Der amerikanische Autor Michael A. Singer hat eine bemerkenswerte Lebensgeschichte, in der Hingabe an den Fluss des Lebens und rückhaltloses Vertrauen in dessen Fügungen eine essenzielle Rolle spielen.
Wer von einem Yogi spricht, hat oft dieses eine Bild vor Augen, das sich in den Köpfen festgesetzt hat und bereits zur Karikatur verkommen ist, so dass man es manchmal auch in Witzzeichnungen sieht: Ein spärlich bekleideter Asket sitzt vor einer abgelegenen Felsenhöhle im Himalaya und übt sich in Versenkung. Geografisch etwas näher angesiedelt, ist der typische Yogi vielleicht ein Übender, der die Praxis der Asanas in einem der zahlreichen Yogastudios mit Eifer betreibt und seine Glieder spektakulär zu verknoten weiß.
Michael A. Singer entspricht weder diesem noch jenem Bild, und doch trifft die Beschreibung „Yogi“ auf ihn zu wie sonst nur auf wenige Menschen im Westen. Der amerikanische Autor zweier einflussreicher spiritueller Bücher unterzog sich in jungen Jahren zwar einer rigorosen Meditationspraxis, doch seine spirituelle Suche führte ihn weder in den Orient, noch legte er sich bei seiner Sadhana einen besonders gelenkigen Körper zu. Singers „Höhle“ liegt in einem abgelegenen Stück Wald, nicht weit von Gainsville, Florida, wo er in den 1950er Jahren aufgewachsen war. Ihm reichten eine frühe Erkenntnis und die Anregungen, die er zwei spirituellen Büchern entnahm. Alles Weitere ergab sich für ihn wie von alleine.
Singer war noch Student der Wirtschaftswissenschaften, saß mit einem Freund auf einer Couch im Wohnzimmer und folgte einer angeregten Unterhaltung, als es in seinem Kopf zu einem folgenschweren Unterbruch kam. In einer Lücke zwischen zwei Sätzen wurde ihm schlagartig bewusst, wie es gleichsam aus dem Nichts heraus unablässig in ihm dachte und wie sehr er sich mit dem Fluss seiner Gedanken identifizierte. Diese Einsicht verwunderte ihn nachhaltig. Wenn er nun nicht seine Gedanken war, so musste es in ihm noch etwas anderes geben. Dieser anderen Instanz würde er Raum verschaffen, sobald es ihm gelänge, seine Gedanken abzustellen.
Das, so musste er bald feststellen, ist leichter gedacht als getan. Doch als ihm eine Ausgabe von Philip Kapleaus frühem Klassiker Die drei Pfeiler des Zen in die Hände fiel, stürzte er sich auf die darin beschriebenen Anleitungen und begann zu meditieren. Es funktionierte – in einem Maß, das er selbst nicht für möglich gehalten […]