irrweg abkommt, der die natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten systematisch zerstört. Seit vier Jahren ist er mit seinen Expeditionen unterwegs an die Quellen der Weisheit, um sie den Menschen zurückzubringen. Er glaubt, dass die Weisheit abhandengekommen ist, obwohl sie heute mehr denn je gebraucht wird. In seinem neuen Buch „ATMAN“ dokumentiert Kolb in eindrucksvollen Portraits die Erfahrungen seiner „Wisdom Journey“.
YOGA AKTUELL: Wie kam es zu deiner „Wisdom-Journey“-Expedition?
Bernd Kolb: Ich habe in meinen bisherigen beruflichen Stationen immer den Blick voraus geworfen, mehrere Unternehmen gegründet und meine Zukunftsvisionen stets erfolgreich umgesetzt. Als Unternehmer habe ich in Deutschland die erste Internetfirma überhaupt an die Börse gebracht; das war 1999. Ein paar Jahre darauf war ich Vorstand für Innovation bei der Deutschen Telekom. Ich bin ein Mann der Wirtschaft und kenne das Spiel der Kapitalmärkte in- und auswendig. Im Jahr 2006 hatte ich dann das einschneidende Erlebnis, einen Vortrag von Al Gore zu hören: „Eine unbequeme Wahrheit“. Ich hatte mich nie zuvor näher mit Ökologie beschäftigt, war dann aber so geschockt von den faktischen Entwicklungen, dass ich als Innovationsmanager dachte: Wir müssen vieles grundlegend verändern. Es braucht ein ganz neues Denken, Innovation im Kopf, ein neues Bewusstsein. Eine gesellschaftliche, kulturelle und industrielle Revolution. Historisch gesehen hat es schon einmal einen solchen fundamentalen geistigen Wandel gegeben – und zwar den Übergang vom Mittelalter zur Renaissance, eine unblutige, aber erfolgreiche Revolution. Mich hat interessiert, wie man damals diesen neuen Geist in die Welt bekommen hat. Lorenzo di Medici, ein wohlhabender Kaufman aus Florenz, hatte die Idee, die damals größten Vordenker einzuladen, um ihnen – wie man heute sagen würde – einen Open Space anzubieten. Er schuf mit der Villa Medici einen Ort, in der alle großen Denker dieser Epoche zusammenkamen, um gemeinsam Neues zu erschaffen. Diese Idee hat mich so fasziniert, dass ich in Marrakesch einen alten Stadtpalast zu neuem Leben erweckte, um dort selbst einen solchen Ort zu gründen. Wir glauben heute an die Formel: Reichtum macht glücklich. Viele wissen natürlich, dass sie nicht stimmt – und trotzdem laufen viele dieser Illusion wie Junkies hinterher. Ich habe also die interessantesten Denker der Welt eingeladen, um gemeinsam interdisziplinär neue systemische Ideen zu entwickeln. Daraus entstand der Club of Marrakesch, ein Netzwerk. Wir haben uns in den verschiedensten Runden darum bemüht, wie wir etwas Neues in die Welt bringen können. Und natürlich war es wichtig, einen Konsens zwischen uns zu finden, was dieses Neue denn sein könnte. Beispielsweise Finanzmärkte: Wie könnte man Finanz- und Kapitalmärkte neu organisieren, damit die Firmen nicht systematisch zu rein quantitativem Wachstum gezwungen sind, wenn sie an der Börse sind. Es ging uns um qualitatives Wachstum. Es war ein hochinteressanter Diskurs, viele visionäre Ideen wurden geboren. Ich dachte damals, dass wir den Appell an die Vernunft des Menschen richten können. Mit guten Argumenten und umsetzbaren, neuen Ansätzen. Ich merkte dann aber in der Folge, dass man beispielsweise der chinesischen Regierung das Problem nicht erklären muss, weil sie genau weiß, wie es aussieht. Gleiches gilt nahezu für die gesamte Führungselite in Politik und Wirtschaft weltweit. Aber stets war die Hybris stärker, das grenzenlose Wachstum, der schnelle Profit, das kurzfristige Denken. Daran bin ich auf diese Art global gesehen leider gescheitert. Ich musste erkennen, dass man das neue Denken nicht mit guten Argumenten allein motiviert. Die Vernunft gibt es nicht mehr, die Droge Geld ist stärker. Obwohl wir es besser wissen. Das bedeutet: Es fehlt uns der richtige Umgang mit diesem Wissen. Es geht um eine neue Haltung. Um ein neues Bewusstsein. Um ein neues, bewusstes Sein. Und dazu braucht es Weisheit.
Also brach ich 2012 zu einer großen Expedition nach Asien auf, um den größten Schatz der Menschheit, die alten Weisheitstraditionen, direkt an ihren Quellen aufzuspüren. Ich wollte eigene Erfahrungen machen, wollte erleben, was die Rituale der alten Weisheitspraktiken mit einem anstellen, um so zunächst selbst mein eigenes Bewusstsein zu erweitern. Alles fängt immer erst bei einem selbst an. Schlaue Theoretiker haben wir schon mehr als genug. Ich habe mich voll und ganz eingelassen, und mich nach und nach von meinem eigenen Wissen und meinen Vorurteilen befreit. Und: Ich erhielt Antwort auf meine zentrale Frage: Was ist das Geheimnis eines glücklichen, erfüllten und gesunden Lebens? Ich hätte es selbst nicht für möglich gehalten, welches großartige Potenzial in uns Menschen steckt, wenn wir es zum Blühen bringen. Meine Lehrmeister waren allesamt Menschen, die noch mit sich und der Natur im Reinen leben. Es waren diese berührenden Begegnungen, die gemeinsamen Meditationen, das vollkommene Loslassen, die absolute Gegenwärtigkeit, das Eins-Sein mit allen und allem. Die lebendige Verbindung zwischen Herz und Verstand. Das ist der Schlüssel.
Aus dieser Expedition ist ein wunderschöner Bildband geworden: „Atman“. Du hast in diesem Buch Bilder von weisen Menschen eingefangen. Es sind Portraits von sehr ausdrucksstarken Menschen. Konntest du ahnen, dass so ein wunderschönes Buch entstehen würde?
Ich hatte nie die Absicht, ein solches Buch zu machen. Es ist einfach so entstanden, weil ich stets eine Kamera bei mir hatte. Ich habe erst spät bemerkt, was ich da eigentlich fotografiert habe. Die Verbundenheit zwischen uns Menschen. Diese magische Energie steckt in diesen Bildern. Aber alles begann auf Bali, wo ich mein erstes, tiefes spirituelles Erlebnis hatte.
Wie genau sah dieses Erlebnis aus?
Ich befand mich mitten im Dschungel von Bali in einer stockdunklen Meditationshöhle eines balinesischen Schamanen. Er hatte mich eingeladen, dort, tief in der Erde, zu meditieren. Es kam ein Moment, in dem ich mich mit allen Geschöpfen der Natur und mit mir selbst vollkommen verbunden fühlte. Im reinen „Nichts“ fühlte ich das „Alles“. In der totalen Leere erkannte ich die Fülle. Ich war überwältigt. Ich war vollkommen wunschlos glücklich! Danach habe ich darüber nur einen entscheidenden Satz in mein Reisetagebuch geschrieben: „The everything is in the nothing!“.
Das ist die Erfahrung, nach der sich alle Yogapraktizierenden sehnen…
Ja, plötzlich verstand ich die alten yogischen Schriften. Es war eine Erfahrung jenseits von Geburt und Tod, diesseits der Welt, wie ich sie bis an diesem Tag noch niemals wahrgenommen hatte. Aber diese Erfahrung lässt sich auch nicht wirklich in Worte fassen. Auch das wird in den alten Weisheitsschriften immer wieder betont, und ich konnte in dem Moment verstehen, was damit gemeint ist. Ich denke hier immer wieder an Laotse, der in seinem großen Buch des Tao, der ältesten chinesischen Weisheitslehre, im ersten Satz schreibt: „Das Tao, das man beschreiben kann, ist nicht das wirkliche Tao.“ Das bedeutet: Man kann noch so viel darüber lesen, man wird es nie verstehen, wenn man nicht selbst diese Erfahrung macht. Das Schöne ist: Jeder kann sie machen. Mich freut es sehr, dass die ersten Yogastudios das Meditieren mit den ATMAN-Bildern in ihre Kurse integrieren. Das ist für mich eine Yogaerfahrung in ihrer reinsten Form.
Was hat diese Erfahrung bei dir bewirkt?
Sie hat mein Sein, mein Bewusstsein, mein Sicht auf mich und das Leben vollkommen verändert. Sie hat mir auf einer sehr tiefen, umfassenden Ebene bewusst gemacht, dass wir alle miteinander verbunden sind und nichts unabhängig voneinander existiert. Und sie brachte mich wieder mit dem in Kontakt, was mich bereits mit 15 Jahren zutiefst berührt hatte, als ich „Siddhartha“ von Hermann Hesse gelesen habe. Damals habe ich viel eher geahnt als verstanden, wovon er sprach. Aber der Satz „Dorthin zu dringen, zum Ich, zu mir, zum Atman – gab es einen anderen Weg, den zu suchen sich lohnte?“… Dieser Satz kam mir wieder in den Sinn, und ein wichtiger Kreis in meinem Leben hatte sich geschlossen.
Wolltest du das, was man nicht in Worte fassen kann, in Bildern ausdrücken?
Meine Kamera war mein Begleiter, und erst im Laufe der Reise wurde mir bewusst, dass ich im Begriff war, das einzufangen, was so schwer in Worte zu fassen ist. Ich gehe heute davon aus, dass es möglich ist, neben Licht und Farbe auch Energie in Fotografien zu speichern, wenn sie durch die seelische Verbindung zwischen mir und meinem Gegenüber freigesetzt wird: das „Aufnehmen“ der Magie in den Momenten der Einheit.
Was war das Leitmotiv deiner Expedition?
Meine Leitplanken waren Achtsamkeit, Respekt und Offenheit. Und mein Leitmotiv war die Frage, wie wir unser Dasein zur vollen Blüte bringen können. Ich wollte herausfinden, was diese Menschen, die häufig so wenig Materielles besitzen, so tief zufrieden sein lässt. Sie luden mich ein, nahmen mich auf und teilten neben ihrem spärlichen Hab und Gut auch ihre Weisheit mit mir – eine Weisheit, die jenseits von Raum und Zeit liegt (lacht). Um dieser Weisheit zu begegnen, musst du dich freimachen von einem festgelegten Plan. Zeit spielte auf meiner Reise also irgendwann keine Rolle mehr. Schon ganz früh habe ich meine Pläne über Bord geworfen und bin dann nur noch meiner Intuition gefolgt. Dies war auch einer der Schlüssel. Das führte dazu, dass sich alles fügte. Oft war es ein leises Gefühl, das mich in eine bestimmte Richtung gehen ließ. Manchmal war es ein kurzer Augen-Blick, der mich anzog. Einmal zum Beispiel ein Mädchen, das mich in einer wuseligen, lauten Menschenmenge anschaute. Es war wieder ein solcher Moment, in dem ich spürte, dass wir alle miteinander verbunden sind. Dieses Mädchen ist übrigens auf dem Cover des Buches zu sehen.
Diese Begegnung scheint dich sehr berührt zu haben. Was genau ist da passiert?
Ich war in Kathmandu auf dem Durbar Square. Es war Krishnas Geburtstagsfest. Auf dem Platz waren bestimmt 5000 Menschen versammelt. Sie alle wollten Krishna zu Ehren zusammen feiern und tanzen. Das Mädchen war hinter mir. Sie schaute mich aus etwa 50 Metern Entfernung an. Ich spürte ihren Blick förmlich in meinem Rücken. Als ich mich umdrehte, sah ich sie inmitten des Trubels auf einer Treppe sitzen. Ich fühlte mich von ihr angezogen wie von einem Magneten. Ich ging auf sie zu, wir begrüßten einander mit dem landesüblichen Namaste, was so viel bedeutet wie: „Das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in Dir!“ Ich fühlte genau das, was dieser Gruß zum Ausdruck bringt. Ich spürte diese Verbindung zwischen ihr und mir. Namenlos, zeitlos. Wir waren Fremde, die einander nicht kannten und sich trotzdem voller Zuneigung, Respekt und einem Gefühl der tiefen Verbundenheit begegnen. So, als würden sich unsere Seelen, unser Atman begegnen. Jenseits jeder Absicht.
Mir ging es beim Betrachten der Fotos auch immer wieder so, dass ich das Gefühl hatte, unmittelbar in die Seele dieser Menschen schauen zu können. Wunderschöne Portraits. Sie laden einen regelrecht ein, eine Meditation der Verbundenheit zu praktizieren. Diese Menschen müssen ja ein tiefes Vertrauen zu dir gehabt haben, weil sie dich so nah an sich herangelassen haben.
Ich habe mir wirklich viel Zeit für diese Begegnungen gelassen. Es kam oft zum Dialog ohne Worte – in diesem ganz starken Gefühl der wahren Liebe, die in uns allen ist, frei von jeder Erwartung. Und immer total im Moment, der alle Zeit vergessen machte. In solchen Situationen entstanden viele dieser Bilder, im unmittelbaren Gewahrsein. Die meisten Aufnahmen habe ich aus einem Abstand von 70 Zentimetern vom Gesicht meines Gegenübers gemacht. Dies ist der Mindestschärfeabstand meines Objektivs. Ich war also innerhalb des sogenannten „Sicherheitsabstandes“, der Komfortzone von einem Meter Radius, den wir üblicherweise fremden Menschen gegenüber einhalten. Oftmals saßen wir Stunden, manchmal auch Tage zusammen. Nicht selten gaben wir einander die Hand, um uns tief zu spüren. In dem Moment, in dem ich die Verbundenheit besonders tief spürte, drückte ich auf den Auslöser. Gleichzeitig wurde die Kamera so nebensächlich, dass sie irgendwie nicht zu existieren schien. Aber sie hielt fest, was das bloße Auge alleine nicht mehr sehen kann.
Das Buch ist jetzt seit einigen Monaten auf dem Markt. Und hiermit komme ich zurück zum Beginn unseres Gesprächs: Du wolltest den Menschen die Weisheit zurückbringen. Ist es dir mit dem Buch gelungen?
Ich bin zunächst einmal zutiefst dankbar, dass das Buch auf eine solch große und wundervolle Resonanz stößt. Das Buch vermittelt ja kein Wissen, sondern eröffnet eine Erfahrung, in der die eigentliche Weisheit liegt. ATMAN wird mehr und mehr zu einem Kult(ur)-Buch der Yogaszene. Es verbreitet sich durchs Weiterempfehlen, Werbung wurde für dieses Buch keine gemacht. Es wurde mir prophezeit, dass ATMAN seinen Weg zu den Menschen selbst findet – und das erfüllt sich gerade. Auf der Internetseite (Atman.de) haben bis heute weit mehr als hunderttausend Menschen eine erste Atman-Erfahrung gemacht, Hunderte haben uns auf diesem Kanal auch sehr berührend darüber berichtet. Es ist ein erster Schritt, dem noch viele folgen werden. So freue ich mich ganz besonders auf die große ATMAN-Ausstellung ab Juni in Berlin – das wird ein magischer Erfahrungsraum, in den ich bereits heute alle YOGA-AKTUELL-Leser einlade.
Herzlichen Dank für das Interview und die Einladung!
Zum Weiterlesen:
Bernd Kolb: Atman, terra magica 2015