Eine Reise zum heiligen Ursprung des mystischen Ganges Flusses im Himalaya
Schau nur, wie diese Dame Hindernisse überwindet – gelassen, cool, anmutig. Sie hat keine festen Verhaltensmuster. Reagiert der jeweiligen Situation entsprechend. Sie hat mich seit jeher inspiriert und ich hab viel von ihr gelernt.«
Ich stand neben dem Ingenieurstudenten aus Hyderabad in Südindien, als er mir seine Bewunderung für sie mitteilte. Doch alles, was ich sehen konnte war ein Fluss – der Ganges, der über die Felsbrocken in seinem Weg hüpfte, wirbelte, tanzte oder sie mit einer sanften Umarmung umströmte. Die Ganges-Mutter (Ganga Ma), wie sie in Indien genannt wird und die als junge, hübsche Frau mit langem, fließenden Haar auf den zum Verkauf angebotenen Postern dargestellt wird, blieb meinem westlich geprägten Geist verborgen. Es machte mich nachdenklich, wie selbstverständlich der Student, 21 Jahre jung und kein Dichter, über die ‚lady‘ sprach und dem Ganges damit Lebendigkeit verlieh, die wir normalerweise für Menschen und Tiere reservieren. Danach kam es mir fast so vor, als ob ‚sie‘ tatsächlich nicht nur hüpft, wirbelt und tanzt, sondern das alles genießt, sich über ihr Dasein freut.
Wir standen in Gangotri, 3140 m hoch im Himalaya nahe an der tibetischen Grenze. Gangotri ist ein Pilgerort und beliebtes Reiseziel in Indien, da dort ein dem Ganges geweihter Tempel steht. Die meisten Inder träumen davon, einmal im Leben dort oben zu sein, in der Stille der Berge, deren schneeweiße Gipfel über 6000 m hoch in den Himmel ragen und in der jungen, vor Leben sprudelnden Ganga Ma ein reinigendes Bad zu nehmen. Die Verehrung und das Vertrauen, das auch moderne Inder in die Ganges-Mutter haben, ist für Westler schwer nachvollziehbar. Sie symbolisiert für sie den weiblichen, führsorgenden, schöpferischen Aspekt der universellen Macht, die unser aller Leben lenkt.
Die Pilger nehmen viele Strapazen auf sich. Die Strecke führt durch eine grandiose Landschaft, doch die Fahrt ist langwierig und nicht ungefährlich. Die Straßen sind einspurig, kurvenreich und oft voller Schlaglöcher. Der Blick in die tiefen Schluchten kann einem Angst machen. Eigenartigerweise macht es Indern nichts aus, wenn der Fahrer unverantwortliche Überholungsmanöver anstellt, eins nach dem andern und mehrere Male nur haarscharf einem Unfall entgeht. Keiner sagt etwas. Ich frage mich, ob sie so großes Gott-Vertrauen haben oder […]