Mit unserer Geburt atmet das Universum uns aus. Und mit dem Tod atmet das Universum uns wieder ein. Dazwischen haben wir die Möglichkeit, viele bewusste Atemzüge zu machen, die uns mit unserem Körper verbinden, aber auch unser kleines Ich mit unserem höheren Selbst zusammenführen. Hier erfährst du, wie dies möglich ist.
„Pranayama schenkt dir die Macht zu fliegen.
Pranayama macht dich gesund.
Es macht den Geist still und mächtig,
und du erfährst Glückseligkeit.
Es ist wahr, wer Pranayama übt,
wird ein glücklicher Mensch.“
Gheranda Samhita, Yogaschrift aus dem 17. Jahrhundert
Als ich vor vielen Jahren das erste Mal bewusst mit dem Atem arbeitete, hatte ich das Gefühl, als würde sich mir eine andere, bisher unbekannte Welt auftun. Einige Atemtechniken brachten mich mit wenig bekannten Tiefen meines Selbst in Kontakt und andere Atemübungen katapultierten mich in bis dahin unbekannte Höhen des Universums. Obwohl ich von dem Moment an, als ich auf diese Welt kam, geatmet hatte, schien ich während der ersten Atemsitzungen die Kraft des Atems zum ersten Mal bewusst zu spüren. Mit einem Mal realisierte ich, wie eng die Verbindung zwischen Atem, Körper, Seele und Gott ist!
Seitdem habe ich viele Abertausende Mal bewusst geatmet. Und immer wieder aufs Neue habe ich erfahren, wie nah wir unbewussten Aspekten durch tiefe und bewusste Atemzüge kommen können und unmittelbar mit physischen Blockaden in Kontakt kommen, wenn wir uns auf unsere Atmung konzentrieren.
Seit dieser ersten Atemsitzung ist der Atem für mich nicht mehr nur noch ein reiner Sauerstofflieferant, sondern ein Vehikel, das mir immer wieder hilft, mich mit mir selbst, verschiedenen Bewusstseinsebenen jenseits meines Alltagsbewusstseins und dem Leben zu verbinden. Und immer wieder bin ich aufs Neue beeindruckt, wie unmittelbar sich unsere Wahrnehmung durch einige tiefe und bewusste Atemzüge verändern kann.
In den letzten Wochen habe ich mich wieder aufs Neue in die Arbeit mit dem Atem verliebt. Auslöser waren verschiedene Atemübungen, die Vilas Turkse in den Ausgaben 105 und 106 von YOGA AKTUELL vorstellte sowie das Buch Pranayama: Die heilende Kraft des Atems von Ralph Skuban.
Ich habe mich von beiden Lehrern inspirieren lassen und eine Übungssequenz zusammengestellt, die den eigenen Körper auf wunderschöne, sanfte Weise als Atemraum erfahrbar macht.
Ankommen im Atem
- Komm zuerst auf deiner Yogamatte bzw. auf deinem Stuhl oder deinem Meditationskissen an.
- Nimm nach Möglichkeit eine aufrechte Sitzhaltung ein, schließ – wenn es dir möglich ist – die Augen und geh mit deiner Aufmerksamkeit zu deiner Atmung.
- Nimm deinen Atem wahr, ohne ihn zu verändern:
Den Beginn, die Mitte und das Ende der Einatmung.
Die Pause zwischen Ein- und Ausatmung.
Den Beginn, die Mitte und das Ende der Ausatmung.
Die Pause zwischen Aus- und Einatmung. - Lass dir Zeit, den Atem wirklich ganz bewusst wahrzunehmen.
- Nimm dir innerlich den Raum, den Atem da sein zu lassen.
(Häufig haben wir die Tendenz, über den inneren Raum hinwegzugehen). - Geh in Beziehung zu deinem Atem.
- Lass zu, dass der Atem dir eine Geschichte erzählt.
- Öffne dich für ihn.
- Verweile so ein paar Minuten und komm mit jedem Atemzug mehr in der Wahrnehmung und Beobachtung des eigenen Atems an.
4-Punkte-Atmung
Bei der folgenden Übung richtest du deine Aufmerksamkeit nach und nach auf folgende Bereiche: Nase, Rachen, Brustkorb und Bauchdecke.
1. Den Luftstrom in der Nasenöffnung erfahren
Geh mit deiner Aufmerksamkeit zu den Nasenflügeln und nimm deine Nase wahr. Spüre den Luftstrom im Innern der Nase und nimm den Unterschied zwischen Ein- und Ausatmung wahr. Verweile ganz bewusst ca. eine Minute hier.
2. Den Luftstrom im Rachen erleben
Nimm als nächstes wahr, wie der Luftstrom in den Rachen einmündet. Es erfordert anfangs etwas mehr Konzentration, sich auf diesen Bereich auszurichten, aber mit der Zeit wirst du deine Aufmerksamkeit hier besser halten können. Verweile auch hier ca. eine Minute.
3. Das Heben und Senken des Brustkorbs wahrnehmen
Geh jetzt mit deiner Aufmerksamkeit zum Brustkorb und nimm wahr, wie sich der Brustkorb bei der Einatmung hebt und ausatmend wieder senkt. Hier sollte deine Aufmerksamkeit ebenfalls eine Minute verweilen.
4. Das Heben und Senken der Bauchdecke spüren
Jetzt gehst du mit deiner Aufmerksamkeit zum Bauchraum. Verweile hier ebenfalls eine Minute mit deiner Präsenz. Nimm wahr, wie sich die Bauchdecke hebt und wieder senkt, während du atmest.
Die vier Punkte miteinander verbinden
Lös dann deine Aufmerksamkeit von der Bauchdecke und richte nun für 3 bis 5 Minuten deine Aufmerksamkeit auf alle vier Bereiche gleichzeitig.
3-Bereiche-Atmung
Bei der nächsten Atemübung nimmst du wahr, wie der Atem verschiedene Bereiche deines Körpers durchströmt.
1. Seite: Atme in beide Seiten deines Körpers gleichzeitig von der Hüfte bis zur Achselhöhle ein und passiv wieder aus. Wiederhole diese Atmung einige Male.
2. Hinten: Atme dann von deinem Kreuzbein hoch bis zum Schultergürtel. Wiederhole diese Atmung ebenfalls einige Male.
3. Vorne: Atme von den Leisten bis zum Schlüsselbein hinauf bewusst ein und passiv wieder aus. Wiederhole diese bewusste Atmung ebenfalls einige Male und mach dir bewusst, was für ein großes Geschenk es ist, deinen eigenen Körper als Atemraum erleben zu dürfen.
2-Bereiche-Atmung
Jetzt geht es darum, den Atemraum von hinten nach vorne zu verbinden. Es heißt, dass die Rückseite des Körpers für das höhere Selbst steht und die Vorderseite für das kleine Ich. Über diese Atmung können wir unser kleines Ich also mit dem großen Selbst verbinden.
- Atme auf der Rückseite deines Körpers ein und führe den Atem über die Seiten zur Vorderseite deines Körpers.
- Atme in dieser Weise einige Male bewusst ein und aus und stell dir vor, dass du so dein höheres Selbst und dein kleines Ich miteinander verbindest.
1-Punkt-Atmung
Bei der letzten Übung legst du deine Hände ganz bewusst auf deine Nieren. Du kannst sie zuerst mit geballten Fäusten ganz sanft klopfen. In der Traditionellen Chinesischen Medizin ordnet man den Nieren den Sitz der Lebensenergie zu.
- Einatmend hebst du deinen rechten Arm über die Seite hoch und ausatmend winkelst du ihn über den Kopf zur linken Seite an.
- Ausatmend beugst du dich zur linken Seite.
- Einatmend kommst du wieder zur Mitte zurück und wiederholst diese Übung zur rechten Seite: einatmend den linken Arm anheben, über den Kopf anwinkeln und ausatmend zur rechten Seite beugen.
- Wiederhole diesen Atemzyklus ein paar Mal zu beiden Seiten, weil auf diese Weise die Nieren durchblutet werden.
- Reib deine Hände dann einige Male aneinander, aktiviere so Selbstheilungsenergie und leg dann die Hände ganz bewusst auf deinen Rücken, dorthin, wo die Nieren liegen.
- Atme nun ganz bewusst ein paar Mal in die Nieren hinein und stell dir vor, dass du sie so mit frischer Energie versorgst.
Wenn du diese Übungen miteinander verbindest und regelmäßig machst, wirst du körperlich entspannen und auf der mentalen Ebene Gelassenheit erfahren. Darüber hinaus wirst du dein kleines Ich mit deinem höheren Selbst und nach und nach Himmel und Erde miteinander verbinden.
Viel Spaß dabei!
Zum Weiterlesen
Ralph Skuban: Pranayama: Die heilende Kraft des Atems, Aquamarin Verlag 2017