Solange du noch etwas „hasst“, „hast“ du das Objekt des Hasses selbst in dir. Solange du noch Schatten in der Welt siehst, die dich beunruhigen und ängstigen, kannst du davon ausgehen, dass es wie in Platons Höhlengleichnis deine Schatten sind, die sich im Flackern des Feuers auf die Höhlenwand projizieren. Es ist gut, an dieser Stelle die Augen zu schließen, in die heilige Stille einzutreten, und im Inneren selbstverantwortlich die Ursache der Projektionen zu erforschen. Denn wenn wir unseren Gleichmut verlieren und für die eine oder andere Projektion Partei ergreifen, werden wir mal als Täter, mal als Opfer, mal als Gewinner, mal als Verlierer, mal als Gutmensch, mal als Schlechtmensch im Mahlwerk des Samsara, dem schier unendlichen Kreislauf von Werden und Vergehen, wieder und wieder zermahlen, und – den karmischen Früchten entsprechend – in unüberschaubaren Abfolgen in einem neuen Körper wiedergeboren.
Wenn einem die rechte, männliche Hälfte eines solchen Körpers nicht passt, und man sie zu hassen anfängt und abschneidet, wird sich zeigen, ob man allein mit der linken Hälfte klarkommt. Oder ob man nicht vielmehr zu taumeln anfängt, das Gleichgewicht verliert und stürzt. Das Gleiche geschieht, wenn jemand die linke, weibliche Hälfte abtrennt, weil er oder sie von der Idee besessen ist, dass nur die rechte allein gültig wäre. Solange der Mensch in solchen Konflikten gefangen ist, und diesem Konfliktpotenzial beispielsweise in seinen politischen Projektionen Ausdruck verleiht, hat er den großen, transzendenten Geist der „Gleich-gültig-keit“ noch nicht verwirklicht, geschweige denn berührt. Diese „Gleich-gültig-keit“ ist kein Kind abgestumpfter Apathie, sondern sie bezieht ihre Wachheit, ihre „Gegen-wärtigkeit“ aus der Weisheitserkenntnis, dass alles in unserem Universum entsprechend dem ehernen Gesetz von Ursache und Wirkung (Karma) an seinem richtigen Platz ist. „Gegen-wertig sein“ bedeutet, auch das Gegnerische, scheinbar von uns Getrennte, wertzuschätzen, es als Teil des großen Ganzen zu erkennen, es nicht verächtlich und totalitär eliminieren zu wollen, sondern die Anwesenheit Gottes in allen Geschöpfen zu ehren. So kann das „Andersartige“ in die Anwesenheit eines großen, liebenden Herzens integriert werden, und sich die Fülle des Vielen wieder in die Fülle des Einen eingliedern.
Im Rahmen des Schöpfungsgesetzes von Ursache und Wirkung müssen alle Samen, die einst gesät wurden und noch ausgesät werden, die guten wie die schlechten, sich ausdrücken, indem sie eines Tages aufgehen und zu sprießen anfangen. Sie werden zu süßen oder zu bitteren Früchten heranreifen, und keiner von uns Menschen wird umhinkommen, seine selbst gezüchteten karmischen Früchte irgendwann verzehren zu müssen. Dabei sind es im Besonderen die bitteren Brocken, die nur ungern geschluckt werden wollen. Um dies aufzuschieben oder gar zu verhindern, hält der Ich-Macher, der Ahamkara in uns, ein ganzes Arsenal an psychisch-strategischen Waffen bereit. Er weiß geschickt darum, wie man mit der Laserwaffe der Projektion Wahrheit und Wirklichkeit so verdreht, dass die eigenen unverdauten, bitteren karmischen Brocken schön auf Distanz gehalten werden können. Doch diese poppen in der Spiegelwelt der Schöpfung immer wieder erneut auf, um dem Ich seine unangenehmen Schatten zur verdauenden Erkenntnis zu reichen. Da der Ahamkara vor sich selbst immer gut dastehen will, passt ihm das im Spiegelbild Gesehene so gar nicht in den Kram. Deshalb sind immer die „Anderen“ die Bösen, die Schuldigen, die Unterdrücker, die Nazis, die Verbrecher etc. und werden diffamiert, angefeindet und bis aufs Messer bekämpft.
Dieses ermüdende, von geistiger Blindheit geführte Schattenboxen hat sich nicht nur tief in das Begegnungs- und Beziehungsgeschehen der Menschen hineingefressen, sondern bildet auch die Substanz eines Großteils unserer politischen Kultur und Agitation, die mit dem Begriff der Demokratie heuchlerisch und populistisch-inflationär umgeht.
Doch wie konnte es dazu kommen? Das „Ich“ hat zusammen mit seinem umtriebigen Assistenten-Berater „Verstand“ bereits vor langer Zeit in einem totalitären Akt der Machtübernahme das „Empire der Empirik“ im Menschen errichtet, und damit die natürliche Hierarchie, die heilige Ordnung im Menschenwesen gekapert. König und Königin der überbewussten Intuition, der göttlichen Weisheit und des liebenden Empfindens werden als „Ketzer“ in den Kerkern der Avidya (Unwissenheit) gefangen gehalten. Damit hat das Ich seine Verbindung zur wahren Wirklichkeit gekappt, die als Absolutes (Brahman) und Ewiges, als unbewegter Beweger wie Aristoteles es benannte, die Essenz allen Lebens und Liebens ist. Da der Mensch in seinem getrennten, zum Totalitären neigenden und vom Verstande gedämpften Gebaren nicht mehr weiß, was wirklich wahr ist, ist er der metaphysischen Unwissenheit zum Opfer gefallen und in eine erschreckende Orientierungslosigkeit gestürzt. Göttliche Weisheit wurde durch empirisches Wissen kompensiert. Kontemplation mit Konsum und Zerstreuung. Schöpferische Inspiration mit künstlicher Intelligenz. Liebe durch politisch angeordnete Solidarität. Und die Weisheit des Herzens wurde durch so genannte Fakten ersetzt, die von nicht unabhängigen Faktencheckern „geprüft“ und überwacht werden.
Dabei täten wir gut daran – so uns wirklich daran gelegen ist, die immer toxischer werdende Konfliktwelt zu befrieden –, wenn wir zuallererst in der Stille und Einkehr des heiligen Seins das eigene Ich einem gründlichen Faktencheck unterziehen würden, um es zu demaskieren. Fakt stammt von lateinisch facere bzw. factum ab und bedeutet „das Gemachte“. Das „Ge-machte“ ist von dem „ge-macht“ worden, der die „Macht“ dazu hat. Es sind also die Mächtigen, die Macher, die Macker, die Magier, die durch ihre mächtigen Mittel und eigennützigen Projektionskräfte die „vollendeten Tatsachen“ schaffen, die dann als so genannte „Fakten“ irrtümlicherweise von vielen Menschen für unanzweifelbar wirklich gehalten werden.
Gut, dass wir als Gesamtmenschheit dabei sind, in eine Zeitqualität der „End-täuschung“ einzumünden, in der es dem aufgeblasenen Ich-Macher, dem trügerischen Faker und Fakir in uns, langsam, aber sicher ans Eingemachte geht.