Doris Echlin über amerikanischen Showbusiness-Yoga und europäische Vorsicht, den Weg zu Meditation und Feinstofflichkeit über den Körper, und über die Energie, die aus der Weite entsteht
Die Schweizer Yogalehrerin und Physiotherapeutin (für Neurologie und Sensorische Integration) Doris Echlin absolvierte ihre erste Yogalehrausbildung in Los Angeles, der Fokus lag auf Sivananda, Iyengar und Pattabhi Jois. Eine zweite Ausbildung brachte die Anerkennung als Yogalehrerin BDY/EYU. Darüber hinaus studierte Doris Echlin Tanz- und Physiotherapie an der University of Southern California und schloss mit dem Master of Science. Nach langjähriger Arbeit mit schwerbehinderten Kindern und einer 30-jährigen Yogapraxis ist Doris Echlin mittlerweile Leiterin der »Akademie für Hatha-Yoga« und Referentin für verschiedene Yogaschulen. Sie lebt abwechselnd in Luzern und Portland, Oregon, und unterrichtet europaweit sowie in den USA. Mathias Tietke traf Doris Echlin während eines Aus- und Weiterbildungsseminars im Berliner MOVEO-Studio.
Mathias Tietke: Du pendelst seit mehreren Jahren zwischen den USA und der Schweiz, unterrichtest regelmäßig auch in Deutschland und Frankreich, bist also eine Wanderin zwischen der alten und der neuen Welt. Welche Unterschiede beobachtest du in der Rezeption des Yoga in Amerika und Europa?
Doris Echlin: Amerika ist geprägt durch eine sehr starke kulturelle Normierung, die auch den Yoga gefärbt hat. Dennoch gibt es interessante individuelle Abweichungen und Gruppierungen, die im Gegensatz stehen zum nachfolgenden größeren amerikanischen Yogabild, welches sich skizzieren lässt mit Kraft, Energie, Effizienz und Überbetonung der Körperebene. Die Leute wagen viel mehr und gehen spielerisch an sehr schwierige Körperstellungen ran. Von außen gesehen machen die amerikanischen YogaschülerInnen schnellere Fortschritte, sind stärker, geerdeter und kompetenter in der Asana-Praxis. Yoga in den USA scheint einseitig gewichtet von tapas (Hitze), während die Qualität von svadhyaya im Sinn von Selbststudium und Reflexion sehr vernachlässigt wird. In den Yogastunden wird wenig auf die innere Stimme verwiesen, die dieses Tun lenken sollte. Die dritte Komponente, die im Yoga enthalten sein sollte, ishvara pranidhana, was mit dem Loslassen des eigenen Willens zu tun hat, wirkt oft sehr kindlich und emotionalisiert. In Europa laufen die Tendenzen genau umgekehrt: Wir kennen svadhyaya sehr gut, aber uns fehlt oft tapas, die Hitze, welche energetische Veränderungen und eine Transformation unterstützen könnte. Und ishvara pranidhana, also Hingabe an eine höhere Kraft, wird hier eher philosophisch reflektiert. In Amerika ist es einfach: Do it! Open your heart! Go ahead!
M.T.: Gehören zu diesem Animieren auch die Showelemente, wodurch Yogaklassen zu einer Art Unterhaltungsprogramm werden?
D.E.: Neben konstanter Ermunterung, Aufforderung oder Lob kriegt man oft den Eindruck, dass man den Amerikanern das Üben verkaufen möchte oder zumindest schmackhaft vermitteln will. Musik im Hintergrund soll verhindern, dass keine Langeweile aufkommt. In Kalifornien gibt es auch Auswüchse dieser Orchestrierung. Die meisten Amerikaner haben Mühe, allein für sich zu üben. Wer Yogastunden nimmt, tut dies mehrmals pro Woche. Dieses in die Stille gehen, wo man auf sich hören muss, also jemanden in sich ruhen lassen, das habe ich praktisch nie erlebt.
M.T.: Ist der mit einer Trademark versehene Yoga wie Tri-Yoga® oder Bikram-Yoga® auch eine spezifisch amerikanische Entwicklung?
D.E.: Für mich stellt diese Entwicklung die negativsten Eigenschaften Amerikas in den Mittelpunkt, die mit Macht, Profit und Status zu tun haben. Diese Tendenz, Yoga mit Kommerz zu verbinden und sich einen Teil des Kuchens abzusichern, steht absolut konträr zum Weg nach innen, den der Yoga vermitteln möchte. Der Yoga sollte zu einer Erfahrung der Einswerdung führen, nicht zur Trennung und Abgrenzung. Glücklicherweise habe ich in Amerika Menschen und Studios kennen gelernt, die entgegen allen Strömungen sich und dem Anliegen des Yoga treu bleiben.
M.T.: Was können die Europäer in Bezug auf Yoga von den Amerikanern und was können die Amerikaner von den europäischen Yogis lernen?
D.E.: Ich denke, dass der Yoga in Europa viel an seiner Kraft verloren hat. Wir bleiben oft an hinführenden und vorbereitenden Schritten hängen und reduzieren dadurch die Wirksamkeit der Techniken. Manchmal denke ich, Yoga besteht nur noch aus Vorsicht und Sorgfalt. Wir sollten den Horizont und die Perspektiven wieder öffnen, was nicht heißt, dass wir unbedarft mit der Kraft des Yoga umgehen sollten. Es braucht ein breites Wissen, einen klaren Aufbau und viel Erfahrung im Umgang mit den alltäglichen Vorschädigungen. Ich schätze an den amerikanischen Yogalehrern, dass sie auch bei gravierenden körperlichen Einschränkungen der Teilnehmer die Möglichkeiten voll ausschöpfen.
Auf der andern Seite könnte der amerikanische Yogaunterricht bereichert werden durch eine Einstellungsänderung nach innen, weg aus der Abhängigkeit des gebotenen Rahmens in Richtung Selbstbeobachtung und Selbstverantwortung. Dies beinhaltet mehr selbstständiges Üben, mehr Bereitschaft zum Aushalten der Stille und allem, was sich in der Stille zeigt.
M. T.: Beziehen sich deine Beobachtungen primär auf Deutschland oder sind das auch Eindrücke aus anderen Gegenden Europas? Wo überall unterrichtest du?
D.E.: Ich bin sehr viel unterwegs und unterrichte seit Jahren in Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich. Das sind die Länder, die ich über eine lange Zeitspanne beobachten konnte. Zusätzlich bin ich an internationalen Kongressen tätig, die mein Erfahrungsfeld weiter öffnen.
M.T.: Ist der Ansatz, Yoga insbesondere als Therapie und Prophylaxe zu nutzen, eine spezifisch westliche Entwicklung?
D.E.: Nein, im Grunde trifft man diesen Gedanken schon in alten, indischen Texten wie auch bei bekannten indischen Yoga-Pionieren des modernen Hatha-Yoga. Auch in der heutigen Zeit wird dieser Ansatz, Yoga therapeutisch einzusetzen, in Indien weiterhin vertreten durch T.K.V. Desikachar wie auch B.K.S. Iyengar unter anderen.
Viele Aspekte der Yogapraxis können heilende Wirkungen haben, die Grundfrage stellt sich, ob das tiefere Anliegen des Yoga körperliche Gesundheit ist. Der Westen hat vielleicht diese Zielsetzung vermehrt in den Vordergrund geschoben und vom eigentlichen Weg der inneren Befreiung getrennt, obwohl der therapeutische Ansatz aus Indien kam. In diesem Sinn hat es ein Durcheinander gegeben, was nicht nur ein westliches Phänomen ist. Schade ist nur, dass die Zielsetzung und die wunderbaren Nebeneffekte wie Gesundheit häufig nicht mehr voneinander getrennt werden können. Wenn du jemandem Entspannungsübungen ansagst, damit er stressfrei wird, ist das Yoga?
M.T.: Wenn man sich die Neuerscheinungen an Yogaratgebern der letzten Jahre ansieht, so geht es darin doch in der Regel um handfestere und ganz profane Dinge wie: Mehr Power, weniger Stress, Gewichtreduzierung, Anti-Aging und mehr Erfolg im Beruf.
D.E.: Ja, es gibt diese tollen Nebeneffekte. Der Körper wird stärker, und energetisch erhält man ein neues Reservoir. Aber da sind wir auf der Ebene, dass man nur etwas tut, um länger oder ohne Beschwerden zu leben, oder für äußeren Erfolg. Für mich macht diese Zielsetzung langfristig keinen Sinn, weil das Potential des Yoga nur ansatzweise genutzt wird und das tiefere Gedankengut des Yoga eigentlich ins Wunschlose und Akzeptierende führen möchte.
M.T.: Für viele, wenn nicht gar für die meisten, ist dies jedoch der Einstieg, der Beginn der Yogapraxis und einige geben sich damit auch zufrieden…
D.E.: Das darf so auch sein. Ich bin jedoch eher jemand, der gleich am Anfang sagt, dass es um einen ganzheitlichen Weg geht, der alle 3 Facetten beinhaltet, Asanas, Pranayama und Meditation. Der Körper dient als erste Einstiegsebene. Er wird vorbereitet, dass Asanas im tieferen Sinn möglich werden. Dann geht es über eine zunehmende Verfeinerung und Führung der Lebensenergie hin zur Meditation. Es ist immer ein Ganzes, auch wenn der Fokus auf verschiedene Ebenen gelegt wird. Schon im Körper suchen wir die meditative Ebene und öffnen Räume, dass das Lebendige zwischen den Strukturen erfahrbar wird. Das ist was, wohin ich führen möchte mit der Aufforderung „Werde weit“. Hinter den Strukturen gibt es etwas viel Größeres, Allumfassenderes zu erfahren.
M.T.: Nach meinem Eindruck ist es für Yogaschüler und Teilnehmer von Seminaren ganz diffus, welches Konzept von Yoga da eigentlich vermittelt wird. Geht es um reinen Stressabbau oder um Leistungssteigerung? Sind die Anrufungen von Shiva und Krishna noch Yoga oder eher hinduistische Ritualpraxis? Ist die Kenntnis des Yoga Sutra schon klassischer Yoga oder bloß Grundlage für philosophische Diskurse?
D.E.: Es sind viele Dinge zu klären, wenn wir den Yoga in einen westlichen Rahmen stellen. Der indische Yoga stammt nicht nur aus einer uns fremden Kultur, sondern hat eine enorme geschichtliche Entwicklung durchwandert. Drei große, unterschiedliche Yogaströmungen haben sich vernetzt, ein alter religiöser Yoga, ein klassisch-philosophischer Yoga und zuletzt ein energetischer Yoga. Dieses große Yogageflecht wurde uns von indischen Yogis schlussendlich in den Westen anvertraut, wobei jeder der Yogis uns seine persönliche Synthese übermittelt hat, alle andersartig. Und wo die Yogis standen, haben wir nun mehr oder weniger getreue Stilrichtungen, alles nur Wege des Zugangs zu einer Yogaerfahrung. Und wer trägt es jetzt weiter?
Für mich gibt es eigentlich nur zwei Wege, Yogalehrer zu werden. Der eine ist, du gehörst einer Stilrichtung an und übernimmst das vorgegebene Schema. Eventuell übernimmst du dann auch irgendeine Mischform, deren Kontext und Hintergrund du nicht verstehst.
Der andere Weg, mein Weg, beinhaltet viel Hinterfragung und einen großen Erfahrungshintergrund. Wichtig erscheint mir, mal alles auszubreiten, um eine Übersicht über die Zusammenhänge des Yoga, der Werkzeuge wie auch der eigenen Möglichkeiten zu gewinnen. Ich muss klären, was mich berührt und was mich befremdet. Nur weil alle om singen, heißt das nicht, dass ich es ebenfalls tun muss. Und ich hoffe, dass was authentisch in den Unterricht gestellt wird, keine Verwirrung, sondern Klarheit auslösen kann.
M.T.: Dieses Erklären und Hinterfragen wird in einigen Yogaschulen doch ganz prinzipiell in Frage gestellt, weil bestimmte Dinge auch ohne Wissen um die Bedeutung der Sanskritworte oder bestimmter Gesten wirken – allein durch die Schwingung…
D.E.: Wenn du in einer starken Traditionslinie bist, die getragen wird von einem Meister, sind dort auch Kräfte, die wirken. Doch meine Art des Unterrichtens ist anders: Ich muss das, was ich zutiefst erfahren habe, sortieren und für den Unterricht nutzen lernen. Der Intellekt hilft dabei einzuordnen, obwohl das Wesentliche des Yoga ihm nicht zugänglich ist. Er kann nicht erfahren. Erfahrung ist das ursprünglichere. Für die Lehrtätigkeit ist es jedoch äußerst sinnvoll, die Dinge auch gedanklich zu verstehen, sie immer wieder auseinander zu nehmen und wieder zusammensetzen und die Wirkungsweise weiter zu erproben. Verständnis wächst durch dieses offene Experimentieren und Anschauen.
M.T.: Es gibt in der klassischen Yogaliteratur sehr einfache Anweisungen wie ein Asana sein sollte: In der Shvetashvatara-Upanishad beispielsweise heißt es, Kopf und Rumpf sollen aufrecht sein. Und im Yoga Sutra heißt es: sthirasukhamasanam: Die Haltung sei stabil und bequem zugleich. Warum ist wichtig, sich darüber hinaus genauer mit Anatomie und Physiologie zu befassen, was ja zumeist das zentrale Thema deiner Seminare und Workshops ist?
D.E.: Die meisten Menschen können nicht richtig sitzen. Das hat sehr viel mit unserer Stuhlkultur zu tun, welche Einschränkungen ums Hüftgelenk quasi vorprogrammiert. Diese Verkürzungen haben die Tendenz, beim Sitzen auf dem Boden das Becken rückzukippen, sodass die Wirbelsäule die Ausrichtung von Kopf und Rumpf ohne massive Verspannungen nicht gewährleisten kann. Das sukha, die Weichheit, der zweiten Aussage ist dadurch ebenfalls gestört. Wir sind heute körperlich in einer sehr großen Unausgeglichenheit. Verbannt auf den Stuhl mit überstressten Augen und einseitigen Tätigkeiten, unter Zeitdruck und nie ganz fertig mit dem vorgenommenen Pensum, diese Faktoren beschriften den Körper und verzerren die Statik. In der Meditationsstellung, die du ansprichst, ginge es darum, den Körper einfach loszulassen und ihn nicht krallend zwischen den Schulterblättern zu halten. Das Verständnis der Anatomie soll der Erfahrung im Yoga dienen.
M.T.: Was sagst du zu der Auffassung, dass es auch völlig ausreicht, zum Üben oder zur Meditation aufrecht auf einem Stuhl, einem Hocker oder im Sessel zu sitzen?
D.E.: Man kann alle Alternativen wählen, solange man im Gleichgewicht aufgerichtet ruhen kann. Es lohnt sich bestimmt nicht, vorbereitend zehn Jahre an einer Sitzstellung rumzubasteln und die Meditation deshalb aufzuschieben. Auf der anderen Seite ziehe ich den freien Sitz auf dem Boden jedem Stuhl vor, hauptsächlich wegen der Erdung und des symbolischen Rückzugs. Am besten geht es mir im Lotussitz, der ein stabiles Dreieck als Basis anbietet und die Lende leicht nach vorne stabilisiert. Die Statik des Lotussitzes ergibt einen automatischen Halt ohne Muskulatur, weshalb es ja den tibetischen Mönchen gelingt, in dieser Stellung aufrecht zu sterben und weiterhin sitzen zu bleiben.
M.T.: Macht es Sinn, sich schwierige und fortgeschrittene Asanas zu erarbeiten, wenn es doch auch Alternativen und einfache Varianten gibt?
D.E.: Die Entwicklung in Richtung fortgeschrittener Asanas macht Sinn auf einer energetischen Ebene, soll aber nicht auf der Basis des Ego geschehen. In bestimmten Situationen sind Alternativen sehr sinnvoll oder zwingend; ansonsten kann man sich einfach fragen, warum man eine zusätzliche Chance zur Weiterentwicklung nicht nutzt. Reduktion per se bedauere ich. Wenn ich in eine Kobra hineingehe, richtet sich mein Körper entlang einer Kraft aus, die aus sich heraus nach oben will. Wenn mir aber jemand sagt, geh nicht so weit, spüre ich diese innere Entwicklungskraft nicht. Wenn man mich zurückhält, dann ist das für mich, wie wenn ich singen möchte, aber jemand verbindet mir den Mund.
Im Körper gibt es eine Energie, die uns durchrieselt und uns zum Formlosen zurückführt. Asanas und Pranayama aktivieren diese Energien, wobei gewisse Körperformen einfach hilfreicher sind. Im energetischen Yoga macht es eben einen Unterschied, wie ich den Körper einsetze. Das ist für mich der Unterschied zwischen dem klassisch-philosophischen Yoga und dem Hatha-Yoga. Beide führen in die Befreiung, die Wege sind einfach unterschiedlich.
M.T.: Da das Feinstoffliche eher ein jeweils subjektiver Erfahrungswert ist, lässt sich so etwas wie die Beschaffenheit der Chakra überhaupt unterrichten?
D.E.: Dort, wo die vitale Energie mehr verdichtet ist, ist sie auch spürbarer und man kann Menschen allgemein in eine Region wie den Herzraum oder den Bauchraum führen und sie erkunden lassen. Man kann Punkte am Körper anatomisch benennen ohne sie als Chakra zu bezeichnen. Zu einem Chakra werden sie erst, wenn etwas geschieht. Das kannst du nicht unterrichten. Und Meditation auf Chakra-Bilder bezogen, die aus einer anderen Kultur kommen, das ist für mich unzugänglich.
M.T.: Heißt das, dieser Bereich lässt sich gar nicht konkret darstellen und vermitteln?
D.E.: In meinem Verständnis sollte man diese Dinge nicht forcieren, und vermitteln sollte man sowieso nur Dinge, in denen man große Klarheit besitzt. Dies ist im feinstofflichen Bereich, der ja per Definition nicht gut überprüfbar ist, noch viel wichtiger. Je feinstofflicher, desto kraftvoller wirken die Dinge. Feinstoffliche Arbeit braucht einen klaren Rahmen und eine sehr verlässliche, begabte Lehrperson. Viel wird in diesem Bereich suggeriert und es gibt nur ganz wenige Menschen, denen ich mich für diese Art des Yoga anvertrauen würde.
Für mich geht es im Yoga darum, Freiheit im Körper zu schaffen und der Energie, dem Leben, Möglichkeiten anzubieten. Die Energie wird auch unbeschriftet ihren Weg finden. Wenn du loslässt, kommt etwas Neues. Es gibt einen Austausch. Es geht mir mehr um Öffnung und ein Schauen, was geschieht. Führt es wirklich in die Ruhe? Hat es Weite gebracht? Es ist nicht notwendig, dies mit Begriffen oder Bildern darzustellen.
M.T.: Reichen dir die Praxis und die daraus resultierenden Erfahrungen oder hat die Lektüre von Yogabüchern bzw. klassischen Schriften auch einen gewissen Stellenwert?
D.E.: Mein Geist liebt die Auseinandersetzung wie auch die Inspiration, die ich durch Bücher erhalte, und ich lese viel und breit. Im Moment interessieren mich wieder einmal Patanjalis Sutra, die mich auffordern, auch das Systematische, das Disziplinierte in meinem Leben auszubauen. Die Upanishaden sind stetige Begleiter und eine große Inspiration. Juan Mascaros Übersetzung ist meine Lieblingsfassung und enthält Teile, die mich speziell berühren.
M.T.: Gehören zu deiner Lektüre ab und an auch noch Anatomie- und Physiologiebücher?
D.E.: Ich habe so lange mit dem Körper gearbeitet, da braucht es keine Fachliteratur mehr. Wenn schon lese ich eher Ausschnitte aus Physikbüchern, die über den Raum sprechen, den ich im Körper spüre.
Meine Faszination mit dem Körper hat viel mit den Kräften zu tun, die unseren Körper formen und schon einer langen Kette von Evolutionsformen einen einzigartigen Ausdruck verliehen haben. Das Leben interessiert mich in seinen Aussagen, die in der Struktur lesbar werden. Welcher Ausdruck wurde hier ermöglicht? Wie erfülle ich diese Möglichkeit? Der Körper interessiert mich als dieses großartige Lesebuch und unendliche Übungsfeld.
M.T.: Was rätst du jemandem, der mit Yoga beginnen möchte? Ist die Wahl eines bestimmten Stils wichtig oder hängt alles vom richtigen Lehrer bzw. der passenden Lehrerin ab?
D.E.: Generell rate ich dazu, verschiedene Yogastunden und Yogastile auszuprobieren und die Erfahrungen zu vergleichen. Wie war es in der Stunde, was geschah nachher? Bist du wirklich innerlich frei gewesen, etwas auszuprobieren? Oder spürst du etwas wie Wettbewerb? War Klarheit im Raum? Hat die Stunde ein breites oder enges Angebot an Übungen gehabt? Aktivität wie auch Loslassen? Kann ich mir mit dem Lehrer oder der Lehrerin einen Austausch vorstellen? Schlussendlich hängt viel von der Person selber ab, es sollten jedoch keine Hemmschwellen im Erstkontakt schon da sein. Der Stil ist generell weniger wichtig als die Kompetenz der Lehrkraft, die ein ausgewogenes Angebot innerhalb der Stilrichtung anbieten sollte.
M.T.: Genügt der positive Eindruck und die entsprechende Ausstrahlung schon?
D.E.: Wenn jemand charismatisch ist und eine starke Ausstrahlung hat, heißt das noch lange nicht, dass er andere wirklich hilfreich unterstützen kann oder will. Manchmal braucht es Zeit, herauszufinden, was man braucht und wo dies zu finden ist. Auf jeden Fall braucht es Eigenverantwortung auf dem Weg, die man nicht einfach abgeben sollte. Die Lehrperson, die man sich wünscht, könnte mit lichtbringend umschrieben werden, was eine wörtliche Übersetzung von Guru darstellt. Licht soll ins Unbewusste gebracht werden und glücklicherweise kann das durch jeden Menschen geschehen.
M.T.: Danke für das Gespräch.