Warum in einem kleinen Dorf im Norden Indiens Frauen Männer mit Stöcken schlagen, und wie Krishna und eine mordende Dämonin für einen Farbrausch sorgten.
Barsana, Nordindien. Leicht ist er nicht, der Stock. Über einen Meter ist er lang, und er liegt gut in der Hand. Weich schmeichelt die glatte Oberfläche ihren Hand-
innenseiten. Dann lässt sie ihn durch die Luft sausen. Zack. Der Schlag landet auf dem lederbeschlagenen Schild, den ein kniender Mann über seinen Kopf hält. Sie holt erneut aus. Zack, und dann noch mal, zack, noch mal, zack. Anfangs sind die Schläge noch vorsichtig, als wolle sie sichergehen, ihn nicht zu verletzen, den Mann aus dem Nebenort Nandgaon. Doch mit der Zeit gewinnt sie an Sicherheit, schlägt fester zu, legt immer mehr Kraft in ihre Bewegungen. Dann beginnt es auf einmal zu regnen, wie es nur in Indien regnen kann. Wege werden zu Bächen, Kleider kleben an Körpern. Doch der Regen stört sie nicht. Auch nicht das Farbpulver, das von allen Seiten geworfen wird, sich mit dem Regen zu bräunlich-rotem Schlamm vermischt und den gepflasterten Boden bedeckt und glitschig macht.
Andere Frauen tun es ihr gleich. Hunderte von ihnen sind es, die, in ihre schönsten Saris gekleidet, durch den Ort laufen und Stöcke schwingend den Männern aus Nandgaon ihre traditionelle Abreibung verpassen. Die Frauen lachen. Es ist ihr Tag. Ihr Moment der ritualisierten Revanche, der Rache für erduldetes Leid.
Von Dächern und Balkonen aus fliegt der Inhalt von Eimern voller Farbe durch die Luft, verteilt sich in Haaren, Kleidung, auf der Straße …
Die Legende
Laut Überlieferung wuchs der junge Gott Krishna in Nandgaon auf, einer ländlichen Region ein Stück südlich von Delhi. Als Spross einer königlichen Familie liebte er es, mit den Hirten des Ortes umherzuziehen. Am liebsten war er dabei mit Schafen und Schäfern in Richtung des Nebenortes Barsana unterwegs. Denn dort gab es seiner Meinung nach nicht nur die saftigsten Wiesen für die Tiere, sondern auch die schönsten Hirtenmädchen. Die Bezauberndste von ihnen war Radha. So gab es für ihn und seine Gefährten nichts Schöneres, als Radha und ihren Freundinnen nachzustellen und sie zu necken. Doch irgendwann wurde es den Hirtenmädchen zu bunt. Sie griffen sich ihre Stöcke und jagten […]