Emil Wendel widmet sich seit Jahrzehnten intensiv der Yogaphilosophie und -praxis, aber auch anderen asiatischen Philosophien. YOGA AKTUELL sprach mit ihm über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Systeme, über die im Westen immer noch wenig bekannte Fülle und Tiefe der Yogatradition und über moderne Studien.
Vom Aussteiger zum Philosophen: Der gebürtige Schweizer Emil Wendel lebt seit den 1970er Jahren in Asien. Er hat Taoismus und Sanskrit studiert und sich intensiv mit dem Buddhismus und den indischen Philosophien auseinandergesetzt. Sein tiefes Wissen vermittelt er mit großer Leidenschaft und auf eine ganz besonders inspirierende Art und Weise weltweit in Teacher-Trainings, bei Workshops und auf Retreats, die er gemeinsam mit seiner Partnerin Anouk Aoun gestaltet. Mit YOGA AKTUELL sprach er über das yogische Konzept der Freiheit und darüber, was Meditation damit zu tun hat.
INTERVIEW
YOGA AKTUELL: Emil, du hast deinen Vortrag heute mit dem Begriff Freiheit begonnen. Wie definierst du Freiheit, und was hat Yoga damit zu tun?
Emil Wendel: Der Sanskrit-Begriff, auf den wir uns dabei beziehen, ist Moksha – was in unseren Sprachen als Freiheit, Befreiung, Emanzipation und Unabhängigkeit ausgelegt wird. Die gängige indische Interpretation dieses Begriffes versteht darunter die Idee, frei von Karma zu werden und somit aus dem Kreislauf der Wiedergeburt auszusteigen. Im yogischen Sinne, vor allem in der gängigen Vedanta-Tradition, ist der Begriff damit verbunden, uns von unseren Illusionen zu befreien – unserer Selbstverwirklichung zuliebe. Im Samkhya-Yoga, und wohl auch im Buddhismus, liegt die Bedeutung darin, den Geist von all den Dingen zu entsorgen, die er selbst konstruiert hat. Die letztere Interpretation kommt meinem eigenen Verständnis von Freiheit entgegen. Die Yogapraktiken sind Werkzeuge, um diese Ziele besser zu erreichen.
Das Thema deines Retreats in der Oedmühle war „Asanas and Beyond“. Wie können wir dieses „Beyond“ in unsere tägliche Praxis integrieren – und was ist dir daran so wichtig?
Die Fokussierung auf den Yoga-Körper geht üblicherweise auf die Hatha-Tradition zurück, die mit Reinigungsmethoden, Asana, Bandha und Kumbakha arbeitet. Die meisten dieser Techniken sind weniger als 700 bis 800 Jahre alt, manche wurden sogar erst im letzten Jahrhundert eingebracht. Hatha mit Schwerpunkt Asana ist heute die populärste Yogaform, so dass Asana oft beinahe allein für den Begriff Yoga steht. Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass es eine ältere, außergewöhnliche […]