Teil 1: Lopamudra – ein Portrait
Göttinnen, Rshikas, Hexen und Yoginis – es gibt sie, die Frauen in der Geschichte des Yoga! Unwahrscheinlich ist, dass die Frauen vor mehr als dreitausend Jahren 90 % der Yogapraktizierenden darstellten, so wie heute in Deutschland,1 aber sie waren da. Die Geschichte des Yoga ist nicht nur männlich, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht. Das, was wir heute über den Yoga wissen, stammt überwiegend aus Texten, die von Männern für Männer geschrieben wurden. Doch diese Texte sind keine unmittelbare Dokumentation der Realität. Sie sind geprägt von der Sichtweise derer, die sie geschrieben haben. Also heißt es zwischen den Zeilen lesen und Spuren suchen, die in Stein gemeißelt, in heiligen Schriften, in Erzählungen und oft mündlich überliefert wurden, in Liedern und Malerei zu finden sind.
Indien ist für mich ein Land der Widersprüche, des Sowohl-als-Auch. So führt auch diese Spurensuche zu spannenden Entdeckungen: starke Frauen, die mit Mut und Intelligenz philosophische Debatten führten, die verehrt und verfolgt wurden. Die einfach ganz eigene Wege gingen, als Asketinnen, Dichterinnen, Mystikerinnen und Gurvis. Die Frau oder Göttin, Yogini, Sadhika oder Asketin oder alles in einem waren. Die bescheiden und den Vorschriften der (patriarchalen) Gesellschaft entsprechend als stille Hausfrau lebten oder ein selbstbestimmtes Leben gegen jede Konvention führten.
Was verbindet sie, die so unterschiedlich waren? Und was verbindet uns als moderne, yogapraktizierende Frauen und Männer mit ihnen? Vielleicht die Sehnsucht, das zu finden und zu leben, was sie als höchste Wahrheit für sich erkannt hatten – das Streben nach innerer Freiheit und die Überwindung von Leid und Trennung, das Aufgehen im höchsten Bewusstsein, oft verkörpert als Gott oder Göttin. Eine Sehnsucht, die vielleicht so alt wie die Menschheit ist.
In einer Folge von Portraits stelle ich eine Auswahl dieser Frauen vor.
Meine persönliche Intention für die Spurensuche ist eine Kombination aus dem Wunsch nach wahrem Wissen, authentischen Vorbildern, nach Inspiration und nach Respekt vor der Tradition, die auch weiblich ist.
Die Rshika Lopamudra
Eine Rshika ist eine weise Frau oder Seherin, eine vedische Gelehrte und eine Frau, der vedische Hymnen offenbart wurden. Wir gehen hier weit zurück in der Zeit, in die so genannte vedische Zeit.
Die vedische Epoche wird in die Zeit um 1500 bis 1000 v. Chr. […]