Vom Berg zum Adler: Übung im Loslassen und in der Leichtigkeit – eine stehende Jivamukti-Yoga-Sequenz
Im Yogasutra beschränkt sich Meister Patanjali im Kommentar zu Asana auf die Beschreibung der Eigenschaften, die ein Asana haben sollte, nämlich auf „sthira“ und „sukha“: sowohl fest als auch leicht. Wie der Yogi dies zu verstehen hat, wie er dieses Prinzip übend verkörpert und welche der unendlichen Interpretationsmöglichkeiten daraus erwachsen, ist je nach Tradition vom Ansatz bis zur Umsetzung unterschiedlich. Doch letztlich kann man sich darauf einigen, dass es sich, wie immer beim Üben, um körperliche, energetische und geistige Prozesse handelt, auch wenn die Wahrnehmung und Übersetzung variieren. Im Jivamukti Yoga wird betont, dass Asana, der Sitz – also die Verbindung zur Erde – eine ausgeglichene Beziehung sein soll. Nur, wenn unsere Beziehung mit dem, was uns trägt, in Balance ist, kann Einheit entstehen. Der Yogi ist per Definition jemand, der diese Einheit verkörpert. Das Üben von Asana ist eine Analogie unserer Bestrebung, ein ausgeglichenes Verhältnis in und zu dieser Welt zu finden.
Bei einer Sequenz von stehenden Haltungen sollte klar sein, dass das Prinzip der Stabilität ein grundsätzlicher Faktor für die Herangehensweise ist. Doch was stellen wir uns unter dem Attribut „stabil“ vor? Meist bedienen wir uns hier der klassischen Bilder vom „Fels in der Brandung“, der „massiven Eiche“ oder eben vom Berg – Bilder, die uns Unveränderliches, Unerschütterliches suggerieren. Eigenschaften, die auch heute als Ideal durchaus in Gebrauch sind. Denn sonst ist man das „Fähnchen im Wind“ oder wird einfach aus der Bahn geworfen. Diese Sichtweise ist jedoch für den Praktizierenden zu eindimensional. Der Yogi kennt die Kraft, die aus der Einheit der Gegensätze, durch Anerkennung der Polaritäten als Komplementäre, entsteht. Also können wirkliche Stabilität und Erdung auch nur durch ein Bewusstsein erfahren werden, dass die entsprechenden Gegensätze integriert. So ist der wirklich stabile Baum einer, der dem Wind nachgibt, der nicht starr bleibt, sondern sich mitbewegt. Wie ein flexibler Ast, der die Last des Schnees durch Nachgeben einfach abwirft, anstatt starr dagegenzustemmen und letztlich mitsamt der Last abzubrechen. So hat auch der Berg, ergo die Erde, nichts Starres – diese Wahrnehmung ist eine Momentaufnahme, welche die Bewegung und Veränderung in allem leugnet. Für den Erkennenden sind der Fels, der Berg, der […]