Eine Kopie vom Original zu unterscheiden, ist in unseren Zeiten ein schwieriges Unterfangen. Denn wir leben inmitten einer „Copy-Paste-Epoche“. Die Werkzeuge von „Kopieren und Einfügen“ sind in der digitalisierten Welt kinderleicht erlernbar. Das ist verführerisch. Ein eigener Quellzugang hingegen setzt eigenes Denken und eigenes Empfinden voraus, was von dem derzeit herrschenden Narrativ nicht erwünscht ist. Im Gegensatz dazu ist an fremden Informationen Gefallen zu finden, sie zu kopieren, ein bisschen umzuarrangieren, und wieder einzufügen bzw. weiterzugeben um ein Vielfaches einfacher, und vermeidet den Geburtsschmerz eines wahren Schöpfungsaktes.
Viren tun übrigens das Gleiche. Sie kopieren bzw. vervielfältigen ihre Information und geben diese aggressiv an einen anderen Organismus weiter, um dort das Spiel zu wiederholen. Vielleicht spiegelt ja ein Aspekt der aktuellen Krise unser exzessives, ja krankhaftes „Copy-Paste-Verhalten“ wider, welches seine Ursache in der Abspaltung vom Seelischen und im Verlust des Schöpfens aus göttlicher Quelle hat.
Auch ein Großteil unserer technokratischen Welt ist eine kopierte Welt. Das Technische kopiert gerne die Natur und baut diese künstlich nach. Technik ist dadurch zu unserer zweiten, künstlichen Natur geworden und mittlerweile so mächtig, dass sie die ursprüngliche, natürlich gewachsene Schöpfung verdrängt bzw. zu zerstören droht. Psychopathologisch betrachtet, hegt nämlich jede Kopie Mordgelüste am Original. Denn sie weiß, dass ihr Konstrukt auf einer Lebenslüge, auf Unechtheit basiert, und dass das Original dieses jederzeit zu entlarven vermag. Deshalb soll das Original beseitigt werden.
Dies ist der „kal-kühle“ Traum der Cyborgisten, Transhumanisten und Technokraten, die in der momentanen Weltumbruchsituation geradezu euphorisiert an der Entwicklung der Verschmelzung von Mensch und Maschine arbeiten. Da es in deren materialistischer Weltauffassung einen Gott und eine göttliche Quelle nicht gibt und nicht geben kann, soll ein künstlich geschaffener Computergott diesen Platz einnehmen. Auch hier wird wieder ein Prinzip der Schöpfung kopiert. Der natürliche, unverstellte, nicht gen- und geistesmanipulierte Mensch ist über sein gesundes, intuitives Empfinden immerzu mit der göttlichen Quelle (Atman) verbunden. Analog dazu soll der transhumane, abgespaltene Mensch digital über Chip-Implantate mit einem „Computergott“ verbunden werden und daraus künftig seine Informationen beziehen. Gegenwärtig dient das Smartphone noch als vorläufige Schnittstelle dazu und soll wohl der Prototyp einer technischen Kopie unseres geistig-psychischen Instruments – dem Antahkarana – sein. So soll in Zukunft der kopierte Maschinenmensch in einer kopierten Schöpfung seine Orientierung (Information) aus einem kopierten Gott beziehen, den einige wenige Privilegierte beherrschen, steuern und manipulieren können. Diese „privilegierten“ Wesen haben von ihrem freien Willen Gebrauch gemacht und sich selbst zu einer Art „künstlichem Gott“ kopiert. Für diese dystopische Hybris zahlen sie jedoch einen schmerzhaften Preis, indem sie durch den spaltenden Akt der Ich-Erhöhung gezwungen sind, auch das uralte Prinzip des „Bösen“ mitzukopieren.
Das Böse glaubt nämlich, es könne sich Gott (Ishvara), dem Träumer der Schöpfung, verweigern, und sich nicht mehr von ihm als Traumgeschöpf „träumen“ lassen. Ein solches Wesen missbraucht seinen freien Willen, um selbst den „Boss“ zu spielen. Durch diese „Bos-haft-ig-keit“ beginnt es, auf eigene karmische Rechnung zu „träumen“ bzw. zu handeln, und erzeugt damit die Konflikte in unserer Welt. So schmiedet auch der Mensch, indem er irrtümlich glaubt, er könne sich als Lebewesen Gottes vom Lebewesen Gottes in sich trennen, auf dem „Am-boss“ von Unwissenheit (Avidya) und Hochmut das Böse in sich. Diese Abspaltung führt zum Verlust der heiligen Ordnung (Dharma) der natürlichen Schöpfung, der „Hierarchie Gottes“, die im Altgriechischen hierarchia genannt wurde, was sich aus hieros (heilig) und archē (Führung) zusammensetzt. Der Mensch verliert seine heilige innere Führung und „büßt“ damit die Quellverbindung und in der Folge seine ursprüngliche, originale Wesensgestalt ein, die zum Erblühen das Genährtsein aus der göttlichen Quelle braucht.
Deshalb ist das Böse zur Gestaltlosigkeit verdammt. Man denke hier nur an klassisch-böse, literarische Figuren wie z.B. einen Sauron in Herr der Ringe oder an einen Lord Voldemort in Harry Potter oder einen Darth Vader in Star Wars. Ihnen allen ist das Gestaltlose gemein. Damit das Böse jedoch als Gestaltloses in der Welt wirken und zur Erscheinung werden kann, muss es sich geschickt maskieren oder sich der Erscheinung anderer Wesen bedienen, indem es diese manipulativ besetzt und missbraucht. Erst in einer geliehenen Scheingestalt, mit Maske, vermag es auf den Plan zu treten. Aus diesem Grunde ist das Böse ohne Maske macht- und wirkungslos.
Eine Begegnung unter unverhüllten, gestaltverwirklichten Menschen jedoch, von göttlicher Wesensgestalt zu göttlicher Wesensgestalt, ist immer namasteischer Natur, liebend, aufrichtig, heilend, einend, dienend und gütig. Eine Begegnung unter gestaltlosen, maskierten Menschen, ist hingegen schnell von Misstrauen, Hass, Zwang, Gewalt, Zwietracht, Neid, Falschheit, Spaltung und Skrupellosigkeit geprägt. An der Inzidenz des „Maskenhaften“ können wir also die Anwesenheit des Bösen in der Welt ermitteln.
Aber all dies soll uns nicht zu sehr erschrecken. Warum, verdeutlicht uns Mephisto in Goethes Faust, indem er sagt: „Ich bin Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Am Ende wird also doch alles gut, weil sich auch das Böse nach einer schmerzvollen Lernerfahrung über kurz oder lang in das EINE Brahman, in das „Original“, wieder „ein-fügen“ muss.
Deshalb ist es wichtig, unablässig die Verbindung zum EINEN Guten zu fördern und in meditativer Wesensschau die „Hierarchie Gottes“ in Geist, Seele und Körper, als SEIN „Ei-Gen-tum“ wieder zu erinnern. Und geführt aus dem „Ein-klang“ des heiligen, behüteten und unverletzten „Gen-OM“, aus dem inneren Bauplan der originalen, göttlichen „Hier-archie“, eine lichtvolle, heilige „Arche“ des „Hier und Jetzt“ zu erbauen, als Lichtpräsenz, die uns sicher durch die angebrochene Zeit des Wandels zu neuen Ufern des Bewusstseins tragen wird.