„Zwei geflügelte Freunde, inniglich miteinander verbunden, fliegen um einen Pippalibaum. Der eine labt sich an den Früchten, der andere betrachtet ihn dabei.“
Diese kleine Geschichte ist uns aus der Shvetashvatara-Upanishad überliefert und besticht durch ihre Einfachheit und Klarheit. Das eine der geflügelten Wesen gibt sich ganz dem sinnlichen Erleben und Handeln hin. Es genießt und nährt sich von den Früchten, die sowohl süß als auch bitter sein können. Das andere Wesen verbleibt davon unberührt in Gleichmut, Frieden und Transzendenz. Es betrachtet unbewegt als ewiger Zeuge (Atman) und Zuschauer seinen handelnden Widerschein (Jiva), der die Rolle eines Schauspielers innehat. Dieser wird früher oder später von Unwägbarkeiten und Turbulenzen erfasst, und zwar immer dann im Besonderen, wenn er seinen in sich ruhenden Gefährten vergisst und gänzlich vom Magnetismus der Sinneseindrücke absorbiert worden ist. Im mayischen Spiel der Sinneszaubereien ist mal die Gier nach mehr und mal die Angst vor dem Mangel bestimmend. Zwischen diesen beiden dualen Kräftepolen lässt sich der Mensch hin- und herschaukeln, bis der Schwindel ihn so sehr erregt, dass er verwirrt nach Halt und Orientierung kreischt.
Da es unserer Menschenwelt, die sich auf Verstandeszucht spezialisiert hat, an innerer geistiger und seelischer Schulung ermangelt, ist es für die meisten schwer, in der Schwindel-Welt von Werden und Bewegung die Position des „Felsens in der Brandung“ wieder zu erinnern. Es sind die spirituellen Einweihungswege, die unermüdlich die Flamme des ewigen Wissens vom stillen, geflügelten Gefährten aufrechterhalten. Dieser allein ist befähigt, den goldenen Schlüssel des Friedens in sich zu tragen.
Erst wenn wir wieder die Identifikation mit dem transzendenten Gefährten (Atman) in uns nähren, können wir das heilsame Fluidum des Friedens und des Gleichgewichts in die Welt ausströmen. Kein exoterischer Weg wird jemals diesen Schlüssel empfangen können. Hier bleibt Frieden nichts als ein unerfülltes Konstrukt reinen Wunschdenkens.