Nils Jacob Liersch ist Indologe, Religionswissenschaftler und Yogi. Im YOGA-AKTUELL-Interview erzählt er von seiner philologischen Arbeit mit den alten Quelltexten und von den spannenden Einblicken in wenig bekannte Yogapraktiken, die er dadurch gewann.
Wie relevant sind jahrhundertealte Yogapraktiken noch für moderne Yogis? Kann man durch Atemübungen tatsächlich körperliche Unsterblichkeit erlangen? Wer hat diese alten Schriften eigentlich verfasst, und welche Fehler entstanden durch ihre Übertragungen? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich der Indologe und Religionswissenschaftler Nils Jacob Liersch, der auch langjährig praktizierender Yogi ist und zudem das Ashtanga Yoga Institut in Heidelberg leitet. Mit großer Begeisterung und viel Hingabe erforscht und lehrt er ungewöhnliche Praktiken und unbekannte Yogas aus den Amrtasiddhi-, Gorakshayogashastra– und Tattvabinduyoga-Schriften, über die er uns in diesem Interview mehr erzählt.
Interview
YOGA AKTUELL: Nils, bitte stell dich kurz vor: Was genau machst du in deiner Arbeit als Indologe?
Nils Jacob Liersch: Ich habe zehn Jahre lang in Heidelberg klassische Indologie und Religionswissenschaft studiert und meine Zeit vor allen Dingen damit verbracht, Sanskrit zu lernen. Im Laufe der Jahre habe ich mich allerdings immer weiter auf das Thema Yogastudien spezialisiert. Mittlerweile schreibe ich meine Doktorarbeit in Marburg unter Professor Dr. Jürgen Hanneder, weil ich mich insbesondere für die philologische Arbeit in der Indologie interessiere, d.h wir erforschen alte Handschriften. Dr. Hanneder ist einer der Top-Experten, was Sanskrit-Texte angeht.
Du erforschst alte Handschriften? Wie kann ich mir das vorstellen?
Ja, ich war sehr fasziniert von dem Hatha-Yoga-Projekt, das dieses Jahr zu Ende gegangen ist. Darin wurden zehn kritische Editionen von bisher größtenteils uneditierten Texten des frühen Hatha-Yoga erstellt. Die Arbeit hat mich schon als Bachelor-Student begeistert, und somit wollte ich das auch angehen. Ich habe dann tatsächlich einen uneditierten frühen Hatha-Yoga-Text aus Nepal gefunden, das Gorakshayogashastra. Dieser Text hat mich mit den Forschern aus dem Hatha-Yoga-Projekt zusammengebracht, weil sich herausstellte, dass er sehr viel mit dem großen Aufhänger des Projekts, der Amrtasiddhi, zu tun hat.
Die Amrtasiddhi gilt ja mittlerweile als der älteste Text des Hatha-Yoga, obwohl der Begriff darin überhaupt nicht fällt. Trotzdem lehrt sie die charakteristischsten Techniken, nämlich die Mudras und Bandhas, die Hatha-Yoga von anderen Yogas abheben. Es ist eine spannende Yogatechnik darin, die auch von meinem Text adaptiert wird, bzw. sind das drei […]