Worte können tiefe Emotionen in uns auslösen und die Verbindung zwischen Menschen stärken – oder sie zerstören. Von der Wichtigkeit der Sprache überzeugt, entwickelte der Psychologe Marshall B. Rosenberg die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) – ein Konzept, bei dem es letztendlich um die Erweiterung des Bewusstseins und die Wiederherstellung tiefer Verbindungen zwischen Menschen geht.
Jeden einzelnen Tag kommunizieren wir und treten mit unserer Umwelt in Kontakt. Man kann nicht nicht kommunizieren, lautet eine der fünf Grundregeln der Kommunikationstheorie. Unter anderem durch das hochkomplexe Medium der Sprache bringen wir unser Innerstes zum Ausdruck, jedoch oftmals ohne wirklich darüber nachzudenken, welche Auswirkungen unsere Äußerungen haben können. Sicher hast auch du schon einmal eine Schuldzuweisung erfahren, die dich verletzt hat; oder auch eine Liebeserklärung, die dich tief im Kern berührt hat. Sicher stimmst du zu, dass Worte unglaublich kraftvoll sind! Sie können inspirieren, berühren, berauschen, überwältigen, bedrücken, einschüchtern, schockieren, verängstigen, irritieren, verärgern und noch so vieles mehr. Darum lohnt sich ein genauerer Blick auf unsere bestehenden Kommunikationsmuster!
Die Sprache des Lebens sprechen
„Was ich in meinem Leben will, ist Einfühlsamkeit, ein Fluss zwischen mir und anderen, der auf gegenseitigem Geben von Herzen beruht.“ Mit dieser Aussage verdeutlicht der Psychologe Marshall B. Rosenberg in seinem Buch Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens das Ziel seines Konzepts der GFK, das bei genauerer Betrachtung viele Aspekte mit dem Yoga teilt und bei der es bei weitem nicht nur um unsere Wortwahl geht. Das Vorwort des Buches ist verfasst von Deepak Chopra, was schon darauf hindeutet, dass es sich bei der GFK um ein zutiefst spirituelles Thema handelt. Mit Hilfe der GFK können wir lernen, mit unseren Herzen zu hören und zu sprechen – so können (wieder) tiefe Verbindungen zwischen Menschen entstehen.
Rosenbergs These lautet, dass hinter den meisten Formen von Gewalt, sei sie nun verbal oder psychisch, ein Denken steht, das die Ursache eines Konflikts einem Fehlverhalten des Gegenübers zuschreibt. Das kann sich z.B. in einer Sprache manifestieren, die von Schuldzuweisungen und Verurteilungen geprägt ist. Diese abzulegen und die volle Verantwortung für unser Leben zu übernehmen lehrt uns sie GFK; sie kann so zu einem sehr befreienden Prozess werden.
Die GFK lädt uns ein, unser Menschsein und so unser Bewusstsein zu erforschen. Alle Menschen haben grundlegende Bedürfnisse wie Gemeinschaft, Rücksichtnahme, Kreativität, Authentizität, Vertrauen, Verständnis, Liebe, Geborgenheit, Nahrung, Ruhe, Sexualität, Freude, Lachen, Schönheit, Harmonie oder Frieden. Es gilt, durch die GKF unsere tiefen Bedürfnisse zu erkennen und zu äußern und auch auf die Bedürfnisse unserer Menschen einzugehen.
Die vier Komponenten der GFK
Rosenberg unterteilt in vier Komponenten, die die GFK bilden und die aufeinander aufbauen: Beobachten, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten. Auf der einen Seite können wir unsere tiefen Bedürfnisse über die vier Komponenten ausdrücken und auf der anderen Seite können wir sie durch empathisches Zuhören von unseren Mitmenschen aufnehmen.
1. Beobachten: Welche Handlungen oder konkreten Situationen kannst du wahrnehmen?
Die Grundlage jeder gewaltfreien Kommunikation bildet das Beobachten. Das Ziel ist es, unserem Gegenüber das Beobachtete ohne unsere eigene Interpretation, Beurteilung oder Bewertung mitzuteilen.
2. Gefühle: Sprich aus, was du fühlen kannst, wenn du eine Handlung beobachtest!
Das klingt erst einmal nicht sonderlich kompliziert. Tatsächlich jedoch haben heute viele Menschen verlernt, Gefühle bewusst wahrzunehmen und diese klar auszusprechen. Oft vermischen oder verwechseln wir Gefühle mit Interpretationen der Handlungen anderer Menschen, so z.B. wenn wir sagen „Ich fühle mich ignoriert“ oder „Ich fühle mich gezwungen“. Es gilt klar zwischen Gefühlen und Aussagen, die Gedanken, Einschätzungen oder Interpretationen wiedergeben, zu unterscheiden. Wir müssen voll und ganz bereit sein, die Verantwortung für unser Gefühl zu übernehmen. Denn was ein anderer Mensch sagt oder tut kann niemals die Ursache für unser Gefühl sein, wohl aber ein Auslöser.
3. Bedürfnisse: Sprich aus, welches Bedürfnis sich hinter deinem Gefühl verbirgt!
Als nächstes müssen wir die Bedürfnisse hinter unseren Gefühlen erkennen und diese akzeptieren. Je direkter wir Gefühle und Bedürfnisse miteinander verbinden können, umso eher kann unser Gegenüber einfühlsam reagieren. Kritik, Urteile oder Interpretationen des Verhaltens anderer Menschen werden in der GFK als entfremdete Äußerungen unserer eigenen Bedürfnisse erachtet.
4. Bitten: Äußere auf Grundlage deines Bedürfnisses eine spezifische Bitte!
Um dir deine Bedürfnisse zu erfüllen achte darauf, wie du deine Bitte, die zur Erfüllung deiner Bedürfnisse dient, formulierst. Sag deinem Gegenüber was du brauchst, nicht was er oder sie nicht richtig gemacht hat.
Ein Bespiel: Anstatt zu ihrem Partner zu sagen „Immer lässt du deine schmutzige Wäsche auf dem Boden liegen. Das machst du doch nur, um mich zu ärgern!“, könnte eine Frau zu ihrem Partner im Sinne der GFK folgendes sagen: „Ich ärgere mich (Gefühl), wenn ich deine dreckige Kleidung auf dem Fußboden im Bad sehe (Beobachtung), weil ich in dem Raum, den wir gemeinsam benutzen, mehr Ordnung brauche (Bedürfnis). Bitte leg deine getragene Kleidung direkt in den Wäschekorb (Bitte).“
Verbindung zum Yoga
Auf der Grundlage dieser Komponenten, deren Integration ins Alltagsleben viel Geduld und Übung erfordert, können wir lernen, von Herzen miteinander zu kommunizieren. Das kann jedoch nur geschehen, wenn wir hinter unser Ego blicken, d.h. hinter das Konstrukt, das wir uns im Laufe unseres Lebens durch Konditionierung, Gewohnheiten und aufgrund von mangelnder Selbsterkenntnis aufgebaut haben. Und genau hier befindet sich die Brücke zwischen Yoga als Praxis und dem Konzept der GFK. Es ist erforderlich, Achtsamkeit zu entwickeln und es geht um eine grundlegende Veränderung der Perspektive.
Sowohl in der GFK als auch im Yoga muss eine Veränderung der Wahrnehmung stattfinden. Die Verbindung zu uns selbst aufzubauen, zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen, ist hier der erste Schritt. Dies erfordert, immer wieder die Aufmerksamkeit auf uns selbst zu lenken und nach Lösungen für Konflikte zu allererst bei uns selbst zu suchen. Gewaltfrei zu agieren bezieht sich darüber hinaus auf unser ganzes Leben. In der yogischen Philosophie kennen wir das als Ahimsa, die Gewaltlosigkeit, die sich ebenfalls nicht nur auf unsere Sprache bezieht, sondern die als innere Haltung verinnerlicht werden darf.
Wenn wir gewaltfrei kommunizieren werden unsere Mitmenschen viel lieber auf unsere Bedürfnisse eingehen, als wenn wir ihnen Vorwürde machen – und wir kommen so deren Erfüllung näher. Im besten Fall wird unsere geäußerte Bitte zudem auch das Leben unseres Gegenübers schöner machen. Doch darüber hinaus stellt sich ein Zustand tiefer Zufriedenheit ein, wenn wir hinter unser Ego blicken, und wir können uns mehr und mehr von unserer selbst erfundenen Geschichte lösen, die uns oft viel Ärger macht. Diese Zufriedenheit ist gänzlich ungebunden an äußere Umstände. Wie Rosenberg es ausdrückt: „Wenn die Gewalt in unseren Herzen nachlässt, entfaltet sich unser wahrer Wesenskern.“ Es ist genau dieser Wesenskern, zu welchem wir auch durch unsere Yogapraxis wieder Zugang erlangen. Eine Sprache zu sprechen, die unser intrinsisches Einfühlungsvermögen zum Ausdruck bringt und die ehrliche Verbindungen von Herz zu Herz schafft, ist ein bedeutender Schritt in diese Richtung.
Zum Weiterlesen:
Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens, 12. Auflage, Junfermann Verlag 2016.