Was heißt „yogisch“, und was „tantrisch“? Bedeutet yogisch Disziplin und Entsagung, und tantrisch Zügellosigkeit und Sinnenfreude? Wie unterscheidet sich eine yogische von einer tantrischen Meditationspraxis, und wie können sie in den Alltag integriert werden?
Der traditionelle Hatha-Yoga, aus dem die ständig wachsende Vielfalt der modernen Yogastile hervorgegangen ist, stellt bereits in seiner ursprünglichen indischen Variante eine Verschmelzung yogischer und tantrischer Praktiken und Vorstellungen dar. Um ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszustellen, wollen wir zunächst einen kurzen Blick auf die historische Entwicklung des Hatha-Yoga und auf seine ursprüngliche Zielstellung werfen. Die ältesten erhaltenen Texte dieser ehemals mündlich vom Lehrer an den Schüler weitergegebenen Tradition gehen etwa auf das 8. bis 10. nachchristliche Jahrhundert zurück. Im Wesentlichen haben drei Hauptquellen die Übungspraxis des Hatha-Yoga und das ihr zugrundeliegende philosophische Weltbild gespeist: das Yogasutra des Patanjali (ca. 2. Jh. n.Chr.), die tantrischen Traditionen, die sich hauptsächlich im 2. bis 8. Jahrhundert herausgebildet haben, und schließlich die Philosophie des Advaita-Vedanta in der Interpretation des Shankara (8./9. Jh. n.Chr.).
Dann ist da niemand mehr, der meditiert – also etwas ‚tut‘ -, und es bleibt eine sich immer weiter vertiefende und sich ausdehnende Stille übrig, in der sich der vom ichhaften Denken befreite Praktizierende zugleich als leer und erfüllt erfährt.
Hierbei geht die Praxis der Atemkontrolle (Pranayama) und der meditativen Versenkung (Samadhi) auf den im Yogasutra gelehrten achtgliedrigen Pfad zurück. Die Techniken zur Erweckung der Kundalini genannten mystischen „Schlangenkraft“ wurden von Tantrikern entwickelt, ebenso das Wissen um das damit in Verbindung stehende feinstoffliche Energiesystem mit seinen Kanälen (Nadis) und Wirbeln (Chakras). Insbesondere zwei Verse der Hatha-Yoga-Pradipika, in denen eine Technik für Paare namens Sahajoli gelehrt wird, bezeugen den starken tantrischen Einfluss im ursprünglichen Hatha-Yoga (siehe HYP 3.93–94). Die Lehre von der Einheit von Individualseele (Jivatman) und Allseele (Paramatman) und dem als Brahman bezeichneten absoluten Urgrund aller Dinge wurde aus dem Advaita-Vedanta übernommen.
Kehren wir zu unserer Ausgangsfrage zurück: Was bedeutet „yogisch“, und was „tantrisch“? Zunächst bestehen die Unterschiede in der Art der praktizierten (und, im Gegensatz dazu, den als untauglich verworfenen) Methoden und dem philosophischen Weltbild oder „Erklärungsmodell“, in welches diese eingebettet sind.
Meditationstechniken im Yoga und Tantra
Unter den Meditationstechniken lassen sich zwei Grundtypen unterscheiden, die zwar zum selben Ziel führen, aber in entgegengesetzter […]