Der Tod gehört untrennbar zum Leben dazu. Was er uns lehrt, welche Fragen er aufwirft und wie er uns oft mitten im Leben begegnet
Ein Strand in Kerala zählte für mich in den 1980er Jahren zu den schönsten Stränden Indiens und war einer der wunderbarsten, die ich bis dahin überhaupt gesehen hatte. Ganze vier Wochen verbrachten wir dort. Dieser Ort glich meiner Ansicht nach einem Paradies. Zeit und Raum verloren hier genauso an Gültigkeit wie Sorgen und Ängste. Hier waren wir ganz im Augenblick versunken und sehnten uns nach nichts. Aber an einem Tag wurde das Paradies plötzlich zur Hölle: Ein junger, gutaussehender Mann stand neben mir und wollte genauso wie ich ein erfrischendes Bad in den hohen Wellen nehmen. Er strahlte mich an und sagte: „Ist es nicht einfach wunderschön hier?“ Danach sprang er in den Ozean. Ein Freund folgte ihm, und sie schwammen ein Stück aufs offene Meer hinaus. Einige Minuten später war der junge Mann tot. Die Strömung hatte ihn mitgenommen. Er ertrank. Von einem Moment auf den anderen wurde aus unserem kleinen Paradies ein Ort des Schreckens. Gerade hier, wo ich mich so geborgen gefühlt hatte, im Schoß dieser malerischen Natur, wo uns das Leben so sorglos vorgekommen war, begegnete mir der Tod zum ersten Mal persönlich. Wie nie zuvor wurde mir bewusst, dass uns der Tod jeden Moment und überall begegnen kann – auch im Paradies. Bislang hatte ich solch idyllische Landschaften nicht mit ihm in Verbindung gebracht. Von der Vorstellung, dass an Traumstränden nicht gestorben wird, musste ich jetzt loslassen. Der Tod kommt, wann er will, und er holt sich, wen er will.
Leben und Tod als Elemente desselben Zyklus
In den folgenden Jahren begegnete mir der Tod immer wieder, und immer wieder tauchten in mir Fragen auf: „Warum stirbt ein junger Mensch, der das ganze Leben noch vor sich hat? Und warum muss sich ein anderer Mensch lange quälen und stirbt vielleicht erst mit 90 Jahren?“ „Was stirbt?“ und „Wovon hängt ab, wie wir sterben?“. Antworten auf diese existenziellen Fragen kann nur jeder Mensch für sich selbst finden. Vorstellungen über ein gutes und schlechtes bzw. ein gerechtes oder ungerechtes Leben und den entsprechenden Tod sind wahrscheinlich ebenso vielfältig wie die verschiedenen Vorstellungen […]