Teil 2 – Das Gayatri-Mantra und sein größerer Kontext: erhellende Auszüge aus dem Shukla-Yajur-Veda.
Om bhur bhuvah svah
Tat-savitur varen(i)yam,
bhargo devasya dhimahi
dhiyo yo nah prachodayat
OM, materielle Welt, Astralwelt, Lichtwelt.
Lasst uns über jene (transzendente) höchst begehrenswerte Lichtenergie der göttlichen schöpferischen Sonne meditieren, die unsere (intuitiven) Gedanken inspirieren soll.
In Teil 1 dieser Serie über das Gayatri-Mantra lag das Augenmerk auf der mit ihm verbundenen Göttin und der Natur des Sonnengottes sowie auf der das Mantra einleitenden Invokation „OM Bhur Bhuvah Svah”. In Verbindung mit dem siebenfachen Geflecht des Seins wurde sichtbar, dass sich die drei Anrufungen „Bhur Bhuvah Svah” sowohl auf die drei objektiven Welten Erde, Zwischenwelt und Himmel (bzw. materielle Welt, Astralwelt, Lichtwelt) als auch auf unsere subjektiv erfahrene dreifache Existenz von Körper, Lebensenergie und Denkwesen beziehen. Die Sonne selbst wurde jedoch mit der diese drei Welten übersteigenden überbewussten Ebene von „Mahas“, der Kausalwelt, und mit Sri Aurobindos „supra-mentalem Wahrheits-Bewusstsein“ identifiziert. Diese mehr psychologische Interpretation von „Bhur Bhuvah Svah“ und „Mahas“ entspricht meines Erachtens auch besser dem im Gayatri-Mantra zum Ausdruck gebrachten Wunsch an den Sonnengott, „seine Lichtenergie möge unsere intuitiven Gedanken inspirieren“.
Das Wort „dhiyo“ (= dhiyah, die Pluralform von dhi), das ich als „intuitive Gedanken übersetze, wird heutzutage meist mit Intellekt oder dem Sanskrit-Begriff Buddhi gleichgesetzt. Interessanterweise kann sich der Begriff Buddhi, genauso wie das Vedische Dhi, auf zwei unterschiedliche Ebenen des Gewahrseins beziehen; nämlich, nach außen gewandt, auf die sinnesbezogene Mentalität und, nach innen bzw. oben gewandt, auf das Licht des reinen Denkens. Sri Aurobindo beschreibt Dhi (von den Sehern auch als Göttin angeredet) als das Vedische Wort für das Verstehen (understanding) und übersetzt es wörtlich als „das, was empfängt und an seinem Platz hält“. Er betont gleichzeitig, dass sich die Pluralform jedoch mehr allgemein auf die Gedanken bezieht, gewissermaßen auf die einzelnen Inhalte, die unser Verstehen ausmachen. (Ich habe in Teil 8 meiner Veda-Serie, in YOGA AKTUELL Nr. 58, noch mehr über Dhi als Lichthalter und Ursprung der höheren Intuition geschrieben.) Dabei gilt es auch zu bedenken, dass der Veda – und daher auch seine Begriffe – aus einer früheren Kulturepoche als jener der rationalen Vernunft stammt. […]