Das ganze Leben besteht aus Beziehungen! Wir setzen uns tagtäglich in Bezug mit Personen und Dingen, was unser Denken, Handeln und Fühlen maßgeblich beeinflusst. Es ist der natürliche Wunsch jedes Menschen und sein Grundbedürfnis, gesunde Beziehungen zu führen. Auch für unsere spirituelle Entwicklung sind Beziehungen sehr bedeutend und können zu einem Hilfsmittel werden, das höchste Ziel des Yoga zu verwirklichen: die Erkenntnis des wahren Selbst.
Dazu müssen wir das Licht unserer Achtsamkeit auf unsere Verbindungen lenken. Achtsamkeit ist das Fundament für stabile Beziehungen und ebenso die Grundlage aller Yogapraktiken. Alle Arten unserer Beziehungen – die zur Familie und zu Freunden, romantische Beziehungen, Geschäftsbeziehungen oder die Beziehung zur Natur – sind Spiegel, in die wir, bewusst oder unbewusst, blicken, und hierdurch die wichtigste aller Beziehungen immer wieder neu verhandeln, nämlich die Beziehung zu uns selbst.
Die wichtigste aller Beziehungen pflegen
Gesunde Beziehungen zum „Außen“ können wir erst aufbauen, wenn wir eine achtsame und reflektierte Beziehung mit uns selbst führen. Doch wer oder was genau ist dieses Selbst? Um das herauszufinden, rät der indische Gelehrte Patanjali in seinem Yoga-Sutra, einem der Grundlagentexte des Yoga, zu Svadhyaya, also Selbststudium durch Introspektion sowie Studium der alten Schriften. Introspektion bedeutet, in unser Innerstes zu horchen. Damit wir hier etwas vernehmen können, muss der Geist erst einmal zur Ruhe kommen. Yogas Chitta Vrtti Nirodha: Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Gedanken im Geist, so Pantanjali weiter. Die Praktiken des Yoga helfen uns dabei.
Asana, Pranayama und besonders die Meditation helfen uns, den Fokus nach innen zu lenken und den Geist zur Ruhe kommen zu lassen. Dann können wir erkennen, dass wir nicht unser Körper, unsere Gedanken oder Gefühle sind, und können die Identifikation mit ihnen auflösen. Wir sind etwas, das viel tiefer liegt. Wir sind Purusha, absolutes und reines Bewusstsein. Es ist unvergänglich, grenzenlos, rein und unerschütterlich. Dir deine göttliche Natur immer wieder bewusst zu machen, wird dir helfen, Selbstliebe zu kultivieren.
Je tiefer du dich mit deiner göttlichen Essenz verbindest, umso mehr denkst und handelst du von einem Ort der Liebe aus, nicht der Angst. Du wirst feststellen oder hast vielleicht schon beobachtet, dass sich die Beziehung zu deiner gesamten Umwelt fundamental verändert, sobald du den Blick nach innen richtest und Liebe, Anerkennung und Freude nicht mehr in anderen Personen oder Situationen suchst, sondern in dir selbst.
Die Identifikation mit dem Ego auflösen
Während du die Essenz deines Wesens mehr und mehr verinnerlichst, löst sich allmählich die Identifikation mit deinem Ego, Ahamkara, auf. Alle Angriffe von Personen, die immer nur auf dein Ego abzielen können, können dir dann gleichgültig sein, denn du bist nicht dein Körper, deine Gedanken oder Gefühle. Du bist unantastbar.
Angriffe auf deine Person können als ein Ausdruck mangelnder Selbsterkenntnis deines Gegenübers betrachtet werden. Wenn du das erkannt hast, nimmst du so schnell nichts mehr persönlich. Du kannst einem Angreifer mit Verständnis und Mitgefühl begegnen. Gelassenheit und Milde stellen sich ein.
Die Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen
Lassen wir jetzt das Licht der Achtsamkeit auf unsere Gefühle leuchten, denn sie sind in Bezug auf Beziehungen von großer Bedeutung. „Du bist schuld, dass ich so wütend bin“, „Deinetwegen bin ich traurig“, aber auch „Du machst mich glücklich“. Wie oft hast du solche Sätze schon gehört? Unsere Umgangssprache spiegelt deutlich wider, dass wir die Verantwortung für unsere Gefühle abgegeben haben. Doch auch Gefühle entstehen in unserem Innern und somit liegen sie in unserem Verantwortungsbereich. Niemand kann dir ein Gefühl geben, sondern es lediglich in dir auslösen. Du selbst entscheidest, wie du mit jedem Gefühl umgehen willst.
Der Yoga hilft uns, Gefühle zu identifizieren, und lehrt uns den Umgang mit ihnen. Sie sind im Grunde nichts anderes als Energien, die unseren Geist beschäftigen. Das englische Wort e-motion macht es ganz anschaulich: Gefühle sind energy in motion, also Energie in Bewegung. Besonders durch Meditationsübungen kannst du dich schulen, Gefühle als solche Energien zu identifizieren. Du trittst in die Rolle des Beobachters. Und alles, was du beobachten kannst, kannst du logischerweise nicht sein. Nur du selbst kannst dich glücklich oder unglücklich machen, nämlich durch die Art und Weise, wie du Situationen und Dinge betrachtest und wie du die Gefühle, die in dir geboren werden, mit dir in Bezug setzt. Auch dein Gegenüber ist stets selbst verantwortlich für seine Gefühle. Was für eine befreiende Erkenntnis!
Loslassen, was man nicht mehr braucht
Im Yoga geht es darum, sich von irreführenden Vorstellungen zu lösen. Spirituelle Ent-wicklung bedeutet, durch das Entwirren und Lösen festsitzende Muster auf dem Yogaweg voranzuschreiten. Das gilt auch für Beziehungen.
Toxische Beziehungen sind wahre Energieräuber. Wir verheddern uns schnell in zwischenmenschlichen Dramen, gestrickt aus Werturteilen, Vorwürfen oder Forderungen, wenn das Ego regiert. Mit Achtsamkeit können wir Muster erkennen, die wir vielleicht unbewusst immer wieder anwenden, oder auch solche, die Menschen auf uns projizieren. Vielleicht kannst du diese in einem offenen Gespräch thematisieren und ent-wickeln. Sich von Menschen, die dir immer wieder Energie rauben, zu distanzieren, bedeutet nicht, dass du sie nicht mehr liebst. Es bedeutet vielmehr, dass du deine Grenzen und dich selbst ehrst.
Die Einheit hinter allem Sein erkennen
Treten wir noch einen Schritt hinter unsere individuellen Beziehungen und schauen uns das große Ganze des Yoga an, dann entsteht noch einmal ein anderes Bild im kosmischen Gesamtzusammenhang. Deine Essenz, dein göttlicher Funke, ist verbunden mit allem, was dich umgibt – mit allen Menschen, Tieren, der Natur, dem gesamten Universum. Sobald du das verinnerlicht hast, entwickelt sich ein neuer Blick auf alle deine Beziehungen.
Wenn du dein Gegenüber als Teil deiner selbst betrachtest, wie könntest du ihm dann jemals schaden wollen? Du wirst deine Mitmenschen nicht als Konkurrenten oder Feinde betrachten, sondern immer nur das Beste für sie wollen. Indem du deinem Gegenüber Gutes tust, tust du dir selbst etwas Gutes.
In jedem achtsamen Moment trägst du ein Stück weit dazu bei, die Verbindung, die zwischen uns allen besteht, zum Vorschein zu bringen. Blicke bewusst in den Spiegel. Setze dich achtsam in Bezug. Es gibt etwas Wundervolles zu sehen: dich selbst.