… und schließ endlich Freundschaft mit dir selbst: Der spirituell orientierte Psychologe Chris Germer über Scham als unschuldiges Gefühl, das aus unserem Wunsch nach Liebe und Anerkennung entsteht – und dem wir mit viel Selbstmitgefühl begegnen sollten.
Bereits in den 1970er Jahren kam Chris Germer auf Sri Lanka in einer Eremitage mit der heilsamen Wirkung der Achtsamkeitsmeditation in Kontakt. Heute arbeitet der Psychologe in eigener Praxis mit achtsamkeitsbasierten Techniken und lehrt an der Harvard Medical School. Seine Schwerpunkte sind Selbstmitgefühl und die Überwindung von Schuld und Scham.
Interview
YOGA AKTUELL: Kannst du dich und deinen spirituellen Weg bitte in ein paar Sätzen vorstellen?
Chris Germer: Ich bin bei spirituell interessierten Eltern aufgewachsen und habe das Interesse immer geteilt. Als ich in den 1970er Jahren in Tübingen an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie tätig war, wurde Meditation gerade populär. In dieser Zeit habe ich die Transzendentale Meditation kennengelernt. Nach intensiven Erfahrungen mit der TM habe ich auf Reisen durch den gesamten indischen Subkontinent den Kontakt zu Heiligen und Weisen gesucht. Ich lernte viele inspirierende Lehrer kennen und hatte die Gelegenheit, die Kraft des Yoga der Hingabe zu erfahren – einer Praxis zur Kultivierung von Liebe und Mitgefühl. In Sri Lanka habe ich dann die Achtsamkeitsmeditation kennengelernt.
Und wie ergänzt deine spirituelle Praxis deine Arbeit als Klinischer Psychologe?
Nach meinem Indienaufenthalt habe ich in den USA Klinische Psychologie studiert. Die am weitesten verbreitete Therapiemethode in den späten 1970er Jahren war die Psychodynamische Therapie, und die Kognitive Verhaltenstherapie gewann an Bedeutung. Es gab nicht viel Raum für spirituelle Praxis. Nach meinem Studium zog ich nach Boston und stieß bald auf Gleichgesinnte – Menschen mit Praxiserfahrung in buddhistischer Meditation, die auch als Therapeuten tätig waren. Mitte der 1980er Jahre begannen wir einen Austausch darüber, wie man meditative und klinische Praxis miteinander verbinden kann. So entstand das Institute for Meditation and Psychotherapy, und auch nach über 30 Jahren sind wir immer noch in regem Austausch miteinander. Natürlich hat sich in dieser Zeit vieles verändert. Als wir 1994 die erste Konferenz für Therapeuten organisierten, mussten wir immer wieder erklären, was Achtsamkeit ist. Heute ist achtsamkeits-, akzeptanz- und mitgefühlsbasierte Therapie ein führendes Modell in der Psychotherapie, und Achtsamkeit ist nicht mehr erklärungsbedürftig. Achtsamkeit in unserem persönlichen und beruflichen […]