Shiva weiß das Leben in vollen Zügen zu genießen und lebt uns in den Mythen Erotik und Genuss ebenso wie Askese vor. Doch wie kann man genießen, ohne anzuhaften und ohne die innere Ausgeglichenheit zu verlieren?
Unter den Asketen ist Shiva der Freigeist, und unter den Freigeistern ist er ein Asket. Herrscht exzessives Verhalten, ist Shiva die Kontrollinstanz. Dominiert Lethargie, wird Shiva besonders aktiv. Er ist der Mediator, der Gegensätze überwindet und damit omnipräsent wird.
Yoga und Genuss sind seit dem Tantrismus ein unzertrennliches Paar. Manchmal ist das in der eigenen Yogapraxis nicht selbstverständlich, weil wir uns selbst im Weg stehen. Bryan Kest sagt: „Don’t bring your shit into yoga and turn yoga into shit.“ Gemeint ist, dass wir mit unserem Alltagsbewusstsein zum Yoga kommen und Gedanken wie „Ich muss stark sein, mich anstrengen und Fortschritte machen …“ mit auf die Yogamatte nehmen. Solch eine unromatische Zweckbeziehung mit unserem Körper führt letztlich zu Taubheit gegenüber unseren inneren Empfindungen. Wir trällern mit One Republic „Everything that kills me makes me feel alive“, weil wir den Kampf gegen uns selbst brauchen, um uns zu spüren.
Der indischen Philosophie ging es hingegen niemals um Kampf, sondern um das süße Spiel des Lebens, auf Sanskrit kurz Lila. Lila bedeutet auch Scherz – vielleicht weil keiner die Regeln kennt. Sie sind im Grunde auch egal, solange man mitmacht und nichts zu ernst nimmt. Eine Lila-Regel für Yoga ist klar: Mit Hingabe und Leichtigkeit in den ganzheitlichen Prozess einzutauchen, ist oberstes Gebot. Selbstkasteiung ist schon seit dem Tantrismus retro.
Tantrismus: Yoga und der Genuss sind eine Einheit!
In der tantrischen Blüte um 600 n. Ch. hielt der Genuss Einzug in den Yoga. Zuvor übten sich Yogis in Askese und unterdrückten sinnliches Vergnügen. Diese Revolution veränderte ihr Weltbild. Der Wunsch nach Weltflucht wurde obsolet, die Erde plötzlich zur Stätte des Genusses (Sanskrit: Bhogaloka) und der Körper zum Tempel. Ohne diese Wende würde es Asanas und Hatha-Yoga in ihrer heutigen Form nicht geben. Zuvor wurde der Körper lediglich als Quelle von Schmerz und als Hürde zur Erleuchtung betrachtet. Nun war er Heimat für vergnügliches Abenteuer und ein Instrument zur Selbstfindung.
Was hat Shiva mit alldem zu tun?
Shiva ist der Lümmel unter den Göttern […]