Yoga und Natur sind zwar zwei unterschiedliche Wortklänge, sie sprechen jedoch das Gleiche an. Aus diesem Grund führt das hingebungsvolle Verweilen in der Natur von ganz allein zu einem natürlichen Erleben des Yoga. So lasst uns jetzt also in die Natur gehen und lasst uns in ihr leben und lebendig sein!
In der „Nat-ur” können wir wie selbstverständlich die „Na(h)t” zum Ur erspüren: den Übergang und die Nähe zu der heiligen Ur-Quelle Gottes. Hier erfahren wir jene erhabene Schwelle, an der aus dem geheimnisvollen Ur die Zeit entsteht, Welten werden und die Schöpfung gesponnen, genäht und gewoben wird. Hier erfahren wir Geburt, unsere Geburt, und fühlen uns wie neugeboren. Dies ist es auch, was wir uns aus dem Lateinischen heraus in unsere Sprache hinein entlehnt haben: „Natura” bedeutet nämlich nichts anderes als „Geburt”.
So kann uns das hingebungsvolle Sein in der Natur in unseren natürlichen Geburtszustand zurückführen, in dem der Mensch sich ganz unverstellt von künstlicher Überlagerung – so wie ihn Gott geschaffen hat – empfinden darf.
Es ist schon verwunderlich, dass die Mehrzahl der von uns Menschen erschaffenen Formen und Schöpfungswerke, die wir gerne eher dem Künstlichen als dem Natürlichen zuordnen, nur selten an die Kraft, Erhabenheit und Schönheit der natürlichen Schöpfung heranreichen. Es ist, als ob Schöpferwesen unterschiedlicher Güte und Meisterschaft am Werke sind und der Mensch darin wie ein an Hybris erkrankter Lehrjunge agiert. Demzufolge wird das von uns Menschen Erschaffene eben als „künstlich“ oder als „technisch“ bezeichnet, womit das Aufgepfropfte, Unverbundene, nicht natürlich Gewachsene gemeint ist. Dieses obliegt der liebevollen Obhut der Schöpferwesen, von denen es zahlreiche gibt, und die im indischen Mythos klangvoll als Devas bezeichnet werden.
Diese erhabenen Wesen können – wenn überhaupt – allein mit Seelenaugen wahrgenommen werden und sind von einer solchen göttlichen Liebe, Weisheit und Meisterschaft, dass des Menschen niederer Verstand (Manas) sie nicht zu erfassen vermag. Sie sind es, die die Reiche der Minerale, der Pflanzen, der Tiere, der Menschen und die himmlischen Welten erschaffen.
Ihre wahre Größe und Kraft ist zu erspüren, wenn wir uns hinausbegeben aus unserer künstlichen Welt der prothetischen Hilfsmittel, die aus der Hilflosigkeit unserer Abgetrenntheit entstehen und diese widerspiegeln, und wenn wir eintreten in den Stilleraum der Natur. Wenn wir anwesend und gegenwärtig sind mit den Pflanzen und Tieren des Waldes und der Wiesen, uns an Fluss- und Bachläufen berauschen, das Tosen der Meeresbrandung in uns wallen lassen, in einer Höhle der Stille der Tiefe lauschen, auf eines Berges Gipfelhöhe dem Raunen des Windes zuhören, dem glitzernden Lichtspiel des Sonnenalls in uns folgen oder im Mondlicht mit den Sternen tanzen.
Bei all diesem fühlen wir uns wie gerade neugeboren, frisch, frei und unverstellt, denn wir sind nahe an der Naht der Schöpfung angekommen, „nahe am Tor”. Wir sind „Nah-tor.” So werden wir bei alldem getragen und genährt von Mutter „Na-terra”, und in uns vibriert als lebendiges Fluidum die „Natter” Gottes, die heilige Schlangenkraft (Kundalini) der Schöpfung.
Vielleicht bedarf es hier nur noch eines kleinen Schrittes, und der Mensch erwacht entfesselt, ganz und „verblümt” als Lebewesen Gottes?