Nur noch im Lieben besteht meine Übung“1, so sprach einst der spanische Mystiker und Poet Johannes vom Kreuz (eigentlich Juan de Yepes y Álvarez), der im 16. Jahrhundert lebte und wirkte. Den wohl meisten Menschen ist er durch sein in spirituellen Kreisen beliebtes Gedicht Die Dunkle Nacht der Seele bekannt, in dem es um die mystische Vereinigung der Menschenseele mit Gott geht.
Johannes vom Kreuz war ein leidenschaftlich in Gott verliebter Mensch und Mönch, der seine Sehnsucht und seine mystischen Erfahrungen in Gedichten und lyrischen Werken ausdrückte. Er war Mitgründer des kontemplativen Ordens der Unbeschuhten Karmeliten und ein Reformer des spanischen Klosterlebens. Er gilt zudem als Schutzpatron von Mystikern, Kontemplativen und Dichtern.
Die Unio mystica, die mystische Einheitserfahrung mit Gott, welche Johannes erlebte, ist nichts anderes als der yogische Samadhi oder das islamische Ma‘rifa. Namen und Formen mögen sich unterscheiden, der mystische Kern ist jedoch in allen Glaubensrichtungen gleich. In diesem Sinne haben die erkenntnisreichen Texte dieses mittelalterlichen Asketen auch heute noch eine große Relevanz für Yogis und spirituell Suchende.
Wo hast du dich verborgen,
Geliebter, und ließest mich mit Seufzen!
Wie ein Hirsch entflohst du,
hattest mich verwundet;
ich ging hinaus und schrie nach dir, doch du warst fort.Aus: Johannes vom Kreuz:
Der Geistliche Gesang
Kindheit und Jugend
Johannes wurde am 24. Juni 1542 im spanischen Fontiveros geboren. Seine Kindheit war schwer: Er verlor seinen Vater schon früh und wuchs in großer Armut auf. Ein weiterer Schicksalsschlag ereilte die Familie, als sein Bruder kurz darauf ebenfalls starb. Johannes‘ Mutter arbeitete hart, um ihre verbliebenen Kinder aufzuziehen, und nahm sie mit nach Medina del Campo, wo sie eine Anstellung als Weberin fand. Johannes konnte dort auf eine Schule für arme Kinder gehen, wo er die christliche Lehre studierte und auch einigen Nonnen des Augustinerordens diente.
Später studierte er Geisteswissenschaften, trat dem Karmeliterorden bei und wurde zum Priester geweiht. Die bekannte Mystikerin St. Teresa von Avila erbat seine Hilfe, um die ursprüngliche strenge Askese der Karmeliten wiederherzustellen, die mit der Zeit verlorengegangen war. Zusammen gründeten die beiden den auch heute noch existierenden monastischen Orden der Unbeschuhten Karmeliten, in welchem Johannes Novizenmeister, Rektor und Beichtvater wurde.