Hast du dich schon einmal gefragt, warum das Erzählen von Geschichten über das Medium Schauspiel und Film seit gut hundert Jahren immer größeren Raum in unserem Leben einnimmt? Und was uns dieses Phänomen erzählen möchte?
Für viele Menschen vergeht kaum ein Tag oder eine Woche, ohne dass sie sich eine Geschichte erzählen lassen, die von einer der zahlreichen „Traumfabriken“ produziert wurde. Die Themen sind unterschiedlich und locken, je nach Genre, entsprechende Gemütsbewegungen hervor. Doch so ergreifend das jeweilige Filmgeschehen auch sein mag, vermögen die meisten Zuschauer, abgesehen von vereinzelten Emotionsspitzen und Ausnahmen, sich ihrer Zuschauerrolle einigermaßen durchgängig bewusst zu bleiben: Im Kino sitzend, rasen wir im Moment des Handlungsgeschehens auf der Leinwand nicht mit quietschenden Autos mit, reiten nicht wie wild auf Pferden, werden bei brutalen Schießereien nicht getroffen, teilen Wohnung, Bett und Leben nicht mit den schönen Protagonisten und lassen uns vor lauter Horror und Schrecken nicht in den Wahnsinn treiben. Wir sitzen bei alldem mit etwas Abstand bequem im Kinosessel, auf dem Sofa oder liegen kuschelig im Bett. Und nachdem der Film zu Ende ist, können wir wieder zu unserem Tages- oder Nachtgeschehen übergehen und das Erlebte nachklingen lassen. Wir sind uns dabei bewusst, dass es „nur“ ein Film war. Ähnliches äußern wir auch, wenn wir aus einem nächtlichen Traum aufwachen.
Wenn wir nun einmal das Verhältnis von „Zuschauer und Schauspiel“ spirituell betrachten und uns fragen, was uns dieses überaus mächtige Beziehungsbild als Erkenntnismöglichkeit in unser Seelenbewusstsein hineinspiegeln möchte, so wird schnell klar, dass darin ein großes Geheimnis des Lebens verborgen ist – nämlich das Geheimnis von Schöpfer und Geschöpf, von Schöpfungsträumer und Schöpfungstraum.
Den yogischen Rshis (Weisen) ist seit undenklichen Zeiten bewusst, dass der Wachzustand, den wir „Realität“ nennen, sich nur dahingehend vom Schlafzustand, den wir „Traum“ nennen, unterscheidet, dass der erste „aus-wändig“, mit Hilfe von physischem Traumstoff, und der zweite „in-wändig“, mit Hilfe von astralem Traumstoff geträumt wird. Wobei dem physischen Traum ein wesentlich dichteres Traumgewebe in einem viel schwerfälligeren Raum-Zeit-Gefüge zur Verfügung steht als dem leichtgängigen astralen, feinstofflichen Träumen während des Schlafs.
Doch woher kommt der Stoff, aus dem unsere Träume sind?
Diese Frage führt uns zum dritten Zustand, dem traumlosen Tiefschlaf. Auch diesen suchen wir jede Nacht auf. Hier dürfen wir, umhüllt vom feinen Wonnekörper des Anandamayakosha, in die Kausalwelt eintauchen. Traumlos heißt, physisch-sinnliches Wahrnehmen, astrales Fühlen und mentales Denken existieren hier nicht. Der kosmische Traumstoff ist hier noch formlos als Quelle potenzieller Ideen und Ausdrucksformen des universalen Traumerlebens beheimatet, um daraus „träumend“ geschöpft zu werden. In der modernen Physik ist dies als Quantenfeld bekannt. Im yogischen Kontext kann hier von Ishvara (Gott als Weltenträumer) oder Mahat (kosmischer Geist) gesprochen werden. Dies ist der eine Same (Maha Bindu), der unendlich viele Ideen, Universen, Welten, Geschöpfe und Formen in ursächlicher Traumpotenzialität beinhaltet.
All diese drei Zustände – Wachen (Jagrat), Träumen (Taijasa) und traumloser Tiefschlaf (Prajna) – überlagern den „Vierten“ – Turya. In Turya, dem attributs- und eigenschaftslosen Brahman-Atman, dem Absoluten, enden unser Verstehen und Denken. Individualität und Formen erfahren an der Schwelle dahin Vernichtung und vollständige Auslöschung. Turya ist nicht zu erfahren, sondern nur als reines, bewusstes SEIN, als pures, unverhülltes, lebendiges Leben samadhisch zu erleben. Turya ist als bewegungsloses Prinzip, um bei dem Bild vom Film zu bleiben, der unbewegte Zuschauer/Zeuge oder die unbewegte Kinoleinwand, auf der die Pferde galoppieren, Schlachten geschlagen werden oder Menschen sich liebend umarmen. All diese Wellenbewegungen aus Licht und Schatten wären ohne die unbewegte Leinwand nicht möglich. Dabei ist jede Form und jede Bewegung des Lichtspiels durchdrungen und abhängig von den „Fasern“ der universalen Leinwand des Unendlichen, des Brahman-Atman-Prinzips.
Wenn wir den Dramen, Tragödien und Komödien unseres Schöpfungstraumes, den wir als „Realität“ bezeichnen, als in unserem Wesen ruhender Zuschauer beiwohnen, wird es uns möglich, von der Identifikation mit den Wellenbewegungen (Vrttis) loszulassen. Wir erlangen die Identität mit dem „Weltenträumer“, dem ewigen Lebe- und Liebewesen in uns, das den feinen Duft der Weisheit, des Friedens, der Liebe und der Harmonie verströmt. Hier verlassen wir die Konfliktwelt der Dualität und enthüllen das Geheimnis wahren Lebens. Wir erkennen, dass Zuschauer, Autor, Regisseur, Dramaturg und Schauspieler unseres Schöpfungstraumes aus einem Guss sind: eine Art kosmischer „Samenerguss“ aus dem einen Samen des Weltenträumers Ishvara, der wir in unserem wahren und wirklichen Wesen selbst sind. So geeint, können wir im lichten wie im dunklen Traumgeschehen einen übergeordneten Sinn erkennen und uns sowohl dem Träumen als auch dem Traumerleben als Traumgeschöpfe vertrauensvoll übergeben.
Nun vermögen wir alle Formen in der Welt als Traumgeschöpfe und Traumeigentum des EINEN Träumers wahrzunehmen. Wir spüren, dass wir mitfühlende Geschwister einer einzigen wundervollen Schöpfungssymphonie aus Licht und Schatten sind, die im Grunde ein Wesen (Brahman) ist. Welches Geschöpf mit freiem Willen käme da noch auf die dumme Idee, sich abzuspalten, sein Ich zu erhöhen und sich mit Macht über andere Traumgeschwister zu erheben, um auf karmische Rechnung den Albtraumsamen der Angst auszusäen? Aber auch diese weitverbreitete Gewohnheit ist letztlich nur ein Traum – jederzeit bereit zu platzen.