Eine neue Serie über die mystisch empfangenen Texte, die sich an die vedischen Samhitas anschließen – diesmal: Was sind die Upanishaden?
Yoga wurzelt in den Upanishaden, Indiens ältesten Weisheitsschriften. Niemand kann sagen, wann diese Urtexte der spirituellen Philosophie und Praxis entstanden sind oder wer sie verfasst hat. (Der Autor Roberto Calasso schrieb deshalb einmal, es lasse sich kaum etwas Frustrierenderes denken als die indische Geschichte. „Nirgendwo ein fester Grund. Daten und Fakten stets ungewiss. Hier schwanken die Jahrhunderte wie anderswo die Monate.“)
„Verfasst“ ist eigentlich auch nicht das richtige Wort im Blick auf diese alten Texte, denn die Upanishaden sind nicht menschlichem Denken entsprungen, sondern gelten als Botschaften des Höchsten oder Brahman – wenn man so will: als Offenbarungen. Man nennt sie deshalb auch Shruti, das bedeutet „gehört“. Namenlose Weise oder Rshis sollen diese Botschaften vor tausenden von Jahren im Zustand tiefster Meditation empfangen haben. Es heißt, die Upa-nishaden brächten ewig gültige Wahrheiten zum Ausdruck – philosophia perennis –, die den Menschen am Beginn eines jeden neuen Zeitalters aufs Neue überbracht würden.
„Alles kommt aus mir. Alles ist in mir.
Und alles kehrt zu mir zurück.
Ich bin Brahman – das Eine ohne ein Zweites.“
(Kaivalya-Upanishad)
Im Gegensatz dazu sind Texte wie das Yogasutra oder die Bhagavad-Gita und alle anderen spirituellen Texte Indiens lediglich Smrti oder „erinnert“. Das will sagen, dass sie dem menschlichen, nicht aber eben dem unmittelbar „göttlichen“ Geist entstammen. Und so tragen sie auch, anders als die Upanishaden, die Namen von Autoren. Die Upanishaden sind nicht nur die Wurzel des Yoga, sondern haben einen tiefgreifenden Einfluss auf alle spirituellen Strömungen Indiens ausgeübt und unzählige Menschen in aller Welt inspiriert. Der bekannte deutsche Philosoph Schopenhauer (1788–1860) nannte sie einmal die erhebendste Lektüre, die überhaupt vorstellbar sei.
Die Upanishaden als Abschluss und Höhepunkt der Veden
Wenn ein spiritueller Text in Indien als autoritativ gelten will, darf er den Aussagen der Upanishaden nicht widersprechen. Er kann sie erweitern, erklären, auslegen und anders formulieren, sich aber nicht in einen inhaltlichen oder logischen Gegensatz zu ihnen bringen. Wo es dennoch geschieht, ist eine solcher Text nicht mehr astika, bejahend, sondern nastika, verneinend. Buddha und Mahavir waren Menschen, die „Nein!“ zu manchen Aussagen der Upanishaden sagten, […]