Volker Mehl hat gerade sein neues Buch „Ayurveda geht überall“ herausgebracht, für das er auf landesweiten Roadtrips interessante Geschichten erforschte, und integriert Ayurveda auch in den Yin Yoga, den er in letzter Zeit verstärkt unterrichtet. YOGA AKTUELL sprach mit ihm über das große Selbsterfahrungspotenzial dieses Yogastils, über seine enge Verbindung zur christlichen Mystik und über die ayurvedische Perspektive auf einige aktuelle Ernährungsdebatten
Volker Mehl ist durch seine authentische und zugleich originell-eigenständige Interpretation der ayurvedischen Küche bekannt geworden und hat sich als Autor von Ayurveda-Kochbüchern einen Namen gemacht – gerade neu erschienen ist sein jüngstes Buch „Ayurveda geht überall“. In seinen Kochateliers in Wuppertal und in Herborn kann man ihn auch live am Herd erleben. Volker Mehl ist aber nicht nur Experte für die Ayurveda-Küche, sondern auch Yogalehrer und hat in letzter Zeit ganz besonders seine Liebe zu Yin Yoga entdeckt. In die Praxis fließen ayurvedische Grundsätze und mystische Betrachtungen mit ein – Volker taucht nämlich seit Langem immer wieder in die Mystik von Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz ein. Wie eine solche Yin-Yoga-Praxis sich gestaltet, verrät er in unserem Interview.
Interview
YOGA AKTUELL: Du praktizierst und unterrichtest momentan sehr viel Yin Yoga. Dieser Stil ist ja derzeit ziemlich „in“ – und trotzdem steckt viel mehr dahinter als bloß ein flüchtiger Trend. Was macht Yin Yoga nach deinem Empfinden so besonders?
Volker Mehl: Yin Yoga passt insofern gut zum Ayurveda, als dass man in dieser Yogarichtung ja Hüftöffner liebt. Im Ayurveda ist man ein großer Fan von Verdauung, und da sich ganz viel Unverdautes auch körperlich festsetzt, ergänzt sich das gut. Außerdem kannst du im Yin Yoga nicht einfach durch die Asanas „durchhuschen“, du kannst nicht davonlaufen. Stattdessen wirst du über mehrere Minuten mit einer Situation konfrontiert, und dem musst du dich stellen. Dass Yin Yoga gerade so gehyped wird, habe ich eher am Rande mitbekommen. Eigentlich geht es ja im Yoga auch darum, Ruhe zu finden, und dafür ist Yin Yoga ideal. Vor allem habe ich bisher in keinem anderen Yogastil dieses Erlösungspotenzial gesehen, das ich im Yin Yoga erlebe. Wenn du drei Minuten oder länger in der Sphinx liegst und die Haltung dann auflöst, fühlst du dich zwar im ersten Moment, als wärst du hundert Jahre alt, aber das anschließende Gefühl von Erlösung habe ich sonst nirgends so stark erfahren.
Du hast einen ganz speziellen Ansatz für die YinYoga-Praxis. Unter anderem beziehst du ayurvedische Prinzipien mit ein. Was bedeutet das konkret?
Ich bin jetzt seit über zehn Jahren mit dem Ayurveda unterwegs und habe immer wieder den Eindruck, dass das Thema Verdauung so wichtig ist wie vielleicht nie zuvor – in dem Sinne, dass man seine „Baustellen“ mal aufräumt und seine persönlichen Themen klärt, und dafür ist die Kombination mit Yin Yoga perfekt. Und dann ist natürlich auch ganz klar der Ansatz, dass ich ganz pragmatisch versuche, die Jahreszeiten, die Tageszeiten – eben alle Aspekte, die im Ayurveda immer mit dazugehören – stets aufzugreifen. Wenn es jetzt in den Herbst und in den Winter hineingeht, spielt z.B. die Reinigung der Systeme eine Rolle. Dies bringe ich dann in den Yin Yoga mit ein, wo noch mal ganz andere Dimensionen der Klärung möglich sind.
Du beschäftigst dich seit langer Zeit intensiv mit christlicher Mystik, insbesondere mit Johannes vom Kreuz und mit Teresa von Avila. Auch dies lässt du in den Yin Yoga mit einfließen.
Ich bin katholisch aufgewachsen, und auch wenn ich Buddhas Augen und Shiva auf dem Arm habe, bin ich tief drin doch Christ, denn das liegt mir durch meine Erziehung und mein Umfeld eben näher. Die Gäste und die Gespräche, die wir zu Hause hatten, haben mich relativ früh mit der christlichen Mystik in Kontakt gebracht, und so habe ich mich mit Teresa von Avila, mit Johannes vom Kreuz und mit Ignatius von Loyola befasst. Mit Anfang 20 habe ich begonnen, Besinnungstage in Benediktiner-Klöstern zu organisieren, und habe sogar kurz mit dem Gedanken gespielt, selbst in ein Benediktiner-Kloster einzutreten.
Ich habe nie so richtig verstanden, warum Yoga immer so indisch-mystisch sein soll. Denn auch wir haben eine faszinierende Mystik, und ich bin ein Fan davon, sich nicht nur was die Lebensmittel angeht, sondern auch was die Mystik anbelangt mal regional umzuschauen. Schon von der Sprache her liegt mir das näher, und obwohl die indische Mystik sehr schön ist, sind mir dreitausend Götter manchmal einfach zu viel.
Das Alte Testament mit dem Buch der Könige etc. ist mir auch fast zu märchenhaft, aber das neue Testament und der pragmatische Ansatz von Jesus liegen mir sehr. Und das versuche ich im Rahmen der Philosophie und der Meditation mit in die Yogastunden zu integrieren. Bei Teresa von Avila findet man z.B. das Bild von den inneren Wohnungen, die es zu ergründen gilt. Auch bei Johannes vom Kreuz geht es darum, sich selbst zu erfahren – und auch mal durch den eigenen Mist hindurchzugehen, wie im Bild von der „dunklen Nacht“. Gerade Yin Yoga hat ja sehr viel mit Selbsterfahrung zu tun. Wenn die Leute in einer Haltung liegen und du genau weißt, jeder schreit jetzt eigentlich innerlich: „Ich will da raus!“, bringe ich gern mal genau in dem Moment so einen Gedanken auf, um die Prozesse, die dann ablaufen, noch ein bisschen zu verstärken. Hand in Hand mit dem Ayurveda finde ich das extrem spannend.
Natürlich spielt auch das Kochen weiterhin eine ganz große Rolle bei dir. Gerade ist dein neues Buch „Ayurvda geht überall“ erschienen, für das du quer durch Deutschland gereist bist, um regionale Rezepte und dazugehörige Geschichten zu entdecken. Gibt es eine Reiseanekdote, die dir ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?
Das war eigentlich schon lange mein Traum – einfach drauf losfahren „ins Gemüse“ und schauen, was passiert. Es war u.a. deshalb spannend, weil man so viel über sich selbst erfährt, wenn man unterwegs ist, auch wenn es gar nicht als Selbstfindungstrip geplant war. Und mir sind echt coole Jungs begegnet. Da war beispielsweise der Bio-Händler aus Dresden, der direkt nach der Wende gesagt hat: „Ok ich will hier Bio machen“. Am Anfang hat er damals grammweise Butter verkauft. Oder der Typ, der Salz aus Ostseewasser herstellt. Leute, die freakige Ideen haben und von jetzt auf gleich sagen: „Das ist es!“ und sich ganz und gar da reinstürzen. Sehr spannend fand ich auch die ganzheitlichen Hebammen – „Dulas“– , die alternative Geburtshilfe anbieten. Denn im Ayurveda ist die Frage, wie man auf die Welt kommt, ja auch ein ganz wichtiger Aspekt.
Mit deinem neuen Buch stellst du einmal mehr unter Beweis, dass Ayurveda nicht kompliziert sein muss und sich wirklich überall umsetzen lässt – mit dem, was lokal an frischen Lebensmitteln zur Verfügung steht. Hast du den Eindruck, dass dies immer mehr im Bewusstsein der Leute ankommt?
Die Quintessenz meiner Tour quer durch die Republik war, dass die Leute immer noch wenig über Ayurveda wissen. Für viele ist Ayurveda das große Unbekannte. Die meisten kennen zwar den Begriff, halten Ayurveda aber für eine Ideologie oder für einen kurzfristigen Hype oder können sich einfach nichts Konkretes darunter vorstellen. Sehr viele Leute haben ausschließlich die Assoziation zu Wellness und Massagen, wissen jedoch nicht, dass es u.a. auch um Ernährung geht und dass es sich um ein ganzheitliches System handelt. Deshalb ist die Mission des Buches auch, das Potenzial von Ayurveda stärker offenzulegen und nach außen zu tragen. Der Klassiker ist nach wie vor, dass die Leute denken, Ayurveda funktioniere nur in Indien, sei kompliziert, man brauche hunderte von Gewürzen…
Das Wissen des Ayurveda ist zwar Jahrtausende alt, aber das Potenzial ist überhaupt noch nicht erschlossen. Viele wissen heutzutage z.B. gar nicht mehr, wie sich ein freier Bauch anfühlt – wie es ist, nach dem Essen kein Grummeln oder Unwohlsein zu empfinden. Wichtig wäre auch, den Sprung weg von dogmatischen Ansätzen oder Ideologien in der Ernährung hin zu einer Betrachtung auf der Eigenschaftsebene zu machen. Zum Beispiel: Wirkt ein Lebensmittel befeuchtend (wie eine Gurke) oder austrocknend (wie eine Chili), ist es schwer (wie Käse, Quark und Eier) oder eher leicht (wie Zucchini und Fenchel)? Das ist eine ganz andere Dimension von Ernährung.
Manche Lebensmittel, wie z.B. Milch oder Weizen, entstehen heute unter ganz anderen Umständen als zu den Zeiten, in denen Ayurveda aufkam. Nun lässt sich die ayurvedische Ernährung ohnehin nicht an einzelnen Nahrungsmitteln festmachen, das wäre viel zu eng gefasst. Dennoch stellt sich die Frage: Wie geht man mit diesen Lebensmitteln um?
Im Buch habe ich es mal bewusst ganz plakativ gesagt: Wenn es einen Weizen-Fanclub gäbe, würde ich sofort beitreten. Ich hatte in den letzten Jahren über 1000 Leute in den Kochkursen, auch Patienten aus der Charité. Darunter waren lediglich zwei Leute mit pathologischer Zöliakie, der Rest kam mit so diffusen Diagnosen wie „Reizdarm“. Bei den meisten sind es einfach diverse Verdauungsprobleme. Diese werden dann oft am Weizen festgemacht, der aber eigentlich ein extrem hochwertiges Getreide ist – übrigens auch das beste Getreide für Schwangere. Wenn die Leute den Weizen dann weglassen, verzichten sie auch auf das Marmeladenbrot zum Frühstückskaffee oder auf das Käsebrötchen mit Tomate – sie kombinieren also nicht mehr Säure zu Säure oder Milchprodukte zu Säure. Vielleicht fangen sie zusätzlich auch noch an, sich mehr zu bewegen, und das alles wirkt sich in der Summe dann positiv aus. Aber diese Gesamtzusammenhänge werden oft außer Acht gelassen. Stattdessen stürzt man sich immer auf einzelne Lebensmittel und hat sich jetzt aus irgendwelchen Gründen den Weizen und die Milch ausgesucht.
Natürlich ist es pervers, wenn Milchkühe gequält werden, und kein Mensch braucht 200 Sorten Joghurt – das ist ganz klar. Aber die Milch per se ist nicht böse – nicht wenn du sie richtig kochst und wenn du sie nicht mit anderen Lebensmitteln kombinierst. Wenn man ein bisschen Milch von einer Kuh nimmt, die noch ihre Hörner hat und auf der Weide sein darf, und wenn man diese Milch mit schleimlösenden Gewürzen aufkocht, dann passiert da gar nichts.
Ayurveda baut ohne Messer zwischen den Zähnen auf der Logik der Natur auf. Ich verzichte deshalb im neuen Buch auch konsequent darauf, Ersatzprodukte anzugeben. Wenn man keine Sahne will, dann lässt man sie halt weg – ich möchte kein Ersatzprodukt mehr empfehlen, das zum Großteil aus Lecithin, Verdickungsmitteln und sonstigem Zeug besteht.
Und wenn das Thema Gluten oder Laktose der Schlüssel zum Glück wäre, dann sähe es da draußen nicht so aus, wie es eben aussieht. Aber wenn man mal hinschaut, wie Ernährung wirklich funktioniert, also auf die Eigenschaftsebene guckt, dann wird es spannend. Und das Wissen darüber ist ja im Ayurveda längst vorhanden, es ist ja alles schon da. Mein Anliegen ist, die Leute darauf aufmerksam zu machen. Dafür erreicht man sie oft am besten über positive Emotionen, über die Lust am Essen – nicht so sehr, indem man ihnen ständig erzählt, was sie alles falsch machen. Es gibt in Deutschland inzwischen vielleicht eine knappe Million Veganer – was im Umkehrschluss bedeutet, dass es noch 79 Millionen andere Leute gibt. Auch diese haben ein Recht auf Informationen und darauf, dass man sich um sie kümmert; dass man ihnen zeigt, was Ernährung sein kann, und sie ermuntert, achtsam zu sein. Einen Kuchen mit Butter und mit Achtsamkeit zu machen, muss kein Widerspruch sein.
Vor Kurzem hast du in deiner Heimat Hessen ein neues Kochatelier eröffnet. Was erwartet die Gäste in deinem Herborner Atelier?
Es liegt in der Altstadt von Herborn und ist ganz anders als das Atelier in Wuppertal im Fabrikgebäude: Es ist ein Fachwerkhäuschen direkt am Marktplatz und hat einen original hessischen Namen – „Bumbesje und Äbbelsche“. Freitags ist in Herborn Markt, dann hat das Atelier geöffnet und ich bin dort. Es gibt Gerichte aus den Büchern, und die Leute können die entsprechen Zutaten, vor allem die Gewürze, auch mitnehmen. Zusätzlich wird es Workshops und Kochkurse geben.