Verrückt, erleuchtet, oder beides? Die Anhänger der Aghori-Tradition streben die Überwindung der Dualität und des Samsara mit extremen Mitteln an, die anderen Suchenden zunächst unverständlich erscheinen.
In Aghora umarmst
du die Dunkelheit
und lässt sie
für dich arbeiten.
Aghori Vimalananda
Sie leben auf Totenverbrennungsplätzen und reiben ihre nackten Körper mit Menschenasche ein. Ihre Mahlzeiten kochen sie auf Leichenfeuern und essen sie aus Totenschädeln. Zudem meditieren sie auf Leichen und konsumieren Exkremente sowie Menschenfleisch. In Deutschland würden sie in der Psychiatrie oder im Gefängnis landen. In Indien jedoch werden sie respektiert – und auch gleichermaßen gefürchtet.
Aghora-Sadhus: Wer sind diese radikalen Asketen? Sind sie verrückt, erleuchtet, oder beides? Was ist Fakt, was ist Fiktion, und was haben ihre extremen Übungen mit Yoga zu tun, der generell mit sattvischen Praktiken wie Asanas, Meditation und Vegetarismus in Verbindung gebracht wird?
Aghoris sind eine spirituelle Gemeinschaft, die der tantrischen Ideologie Indiens entstammt. Das Wort aghora bedeutet „furchtlos“, kann aber auch mit „tiefer als tief“ interpretiert werden. Der Aghora-Orden wurde von einem indischen Asketen namens Baba Kinaram gegründet, der für eine Inkarnation Shivas gehalten wird. Er wurde 1601 nahe Varanasi geboren und verließ seinen Körper erst nach etwa 170 Jahren wieder. Sein Maha-Samadhi-Grab befindet sich im Baba-Kinaram-Tempel, dem wichtigsten spirituellen Zentrum der Aghoris in Varanasi.
Dem Aghora-Glauben nach kann Befreiung durch Praktiken erlangt werden, die sonst als tabu angesehen werden. Alles, was der orthodoxe Hindu für unrein hält, wie z.B. Alkohol, Menstruationsblut oder Leichen, dient diesen Asketen zur inneren Reinigung. Sie glauben, dass diese Praktiken, sofern sie korrekt ausgeübt werden, schnelleren spirituellen Fortschritt bringen. Aghora gehört daher dem linkshändigen tantrischen Pfad an, welcher sich statt der vom rechtshändigen Tantra praktizierten äußeren Reinheit auf die innere Reinheit des Praktizierenden verlässt. Wie Tantriker allgemein, verehren Aghoris Shiva und besonders Shakti als Gottheiten des Todes in Form von Kali, Smashan-Tara oder Bhairavi.
Der Orden hat nur wenige Anhänger, da seine strenge Askese selbst für die meisten Sadhus zu rigoros ist und man durch inkorrekte Ausübung leicht den Verstand verlieren, sterben oder noch stärker mit der materiellen Welt verhaftet werden kann.
Aghora-Sadhus – Überblick
Aghoris sind extreme, mutige Persönlichkeiten, die mit den Konzepten der Materie und der Dualität spielen. […]