Wie lange praktizierst du schon Yoga? Und wie hat sich deine physische Asana-Praxis im Laufe der Jahre verändert? Oft meinen wir, dass wir nach einer gewissen Zeit kraftvolle, fordernde Posen zu meistern haben. Weil das ja schließlich den Fortschritt, das nächste Level, ausmacht. Natürlich macht es Spaß, sich in Armbalancen auszuprobieren. Aber was bedeutet eine fortgeschrittene Praxis wirklich? Dazu habe ich mit Lena Bartels, Felicia Hillebrand und Nicole Bongartz von Lord Vishnus Couch in Köln gesprochen.
Deine Asana-Praxis: Warum rollst du immer wieder deine Matte aus?
Als praktizierende Yogis durchlaufen wir in unserem Leben auf der Matte unterschiedliche Phasen. Meist sind wir zum Yoga gekommen und dabei geblieben, weil die physische Praxis uns wieder (ein Stückchen mehr!) bei uns selbst hat ankommen lassen, weil der Yoga einfach so unglaublich facettenreich ist und uns immer das schenkt, was wir gerade am meisten brauchen: körperlich, mental, emotional.
Yogash chitta vrtti nirodhah – das war auf jeden Fall für mich persönlich der Grund, der dazu beigetragen hat, dass ich immer wieder meine Matte ausgerollt habe: Yoga ist das Zur-Ruhe-Kommen des Geistes. Atmen, fließen, den Körper wahrnehmen, den Geist leerer werden lassen und im Shavasana spüren, dass ganz viel Magie und Frieden in mir liegt – der typische Yoga-Bliss eben. Auch wenn der wahre Yoga so viel mehr als die physische Praxis ist, für mich ist sie das mitunter wertvollste und kraftvollste Tool, um mich auf ganz besondere Art wieder mit mir selbst verbinden zu können – und zwar genau so, wie ich es gerade brauche: kraftvoll und fordernd, sanft und nährend, yinnig und heilsam. Und das wohl größte Geschenk ist, dass man lernt, so seine inneren Bedürfnisse um so klarer wahrzunehmen.
Was bedeutet eine „fortgeschrittene Praxis“ im Yoga?
Dieses Frühjahr durfte ich bei Lord Vishnus Couch in Köln an der Challenge „Advance your Asana Practice“ teilnehmen. Auch hier wurde deutlich, dass eine fortgeschrittene Yogapraxis viele Facetten hat: Körperlich kann ich auf eine Pose hinarbeiten und stärker im eigenen Körper werden. Auf der mentalen Ebene kann es aber vor allem mehr Akzeptanz und Gelassenheit bedeuten, und so schenkt mir eine fortgeschrittene Praxis mehr mentale Stärke und Resilienz. Und bedeutet fortgeschritten im yogischen Kontext nicht vor allem, dass es weniger um das Streben, sondern vielmehr um Bewusstsein und unser Verhalten (auch abseits der Matte) geht?
Advance your Asana Practice
Passend dazu habe ich Lena Bartels, Felicia Hillebrand und Nicole Bongartz von den Couchies interviewt, die uns durch die vierwöchige „Advance your Asana Practice“-Challenge geführt haben, die in die Kategorien Lower, Middle und Upper Body unterteilt war.
INTERVIEW mit Lena zum Lower Body
YOGA AKTUELL: Lena, was fasziniert dich am Lower Body? Siehst du ihn als Basis bzw. Foundation für eine fortgeschrittene Asana-Praxis an?
Lena: Ich liebe Standhaltungen seit jeher, und sie sind immer ein bestimmender Bestandteil meiner Praxis und meines Unterrichts. Standhaltungen, bzw. in diesem Kontext der Lower Body, bilden für mich die Basis einer fortgeschrittenen Praxis, ja. Sie sind für die Schüler und Schülerinnen zunächst oft zugänglicher als Umkehrhaltungen oder z.B. tiefe Rückbeugen. Tadasana ist beispielsweise so ein komplexes Asana, – wenn ich es richtig ausrichten will, ist das für mich absolut advanced! Auch finde ich, dass Standhaltungen sehr viel für mich als Lehrerin hergeben, was das Thema meiner Stunden angeht.
Es waren vor allem Standhaltungen und Balancing Poses, die in deinen Stunden während der Challenge im Vordergrund standen. Was ist dein Number-1-Tipp für Schüler, was die Ausrichtung angeht?
Ins Spüren, Zuhören und Verstehen des eigenen Körpers zu kommen, Asanas nicht mechanisch einzunehmen und sich immer von der Basis nach oben zu arbeiten, auszurichten und gegebenenfalls anzupassen. Gerne Hilfsmittel benutzen. Das kann so hilfreich sein, um die Struktur des Asanas zu verinnerlichen.
Worauf sollten Yogapraktizierende achten, wenn es um den Lower Body in der Yogapraxis geht?
Generell würde ich empfehlen, auf den eigenen Atem zu achten. Das ist für mich mit das wesentlichste Element und immer ein guter Indikator dafür, wo man selbst gerade steht. Auf eine gesunde Ausrichtung, auf eine gute Mischung zwischen dynamischen und statischen Positionen achten und sich auch hier von einfach zu komplex arbeiten. Vor allem sollte man aber nicht die Freude am Üben verlieren und sich nicht verrückt machen.
INTERVIEW mit Nicole zum Middle Body
Nicole, 2014 hast du im Printmagazin der YOGA AKTUELL eine mehrteilige „Flightschool-Serie“ gemacht. Haben dich als Yogini Ashtavakrasana und Ekapada-Koundinyasana von Anfang an gereizt?
Nicole: Ja, von Anfang an. Ich finde diese Positionen einfach unglaublich ehrlich. Du arbeitest an ihnen und erzielst Fortschritte. Das macht Spaß und lässt sich so gut auf andere Ziele auch außerhalb der Matte übertragen.
Welchen Tipp hast du für all diejenigen, die an ihren Armbalancen arbeiten möchten? Kommt es mehr auf ein starkes Zentrum oder mehr auf einen starken Oberkörper an? Was hat dir dabei geholfen, abzuheben und die Angst vor dem so genannten Face Planting abzulegen?
Für mich geht es in Armbalancen viel weniger um Kraft als um das „How to“. Die meisten Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben für die Basic-Armbalancen wie die Krähe genügend Kraft, sie verstehen nur bestimmte Prinzipien nicht, derer es dann bedarf, um die Haltung auch wirklich einzunehmen. Auf einem höheren Level sollte dann vor allem vorbereitend in Haltungen die Kraft ausgebaut werden, die die Integration von Kraft im Oberkörper und in der Mitte fördern, wie die gute alte Brett-Position (Purvottanasana). Angst hatte ich bei den Arm Balancen noch nie, aber der Handstand – das ist eine andere Geschichte…
Welches Asana war auf deiner Yoga-Reise deine eigene größte Challenge?
Meine größte Challenge auf meiner Yogareise ist der Handstand. Handstand mitten im Raum ist immer noch eine Herausforderung für mich. Momentan steht er allerdings nicht im Mittelpunkt meines Interesses, sprich: Ich arbeite gerade nicht aktiv daran, ihn zu optimieren. Aktuell interessiere ich mich eher für Feinheiten, Subtiles, die energetischen Aspekte von Haltungen, und dies vor allem in liegenden und sitzenden Asanas. Ob das wohl mit dem Alter zu tun hat? (lacht).
Mehr von Nicole Bongartz kannst in du in diesem „Meet the Model“-Interview lesen.
INTERVIEW mit Fe zum Upper Body
Fe, mit dir ging es um den Upper Body. Welches Vorgehen empfiehlst du deinen Schülern, um tiefer in die Welt der Umkehrhaltungen einzusteigen?
Fe: Ich empfehle meinen Schülerinnen und Schülern, der Praxis zu folgen, die sie mit Freude erfüllt und sie in einem tieferen Sinne berührt – das beschreibe ich gerne als „das aus neugierigem Herzen offenkundige Vorangehen“. Dabei unterstützen uns natürlich Räume, die uns Mut machen, konstant sind und uns in unserer Kraft emporheben.
Das Kräftigen des tiefsten Bauchmuskels (Transversus) und des Beckenbodens verankert uns im tiefen Inneren. Die vertiefte und leerwerdende Ausatmung stärkt dabei unsere Mitte, die nach innen schnürenden Rippen und die aktiven Bauchmuskeln geben uns – ähnlich wie ein Korsett – Halt im Inneren und schenken dem Körper auch über Kopf Kontur.
Die Augen hin und wieder mal zu schließen und auf feine und subtile Weise die Verbindung zwischen Kopfkrone und Steißbein ausfindig zu machen, richtet uns axial aus, stärkt unser inneres Lot und gibt dadurch Stabilität, auf die wir uns auch kopfüber berufen können.
Bevor wir über Kopf gehen, ist es sinnvoll, einen sicheren Weg zu formulieren, der uns aus der Position auch wieder herausführt. Wir können uns am Anfang wunderbar mit Hilfsmitteln, der Wand oder einem Partner unterstützen, um die Erfahrung von Stabilität zu machen und uns dann von dort kleinschrittig und mühelos in den freien Raum wagen. Dort wo eine Praxis Stabilität aufweist, können sich Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ergeben.
Wie hast du deine Leidenschaft für Umkehrhaltungen entwickelt? Ist es deiner Meinung nach eher Kraft oder eher Mindset, was uns in Upside Down bringt? Was war deine persönliche Erfahrung?
Meine Leidenschaft für Umkehrhaltungen wuchs darin, dass ich mich nach der Praxis von Umkehrhaltungen auf eine leichte und zeitgleich unaufgeregte Weise unfassbar lebendig fühlte. Umkehrhaltungen erinnern mich daran, dass ich in diesem Leben über mich selbst hinauswachsen darf und in kindlicher Leichtigkeit „Herz über Kopf“ Dinge ausprobieren kann, die mich selbst zeitweise überraschen und dadurch beflügeln und ermutigen.
Die Umkehrposition lädt uns eben in einen Tanz mit dem Leben ein, wenn es auch Mal Kopf steht und uns die Möglichkeit einer neuen Perspektive schenkt. Dabei fordert sie immer wieder die eigene Mitte heraus und stärkt unsere Fähigkeit, sowohl im Geiste als auch im Körper völlige Ruhe zu wahren. Die wesentliche Kraft wird darin geboren, dass wir uns im Inneren klar ausrichten und der Praxis stetig und beharrlich folgen – uns darin sozusagen „ein Versprechen geben, für uns selbst einzustehen und uns immer wieder wagen, über uns selbst hinaus zu wachsen“.
Meine eigene Handstandpraxis hat sich vor allem dadurch etabliert und gefestigt, dass ich sie nach einer schweren Operation am Brustkorb als einen Raum aufgesucht habe, in dem ich das Vertrauen zu meinem eigenen Körper zurückerobern wollte. Dabei war es wichtig, meinem eigenen Körper zuzuhören, den zahlreichen Vorschlägen vom Außen zeitweise zu entsagen und tiefverankerte Glaubenssätze, die einem „Mangelbewusstsein“ entsprangen, zu überprüfen. So verstehe ich die Umkehrposition als eine Art Verkörperung dessen, der Fülle und den unzähligen Möglichkeiten des Körpers zu vertrauen. Diese Erfahrung prägt und formt wiederum unser Mindset auf eine positive Weise, und wir können in einem nächsten Moment des Herausgefordertseins darauf zurückgreifen.
Für viele heißt eine fortgeschrittene Asana-Praxis Handstand, Pincha und Co. zu beherrschen. Was macht für dich persönlich eine fortgeschrittene Praxis aus?
Die fortgeschrittene Praxis beginnt für mich mit der Umarmung meiner eigenen Gegenwart, im geduldigen Würdigen des Prozesses und im liebevollen Annehmen meines Erlebten. Fortgeschritten zu üben, bedeutet auch zu erkennen, dass ich dennoch mehr bin als mein Erleben, meine Gefühle und meine Vergangenheit.
Der Handstand ist mein liebstes fortgeschrittenes Asana, weil er all das immer wieder vereint, mir vergegenwärtigt und es mich kontinuierlich üben lässt.
DANKE für eure Zeit und eure Antworten.