Wenn uns der Atem verlässt, kommt der Tod. Bis dahin ist jeder Atemzug ein Geschenk – das Geschenk des Lebens selbst.
Nicht noch einmal!“ schrie Nataly, die Tochter meines Lebensgefährten, die am Bett ihres sterbenden Vaters gewacht hatte. Jäh riss mich dieser Satz aus dem Schlaf. Ich schaute Masahiro an. In dem Moment tat er seinen letzten Atemzug. Danach war es still. Totenstill. Drei Stunden lang hatte er geröchelt, gegurgelt, geatmet, nach Luft gerungen. Ich selbst hatte diesen leidvollen Todeskampf verschlafen. Nach dreitägiger Nachtwache im Zimmer eines Münchener Krankenhauses hatte das freundliche Personal mir ein Bett in Masahiros Zimmer gestellt. Ich wollte ihn nicht mehr alleine lassen. Jeden einzelnen Atemzug mit ihm teilen. Solange es möglich war. Kaum hatte ich mich hingelegt, war ich in eine Art komatösen Kurzschlaf gefallen. Eben bis zu diesem letzten Atemzug.
Nie wieder
Jahrelang hatte ich Masahiros Atem geliebt und nichts lieber auf der Welt gelauscht: in Nächten, in denen ich nicht schlafen konnte, sein regelmäßiger, kaum hörbarer Atem mich aber beruhigt hatte – oder aber in solchen Nächten, in denen wir nicht schlafen wollten und sein Atem mich beseelt hatte. Das war jetzt für immer vorbei. Nie wieder würde ich ihn spüren oder hören. Nie wieder. Diese Erkenntnis schoss mir durch den Kopf und traf mich mitten ins Herz. Unmittelbar nach diesem letzten Atemzug.
Im Jahr zuvor, an wunderschönen goldenen Herbsttagen, war er aus für uns unerklärlichen Gründen müde und atemlos geworden und war nicht dazu zu bewegen, in die Natur zu gehen. Den folgenden nasskalten Winter verschlief er weitgehend. Dann, als der Frühling kam, brach er in der Küche zusammen, und wir erhielten eine Diagnose, die uns beiden den Atem verschlug: Lungenkrebs mit bösartigen Metastasen im Stammhirn.
Leben im Angesicht des Todes
„Scheiß-Zigaretten!“ hatte er zwei Tage zuvor noch gesagt und dabei kopfschüttelnd am Bettrand gesessen. So, als hätte er zum ersten Mal verstanden, dass Rauchen unserer Lunge schadet und tödlich sein kann. Ganz langsam, zuerst unmerklich, aber dann immer schneller hatte der Krebs sich durch seine Alveolen gefressen. Unmerklich war der Tumor in der Lunge größer geworden, Masahiro immer schmaler. Und von Tag zu Tag ging ihm die Luft mehr aus. Seit dem Tag der Diagnose war jeder einzelne Atemzug, […]