Wie kreiert man Fülle, wo man vorher Mangel wahrgenommen hat? Über das Ausweiten des „kleinen Selbstes“, das den manchmal unnötigen Kampf gegen das Ego friedlich auflöst, und ein persönliches Glück, das für alle gut ist.
Spirituelle Lehren enthalten leider oft Missverständnisse und können deshalb verwirrend sein. Nirgendwo sehen wir das besser als am Beispiel der Lehre über die Selbstlosigkeit. In jeder Schule und bei fast allen Lehrern habe ich gelernt, dass Karma-Yoga, manchmal auch Seva oder Dana genannt, das eigentliche Ziel der Spiritualität ist. Es wurde vermittelt: Wann immer das Ego ins Spiel kommt, sei dies schlicht falsch und sollte vermieden werden. Wir sollen selbstlos arbeiten und uns dabei aufopfern, zum Guten von allen.
Natürlich ist diese Lehre das genaue Gegenteil von dem, was unsere Gesellschaft uns lehrt, denn der Leitsatz des Kapitalismus besagt: „Jeder ist sich selbst der Nächste.“ Wenn man diese Maxime betrachtet, ist es kein Wunder, dass viele Menschen auf der Suche sind und in der Spiritualität eine Alternative sehen. Doch ist das Ego wirklich gänzlich schlecht? Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Das Ego als böse oder schlecht abzutun, schafft nur Verwirrung. Wenn wir das Ego abspalten, geht es in den Untergrund. Es ist wichtig, unsere natürlichen Impulse nicht zu unterdrücken. Schauen wir uns das Ego – oder, wie die Buddhisten es liebevoll benennen, „das kleine Selbst“ – einmal gründlicher an.
Zwischen Leere und Fülle fließen
Ein berühmtes Zitat von Sri Nisargadatta besagt: „Die Weisheit sagt mir, ich bin nichts. Die Liebe sagt mir, ich bin alles. Zwischen diesen beiden fließt mein Leben.“
Dieses außergewöhnliche Zitat trifft eine tiefe spirituelle Weisheit. Wir sind beides, nichts und alles. Je mehr wir daran arbeiten, den Schatten in uns selbst zu integrieren, umso eher erkennen wir, dass wir beides sind, leer und voll, shunya und purna. Wenn unser „kleines Selbst“ oder Ego einmal gelernt hat, nicht alles so persönlich zu nehmen, werden wir uns dieser tiefen Wahrheit gewahr. Wir sind niemand und doch alle. In manchen Schriften wird das Ego „chit-achit granthi“ genannt. „Granthi“ heißt übersetzt Knoten, „chit“ und „achit“ bedeutet „bewusst“ und „unbewusst“. Diese Lehre verweist auf den Scheideweg, an welchem wir uns mit demjenigen identifizieren, was wir zu sein glauben. Zum Beispiel können wir uns damit identifizieren, ein […]