Ein ehrlicher Blick auf Chakra-Balancing: Was es wirklich ist, und warum die meisten Workshops dazu Zeit- und Geldverschwendung sind.
Chakra-Balancing hat sich in den letzten Jahren in den Yoga- und den Thai-Massage-Unterricht eingeschlichen. Ich sehe es regelmäßig in Workshop-Werbungen. Es ist wie ein Bonus-Feature, ein Goodie obendrauf. Ein kleines Extra, über das die Schüler etwas erfahren und lernen können – und somit ein weiterer Grund, den Workshop zu besuchen. Die Sache ist nur die: Im Allgemeinen wird es von Lehrern angeboten, die dafür nicht qualifiziert sind – von Lehrern nämlich, die nicht wissen, was es genau ist und was sie da eigentlich tun, obwohl sie denken, sie wüssten es. Zumeist haben sie es vermutlich von anderen Lehrern gelernt, die ebenfalls nicht wussten, was sie da machen; das kommt im Feld der Energiearbeit allenthalben vor. Das ist ein bisschen so, wie wenn ein totaler Yoganeuling seinen ersten Wochenend-Yogakurs mitmacht und anschließend gleich selbst beginnt, Yogawochenenden anzubieten. Er weiß eigentlich gar nichts über Yoga, er betreibt lediglich Copy-Paste. Und wenn dir Yoga so am Herzen liegt wie mir die Energiearbeit, dann bist du wahrscheinlich genauso frustriert über eine solche Verflachung des Yoga, wie ich über die verflachte Darstellung der Chakras und des Chakra-Balancing.
Das letzte Mal, als ich eine Workshop-Ausschreibung las, die Chakra-Balancing enthielt, schrieb ich den Lehrer an und bat ihn darum, zu erklären, was er mit dem Ausbalancieren eines Chakras meint. Die Antwort lautete: „Ich verstehe darunter, das Chakra zu harmonisieren, so dass man sich im Frieden fühlt und allgemeines Wohlbefinden empfindet.“ Daraufhin war mir sofort klar, dass er nicht wusste, wovon er spricht.
Ich praktiziere Energiearbeit und Energielehre seit über zwanzig Jahren. Mehr als acht Jahre hatte ich Einzelunterricht bei einem Lehrer, und während dieser Zeit habe ich über Wochen daran gearbeitet, ein einzelnes Chakra auszubalancieren, und dann noch mal Monate daran, auch alle anderen Chakras erfolgreich in Balance zu bringen. Ich weiß, was es heißt, ein Chakra ins Gleichgewicht zu bringen. Ich kenne die Mühe, die es erfordert, und ich weiß, wie einem bei dieser Anstrengung zumute ist. Und da es um die Arbeit an den Chakras geht, die sowohl die Energie der angenehmen als auch der unangenehmen Aspekte des Lebens enthalten, ist der Prozess des Ausbalancierens kein durchweg erfreulicher, der dich in einen Zustand von Frieden und Wohlgefühl versetzt. Stattdessen bringt er dich zunächst meist in einen Zustand emotionaler oder energetischer Erschöpfung.
Das Problem ist, dass falsche Erwartungen und Vorstellungen in Bezug auf Chakra-Balancing erzeugt werden, wenn eine Vielzahl von Lehrern ihren Schülern Chakra-Balancing-Erfahrungen anbietet, ohne zu wissen, was das ist und wie man es ausführt. Die Schüler sind dann ebenfalls in dem falschen Glauben, sie wüssten, worum es sich handelt. Und sie denken, sie hätten ihre Chakras ausbalanciert, obwohl das gar nicht der Fall ist.
Was bedeutet es, ein Chakra in Balance zu bringen?
Um diese Frage zu beantworten, muss ich ein wenig ausholen. Es besteht für gewöhnlich ein Konsens darüber, dass wir in unserem Energiekörper sieben Hauptchakras oder Energiezentren haben: Muladhara, Svadhishthana, Manipura, Anahata, Vishuddha, Ajna und Sahasrara.
Es ist auch allgemein anerkannt, dass die Chakras miteinander in Verbindung stehen. In welcher Weise sie miteinander verbunden sind, wird dabei allerdings viel weniger erklärt und verstanden. Und in diesem Mangel an richtiger Erklärung liegt einer der maßgeblichen Gründe für das Missverständnis im Hinblick auf Chakra-Balancing.
Die meisten Leute gehen davon aus, dass ein Chakra, wie beispielsweise Muladhara, aus einem ganz bestimmten Typ von Energie besteht. Deshalb findet es auch breite Akzeptanz, dass jedem Chakra eine einzige, spezifische Farbe zugeordnet wird: Rot zu Muladhara, Grün zu Anahata, Lila zu Sahasrara usw. – eine Farbe, eine Energie, ein Merkmal. Das ist jedoch so nicht korrekt.
Da die Chakras miteinander verbunden sind, ist ein bisschen eines jeden auch in den anderen, so etwa in der Verbindung zwischen Muladhara, dem Wurzelchakra, und Anahata, dem Herzchakra. Anahata, das unsere Liebeserfahrungen im Erwachsenenalter prägt, wird stark beeinflusst durch die Erfahrungen von Liebe, die wir in unserer frühesten Kindheit hatten, und deren emotionale und energetische Aspekte sind traditionell in Muladhara beheimatet. Wenn du in einem jungen Alter in der Liebe sehr verletzt worden bist, trägst du diesen Schmerz vermutlich noch jetzt in deinem Herzen. Somit ist ein bisschen Muladhara in Anahata. Ein bisschen Rot im Grün. Und nicht nur das, sondern es sind auch Tupfer von Orange und Gelb darin: die Erfahrungen mit Liebe, die wir im weiteren Verlauf unserer Kindheit und in unseren ersten Teenager-Jahren machen (in etwa im Alter von sieben bis vierzehn) und die in unserem zweiten Chakra, Svadhishthana, angesiedelt sind, sowie auch diejenigen, die wir dann in den späteren Teenager-Jahren und unseren frühen Zwanzigern erleben (ca. von vierzehn bis einundzwanzig) und die in unserem dritten Chakra, Manipura, zu Hause sind.
Nun haben wir also Tupfer oder Schichten von Rot, Orange und Gelb in Anahata, dem Chakra, dem wir normalerweise die Farbe Grün zuordnen.
Falls wir in einem Haushalt aufgewachsen sind, in dem Liebe zugunsten von gutem Benehmen, Verhaltensvorschriften und Disziplin beiseitegedrückt wurde, und in dem wir stets zuerst um Erlaubnis bitten mussten, bevor wir irgendetwas tun durften, das unseren persönlichen Wünschen entsprang, dann beeinträchtigt auch dies das Grün von Anahata. In der Energiearbeit ist Gelb die Farbe der Energie, die von anderen dazu benutzt wird, um Kontrolle über jemanden auszuüben. Wenn du also in einem sehr kontrollierenden Umfeld groß geworden bist, dann ist auch dieses Gelb in deinem Herzchakra. Deshalb ist bei manchen Menschen Gelb anstatt Grün die dominante Farbe des Herzchakras. Es steht für Liebe, die kontrolliert wird; Liebe, die an bestimmte Bedingungen gekoppelt ist. Ja, Liebe ist auch dann in Anahata präsent, aber sie wird durch Gelb geprägt – durch Kontrolle. Es gibt also Schichten von Rot, Orange und Gelb in Anahata, und die Gesamtfarbe hängt davon ab, welche Schicht die stärkste ist. Genauso finden sich in Anahata auch Schichten himmelblauer, indigofarbener und purpurfarbener Energie – diese stammen aus Vishuddha, Ajna und Sahasrara. Tatsächlich enthält jedes der sieben Chakras Energiefetzen aller anderen sechs Hauptchakras. Darin besteht ihre Verbindung. So sind sie miteinander verknüpft und kommunizieren miteinander.
Der effektivste Weg, ein Chakra zu öffnen, zu energetisieren und auszubalancieren, ist Atemarbeit. Unter Anleitung eines Lehrers, der weiß, was er tut, fokussierst du deine Atmung auf das Chakra, das du in Balance bringen möchtest.
Nun nehmen wir mal an, du hast – so wie ich – in deiner Kindheit zu einem gewissen Grad Verletzungen und Traumata erlebt, und dies hatte etwas mit einem deiner Elternteile zu tun. Wenn du versuchst, die Chakras in Balance zu bringen, werden mindestes drei nicht angenehme Dinge geschehen. Indem du Muladhara öffnest, energetisierst und ausbalancierst, wirst du zu dem Trauma zurückgeführt. Das ist keine friedvolle Erfahrung. Indem du Svadhishthana öffnest, energetisierst und ausbalancierst, wo die emotionale Energie deiner Angst angesiedelt ist, wirst du der Angst wiederbegegnen, die du angesichts der Verletzungen durch deine Eltern verspürt hast, und du wirst auch alle in Folge davon entstandenen Ängste wecken, die du bis dato in deinem Körper trägst. Auch dies ist keine friedvolle Erfahrung, und du wirst dich dadurch nicht energievoll fühlen. Das Gegenteil wird passieren, denn die energetischen Eigenschaften von Angst führen dazu, dass du dich verschließt und dich kalt, schwer und müde fühlst, wodurch es sich für dich so anfühlt, als ob du keine Energie mehr hättest.
Indem du Manipura öffnest, energetisierst und ausbalancierst, das Chakra, das die emotionale Energie der Wut beherbergt, wird die gesamte Wut gegenüber deinen Eltern freigesetzt, sowohl die Wut aus der Vergangenheit als auch die gegenwärtige. Eine friedvolle Erfahrung? Auch dies würde ich verneinen. Und sagen wir mal, du arbeitest in einem Chakra-Workshop an der Balance von Manipura. Wenn man bedenkt, dass die Chakras miteinander verbunden sind, bedeutet das Freisetzen der gelben Wut-Energie aus Manipura, dass auch die gelben Schichten der Wut aus Svadhishthana und Muladhara gelöst werden. Jetzt hast du drei energetisierte und aufgewühlte Hauptchakras, die alle ihre Energie der Wut freisetzen. Fühlt sich das immer noch friedvoll an?
Wenn man ein Chakra öffnet, bedeutet das, dass man alle sieben individuellen Schichten von Energie innerhalb dieses Chakras öffnet: die Schichten von Rot, Orange, Gelb, Grün, Himmelblau, Indigo und Purpur. Und Chakra-Balancing heißt, all diese Schichten gleichermaßen zu öffnen, um sie alle gleich zu machen. Ein Chakra in Balance zu bringen ist einfach ein anderer Ausdruck dafür, den Energiefluss eines Chakras auszubalancieren. Die Energie auszubalancieren, die in einem Chakra oder durch ein Chakra fließt, bedeutet, die Energiemengen anzugleichen, die durch die sieben jeweiligen Schichten eines Chakras fließen.
Zum Abschluss soll hinzugefügt sein, dass es einen immensen Unterschied zwischen Chakra-Balancing und therapeutischer Chakra-Arbeit gibt, und dass ich, indem ich das eine verwerfe, auf keinen Fall auch das andere zurückweise.
Wie balanciert man ein Chakra aus?
Der effektivste Weg, ein Chakra zu öffnen, zu energetisieren und auszubalancieren, ist Atemarbeit. Unter Anleitung eines Lehrers, der weiß, was er tut, fokussierst du deine Atmung auf das Chakra, das du in Balance bringen möchtest. In diesem Prozess wirst du allmählich eine große Bandbreite an metaphysischen und energetischen Erfahrungen machen, darunter Schwindel, Schwere, Leichtigkeit, Euphorie, Müdigkeit, Kälte, Ungleichgewicht usw. Vielleicht erlebst du auch emotionale Energie wie Wut, Angst, Frustration, Traurigkeit oder das Gefühl von Einsamkeit. Die Erfahrung kann auch Erinnerungen an Menschen, Orte und Situationen aus deiner Vergangenheit oder deiner Gegenwart antriggern oder Bilder von ihnen hervorrufen. Wenn du sehr tief gehst, wird sie dir auch Antworten bringen.
Ein Lehrer, der Ahnung hat, wird dich immer wieder fragen, was du spürst oder in deiner Bilderwelt siehst, wenn du mit deiner Atemarbeit begonnen hast, und kann an deinen Antworten ablesen, in welche Schicht des Chakras du durch diese Arbeit eingetreten bist. Der oder die Lehrende wird dich dazu bringen, die Atemarbeit so lange fortzusetzen, bis die Berichte über deine Erfahrungen erkennen lassen, dass alle sieben Schichten des Chakras geöffnet und energetisiert wurden. Da jede Schicht innerhalb eines Chakras ein bestimmtes Set an Merkmalen hat, die anders sind als die der anderen Schichten, werden deine Berichte dem Lehrer genau zeigen, wo du stehst. Diese Übung kann viele Stunden in Anspruch nehmen, oftmals über Tage oder Wochen verteilt. Energiearbeit kann intensiv und erschöpfend sein.
Woran erkennt man, dass ein Chakra ausbalanciert ist?
Wenn du Erfahrungen mit echter Energiearbeit gemacht hast, hast du vor deinem geistigen Auge vielleicht Farben, Bilder, Symbole, Krafttiere und anderes gesehen. Das ist eine der Arten, auf die dein Energiekörper mit dir kommuniziert – durch visuelle Erscheinungen und Symbole.
Wenn du also eins deiner Chakras ausbalanciert hast, dann erkennst du das daran, dass du ein von diesem Chakra freigesetztes visuelles Symbol mit der Bedeutung Balance siehst. Du siehst vor deinem geistigen Auge ein ganz bestimmtes Symbol. Und dabei handelt es sich nicht um irgendetwas Kleines, von dem du dir nicht sicher bist, ob du es gesehen hast oder nicht. Wenn dir das Symbol von Balance geschickt wird, dann klar und deutlich. Du kannst es gar nicht verpassen. Auch hier wiederum wird deine Lehrperson, sofern sie Ahnung hat, die Bedeutung des Symbols bestätigen, wenn du berichtest, dass du es gesehen hast.
Das erfolgreiche Ausbalancieren eines Chakras wird dir somit dadurch bestätigt, dass vor deinem inneren Auge ein spezifisches Symbol erscheint. Es hat nichts damit zu tun, dass du dich im Gleichgewicht oder im Frieden fühlst oder dich als energetisiert empfindest. Es ist eine visuelle Erfahrung.
Wie fühlt es sich an, wenn die Chakras in Balance sind?
Energetisch, emotional, mental, physisch und spirituell wirst du keinen Unterschied zwischen einer Chakra-Balance und einer Chakra-Disbalance empfinden. Der Grund dafür ist, dass der Zustand von Chakra-Balance temporär ist. Schon in dem Moment, in dem du ihn erreichst, verlierst du ihn wieder. Das liegt daran, dass die Energie in den Chakras fortwährend im Fluss ist. Sie verändert sich ständig. Das ist die Natur von Energie. Der Energiefluss lässt sich nicht einfrieren oder stoppen. Kein Zustand ist dauerhaft – die besten spirituellen Lehrer erzählen dir das. Und so ist es auch mit dem Zustand von Gleichgewicht. Gleichgewicht ist vorüber, sobald es gefunden wurde. Um 10 Uhr, 55 Minuten und 56 Sekunden am Morgen wirst du dich nicht bedeutend anders fühlen als um 10 Uhr, 55 Minuten und 55 Sekunden. Eine Sekunde im Ungleichgewicht, die nächste im Gleichgewicht, und die übernächste wieder im Ungleichgewicht.
Was ist also der springende Punkt? Welche Benefits bringt es, wenn ein Chakra in Balance ist? Wenn du nicht vorhast, Energiearbeiter oder -lehrer zu werden, dann gibt es keine.
Als Energiearbeiter und Energielehrer habe ich als einzigen Benefit aus der Arbeit an der Chakra-Balance gezogen, dass ich nun verstehe, wie viel Aufwand dafür nötig ist und welche Reaktionen dadurch aufgeworfen werden. Ich nutze diese Erfahrung als Bullshit-Sensor, wenn ich die Annoncen von Lehrern lese, die ihren Schülern Wochenend-Workshops für Chakra-Balancing anbieten. Ich bitte die betreffenden Lehrer, mir einige damit verbundene Erfahrungen zu beschreiben, und wenn sie mit einer Wolke aus Zuckerwatte antworten – wie etwa, dass man sich voller Frieden und Harmonie fühlt –, dann weiß ich, dass sie nicht wirklich wissen, wovon sie da reden, und den Leuten eine Menge Geld abknöpfen, nur um sie in die Irre zu führen. Das tut mir weh, aber so ist es.
Wie ist es also, zusammenfassend gesprochen, ein Chakra in Balance zu bringen? Ich würde sagen, es ist wie eine Achterbahnfahrt. Es zieht dich hoch und drückt dich herunter. Es stellt dich auf den Kopf und stülpt das Innere nach außen. Es beschwingt dich. Es sorgt dafür, dass dir übel wird. Du riechst Blumen, die gar nicht im Raum sind. Du hörst Gespräche, die einen halben Kilometer entfernt stattfinden. Du spürst die Gegenwart von Engeln. Du wirst mit Dämonen konfrontiert. Du verspürst einen Energieschub. Du fühlst dich erschöpft. Und der Nutzen von all dem? Nun, im Endeffekt keiner, außer dass du durch die Erfahrung als solche lernst.
Zum Abschluss soll hinzugefügt sein, dass es einen immensen Unterschied zwischen Chakra-Balancing und therapeutischer Chakra-Arbeit gibt, und dass ich, indem ich das eine verwerfe, auf keinen Fall auch das andere zurückweise. Therapeutisch mit Chakra-Energie zu arbeiten, um jemandem beim Lösen von Emotionen zu helfen, von denen er oder sie sich nur schwer befreien kann, oder um dabei zu helfen, mit einem alten Trauma abzuschließen, und jemandem so ein tieferes Verständnis für das eigene Leben zu ermöglichen, ist eine Arbeit, die ich sehr begrüße und unterstütze. Sie kann enorme Benefits haben. Aber ein Wochenend-Workshop für Chakra-Balancing, damit du dich voller Frieden und Harmonie fühlst? Wenn du nach etwas Echtem und Bedeutungsvollem suchst, verschwende nicht dein Geld.